ÖGB-Präsident Erich Foglar hat das Vorhaben der türkis-blauen Regierung, die Notstandshilfe abzuschaffen bzw. in das befristete Arbeitslosengeld zu integrieren und Langzeitarbeitslose künftig in die Mindestsicherung zu bringen, "schlicht und einfach asozial" genannt. Der Koalition hielt er am Montag vor, dass sie einerseits mit ihrem vehementen Nein zur Vermögensbesteuerung Vermögende beschützen und andererseits "ungeniert auf den letzten Notgroschen von arbeitslosen Menschen" zugreifen würde. Tatsächlich scheint es regierungsintern aber noch keine einheitliche Linie in der brisanten Frage zu geben, wie aktuelle Aussagen von ÖVP- und FPÖ-Granden zeigen.
Das Vorhaben der Regierung würde für viele Betroffene tiefe Einschnitte mit sich bringen. Im Gegensatz zur Notstandshilfe muss beim Erhalt der Mindestsicherung das eigene Vermögen aufgebraucht werden, bis nur noch 4188,80 Euro übrig sind, ansonsten kommt es zu Pfändungen. Ausnahmen sind lediglich die als Hauptwohnsitz genutzte Eigentumswohnung und die Wohnungseinrichtung. Wer ein Auto besitzt, muss dieses verkaufen - außer es ist berufs- bzw. behinderungsbedingt notwendig.
"Wesentliche soziale Sicherungssäule" fällt weg
Wenn die Notstandshilfe durch die Mindestsicherung ersetzt wird und Betroffene somit ihr Vermögen weitgehend aufzehren müssen, falle eine "wesentliche soziale Sicherungssäule" weg, sagte Foglar am Montag in der "ZiB 2". Die Situation für langzeitarbeitslose Menschen werde dadurch "drastisch verschlechtert".
FPÖ-Ministerin Hartinger-Klein: Kein Zugriff auf Vermögen
Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) versuchte, nach der Foglar-Kritik zu beschwichtigen, und versicherte am Dienstag im Ö1-"Morgenjournal", dass Langzeitarbeitslosen nichts von ihrem Besitz weggenommen werde. Genaueres dazu blieb sie allerdings - auch auf mehrmaliges Nachfragen - schuldig. Denkbar seien auch "zwei Formen von Mindestsicherung", das müsse man "sich anschauen und durchrechnen", sagte sie, wobei sie auch hier keine Details nannte. Mit der ÖVP sei dies aber noch nicht abgestimmt.
ÖVP-Klubchef Wöginger: Zugriff nicht ausgeschlossen
Das Thema könnte noch zu Reibereien in der Koalition führen, denn vorige Woche hatte sich Hartinger-Klein zunächst für ein unbefristetes Arbeitslosengeld ausgesprochen. Nach einer Zurechtweisung durch Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) korrigierte sie ihre Aussagen und meinte: "Der Bundeskanzler hat natürlich recht. Das 'Arbeitslosengeld neu' soll die Notstandshilfe ablösen. Was wir noch finden müssen, ist eine Lösung, ob es sich um Arbeitslosen- oder Mindestsicherungsgeld handelt." Schon damals betonte die Ministerin aber, dass es keinen Zugriff auf das Vermögen geben solle. ÖVP-Klubobmann August Wöginger wiederum wollte dies am Dienstag nicht explizit ausschließen. Es gelte, erst einmal den Entwurf von Hartinger-Klein abzuwarten, den sie bis Jahresende vorlegen werde, sagte er zu Mittag gegenüber der APA.
Rund 167.000 Menschen betroffen
Die Abschaffung der Notstandhilfe und damit die Einführung einer Art Hartz-IV-Modell in Österreich ist in der ÖVP bereits länger ein Thema. Bei der ersten Regierungsklausur der türkis-blauen Koaliton erklärte Kurz schließlich, es sei klar, dass man bei der Notstandshilfe etwas ändern werde – das sei "gemeinsame Linie". Davon betroffen wären laut den zuletzt verfügbaren Daten der Statistik Austria und des AMS (Stand 2016) rund 167.000 Menschen in Österreich.
SPÖ: "Programm für Armut und soziale Ausgrenzung"
Die Regierungspläne stoßen auf scharfe Kritik von mehreren Seiten. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Max Lercher warnte vor "Verhältnissen wie in Deutschland mit Hartz IV und Vermögensenteignung der Betroffenen". Er sieht in den Koalitionsplänen ein "Vierfachprogramm für Armut und soziale Ausgrenzung": "Die Regierung Kurz nimmt den Arbeitnehmern die 'Aktion 20.000' und den Jobbonus sowie die Notstandshilfe - und bei Langzeitarbeitslosigkeit enteignet sie ihr Haus und Auto. Die FPÖ ist auf ganzer Linie umgefallen und hat ihre Wähler verraten." FPÖ-Sozialministerin Hartinger-Klein müsse sich gegen Kanzler Kurz durchsetzen und die Arbeitnehmer schützen, "oder sie tritt zurück. Denn nach den Maßstäben der FPÖ ist sie rücktrittsreif."
Liste Pilz: "Rückwärtsgewandte Politik einer Uralt-ÖVP"
Vor der Einführung eines Austro-Hartz-IV-Modells warnte auch Liste-Pilz-Sozialsprecherin Daniela Holzinger. "Sollte sich die Sozialwissenschaftlerin (Hartinger-Klein) in diesem Fall dem Studienabbrecher (Kurz) unterordnen, wird sie dazu beitragen, Arbeitslosigkeit weiter zu stigmatisieren und unverschuldet langzeitarbeitslose Menschen zum Gegenstand staatlicher Besachwaltung zu degradieren. Das ist genau jene rückwärtsgewandte Politik, die von einer Uralt-ÖVP zu erwarten war. Der flotte neue Anstrich scheint schnell abzublättern", so Holzinger.
Volkshilfe: "Wird zu dramatischen Lebenskrisen führen"
Volkshilfe-Präsidentin Barbara Gross sagte: "Trotz guter Wirtschaftslage ist die hohe Sockelarbeitslosigkeit in Österreich eine sozialpolitische Herausforderung. Die Antwort der neuen Bundesregierung stellt allerdings ein völlig falsches Signal dar. Einerseits wird die 'Aktion 20.000' abgeschafft, die nachweislich zu neuen Chancen für ältere arbeitssuchende Menschen geführt hat, andererseits wird die Abschaffung der Notstandshilfe in den Raum gestellt. Diese Doppelstrategie wird nicht zu neuen Arbeitsplätzen führen, sondern Menschen unter Druck setzen und zu dramatischen Lebenskrisen führen." Volkshilfe-Bundesgeschäftsführer Erich Fenninger sprach vom "größten Sozialabbau in der Geschichte unseres Sozialstaates".
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