Die neue Sozial- und Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (58) spricht über das gekippte Job-Projekt der SPÖ, harte Maßnahmen im Sozialbereich und warum bei ihr zu Hause ein Trampolin steht.
Am Stubenring 1 laufen viele Fäden dieser neuen Regierung zusammen. Die drei Ministerinnen Elisabeth Köstinger (Nachhaltigkeit), Margarethe Schramböck (Wirtschaft) und Beate Hartinger-Klein haben hier ihre Büros. "Es ist eigentlich noch alles so, wie es mein Vorgänger hinterlassen hat", erklärt die neue Sozial- und Gesundheitsministerin vor dem "Krone"-Interview, "nur eine Orchidee habe ich vom Gang in mein Zimmer gerettet." Sie nimmt in einem der etwas abgewetzten roten Sesseln Platz (diese werden noch gegen eine beige Garnitur ausgetauscht), auf dem Tisch steht eine Kerze mit Tannenwald-Duft.
Der Doppelname sei ihr wichtig, sagt sie. Dass er bisher nicht kommuniziert wurde, liegt am Bundespräsidenten. "Er hat nicht nur Herrn Strache bei der Angelobung vergessen, sondern auch den zweiten Teil meines Namens", lacht die Grazerin. Sie trägt einen dunkelblauen Hosenanzug mit weißem Revers, dazu Perlen. Die Haare hat sie locker aufgesteckt.
"Krone": Frau Minister, die "Kleine Zeitung" hat über Sie geschrieben, dass Sie immer als sehr ehrgeizig galten - und ob Sie Ihren Job beim Hauptverband gut ausgeführt hätten, "darüber scheiden sich die Geister". Was denken Sie sich, wenn Sie sowas lesen?
Beate Hartinger-Klein: Ehrgeizig zu sein ist ja nichts Schlechtes. Mein Ziel war es immer, im Gesundheits- wie im Sozialwesen, die medizinische Leistung für die Menschen im Land zu verbessern.
Aber würde man sowas auch über einen Mann schreiben?
Ich weiß es nicht (lacht).
War Ihr Ehrgeiz ausschlaggebend dafür, dass die FPÖ Sie in dieses Amt geholt hat?
Ich bin überzeugt, dass es nicht der Ehrgeiz war, sondern meine Kompetenz. Und ich war immer ein sehr verbindlicher Mensch und möchte deshalb in Zukunft alle Systempartner, egal von welcher Fraktion sie kommen oder aus welchem Bereich, einbeziehen und so Brücken bauen.
Verbindlich im Ton und hart in der Sache? Trifft es das?
Genau. Freundlich, aber konsequent.
Die Zusammenlegung der neuen Gebietskrankenkassen ist ja einer der Brückenpfeiler in dieser türkis-Blauen Regierung. Wird das leicht werden?
Das ist sicher eine sehr große Herausforderung. Eine meiner ersten, sagen wir einmal, Amtshandlungen war, alle Beteiligten zu einem Gespräch einzuladen – von Gewerkschaft bis Ärztekammer, selbstverständlich auch den Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger. Mir ist wichtig, dass dieser Prozess gut aufgesetzt ist, dass wir es in Ruhe angehen und wirklich alle ins Boot holen. "Speed kills", das hilft niemandem.
Sie sagen das lächelnd, so als ob es tatsächlich ziemlich leicht wäre. Wie viel Zeit geben Sie sich dafür?
Es ist nicht die Frage, ob etwas leicht oder schwer ist. Es geht um den Prozess. Das bin ich aus dem Management so gewohnt. Die Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger schaffen wir zu 80 Prozent in dieser Legislaturperiode, vielleicht brauchen wir aber auch zwei.
Sie haben das im März 2002 erstmals ausgesprochen, dass man die Kassen zusammenlegen muss. Können Sie sich noch erinnern, was damals los war?
Ich habe öfter Diskussionen ausgelöst. Auch als ich begonnen habe aufzuzeigen, wo wie viele Operationen durchgeführt werden. Als ich schließlich aufgedeckt habe, dass in einem steirischen Bezirk um 300 Prozent mehr Blinddarmoperationen gemacht wurden als im österreichischen Durchschnitt, hatte ich eine Klage der Ärztekammer am Hals.
Wie ist das ausgegangen?
Die Klage wurde natürlich abgewiesen.
Ist da Genugtuung, dieser Ärztekammer jetzt als Gesundheitsministerin vorzustehen?
Nein, ich bin mit vielen Ärztekämmerern befreundet, ich kann sehr gut mit denen arbeiten.
Sie haben damals ein Einsparungspotential von 25 bis 30 Prozent vorgerechnet. Ihr heutiger Koalitionspartner, die ÖVP, war seinerzeit trotzdem dagegen. Fühlen Sie sich jetzt bestätigt?
Gewisse Themen brauchen einfach Zeit und es müssen die Akteure stimmen. In der neuen Regierung sind jetzt die richtigen Personen am Werk.
Sind Sie glücklich, dass Sie jetzt auch für das heikle Gesundheitsressort verantwortlich sind?
Ja, außer dass natürlich zwei Ministerien zu managen eine noch größere Herausforderung ist. Aber es gibt viele Schnittstellen zwischen Sozial- und Gesundheitsministerium. Bislang waren ja die Sozialversicherungsträger beim Gesundheitsministerium und der Hauptverband beim Sozialministerium. Deshalb sehe ich die Zusammenlegung positiv.
In Ihren Kompetenzbereich fallen viele große Brocken. Welcher wird am schwersten zu bewegen sein?
Die größte Herausforderung wird sicher die finanzielle und personelle Sicherstellung der Pflege sein.
Herausforderung, nicht Felsbrocken?
Ja. Mein Fels in der Brandung ist mein Mann, aber im beruflichen Kontext sehe ich eigentlich keine Felsen. Wenn ich ein Bild für Herausforderung nennen müsste, dann wäre es eher ein Blumenstrauß, wo ich dafür sorge, dass er richtig aufblüht.
Das Regierungsprogramm liest sich nicht sehr sozial. Stichwort Arbeitslosengeld, Kürzung der Mindestsicherung, Arbeits- und Teilhabepflicht. Stehen Sie zu all dem als Sozialministerin?
Das Gegenteil ist der Fall. Ich stehe für die Gewährleistung oder den Ausbau der sozialen Sicherheit in Österreich. Einige Hartz-IV-Elemente gibt es ja jetzt schon in den Ländern, und ich werde mich dafür einsetzen, dass so wenig Menschen wie möglich da hineinfallen. Ich bin aber auch so sozialisiert worden, dass der Mensch selbst für die Gesellschaft eine Verantwortung hat, eine Selbstverpflichtung sozusagen. Deshalb bin ich zutiefst überzeugt, dass wir gewisse Dinge verändern müssen. Aufgrund der Hochkonjunktur haben wir auch die Chance dazu.
Warum haben Sie das SPÖ-Projekt "Aktion 20.000" gekippt?
Wir schaffen die "Aktion 20.000" nicht ab, sondern ich setze sie aus, um sie mir genauer anzuschauen. Auch die Opposition hat oft gute Ideen, warum sollte man die nicht umsetzen?
Aussetzen ist ja auch abschaffen, halt auf Zeit.
Nein, aussetzen heißt, dass ich das Projekt evaluiere. Warum? Weil die Erwartungen sich nicht erfüllt haben. Es wurde eigentlich angenommen, dass viel mehr Langzeitarbeitslose durch das Projekt unterstützt werden können. Das ist nicht passiert, und deshalb ist es wichtig zu sehen, warum das so ist. Vielleicht ist der Prozess falsch aufgesetzt worden, vielleicht sind die Projekte falsch angegangen worden, vielleicht haben auch die Bürgermeister noch zu wenig gewusst, wie sie das umsetzen können.
War dafür nicht auch die Zeit viel zu knapp?
Ein halbes Jahr für ein Pilotprojekt, das wirklich intensiv von AMS und Ministerium begleitet wurde? Das ist schon Zeit genug, um sagen zu können, ob es gut läuft oder nicht.
Frau Minister, der Caritas-Präsident hat gesagt: "Das Regierungsprogramm ist für die Starken und Fitten." Denken Sie auch an die Ärmsten?
Wir unterliegen auf europäischer Ebene der Sozialcharta. Jeder Mensch soll eine Grundsicherung haben, um würdevoll leben zu können und auch ein Dach über dem Kopf zu haben. Das ist die Voraussetzung, ein Muss. Das Thema Armut ist uns wichtig. Wir werden uns da von Experten wie Michael Landau, aber auch Michael Chalupka beraten lassen. Es soll in diesem Land keiner unter die Räder kommen.
Aber?
Aber es muss noch genauer überprüft werden, inwieweit Menschen physisch und psychisch in der Lage sind, durch ihre Arbeit auch etwas beizutragen. Das findet noch nicht in ausreichendem Maße statt.
Ihr Verhältnis zur FPÖ war ein sehr wechselhaftes. Sie sind Ende der Neunziger in den Landtag gekommen und Mitte der 2000er aus der Partei ausgetreten. Was war da los?
Ich war überhaupt Quereinsteiger. Also, der damalige Landesparteiobmann Michael Schmidt, späterer Verkehrsminister, hat mich als Expertin für das Gesundheitswesen geholt. Als sich dann das BZÖ von der FPÖ abgespaltet hat, habe ich gesagt: Das interessiert mich nicht mehr. Schmidt wusste damals nicht, ob er sich jetzt für das BZÖ oder für die FPÖ entscheiden sollte. Da bin ich ausgetreten.
Stimmt es, dass Sie sich dann bei Heinz-Christian Strache wieder gemeldet haben?
Nein, das stimmt nicht. Ich wurde gebeten, als Expertin in den Regierungsverhandlungen zur Verfügung zu stehen.
Frau Hartinger-Klein, wie sozial und gesund leben Sie eigentlich privat?
Was meine soziale Ader betrifft: Ich spende laufend, an verschiedenste Organisationen. Dann bin ich Nichtraucherin und achte sehr darauf, mich gesund zu ernähren und mich genügend zu bewegen. Das wird in meiner neuen Funktion vielleicht noch schwieriger sein. Ich habe zu Hause einen kleinen Fitnessraum eingerichtet mit einem Ball, einem Crosstrainer und einem Trampolin. Da hüpfe ich dann ganz gern an die Decke.
Ökonomin und Protestantin
Geboren am 9. September 1959 in Graz. Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Controllerin bei den Steirischen Krankenanstalten, ab 1996 Landtagsabgeordnete, 1999 kommt sie in den Nationalrat. 2003 bis 2009 ist sie Generaldirektorin im Hauptverband der Sozialversicherungsträger, ab 2011 selbständige Konsulentin. Verheiratet mit dem evangelischen Theologen Dr. Andreas Klein, zwei erwachsene Kinder, Richard (26) und Elisabeth (23).
Conny Bischofberger/Kronen Zeitung
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