Langsame Annäherung

Flüchtlingspolitik: Kurz als Vorbild für Merkel?

Österreich
14.01.2018 09:39

Die Warnung des türkischen Europaministers Ömer Celik vor einer "Österreichisierung" der deutschen Politik hat für Aufregung gesorgt. Aber so weit weg von der Realität dürften die Aussagen des Ministers gar nicht entfernt sein. Tatsächlich beobachten Politologen vor allem bei der Flüchtlingspolitik seit Längerem eine Annäherung zwischen Berlin und Wien. Sebastian Kurz habe in den vergangenen Jahren seine Rolle als Außenminister geschickt dazu genutzt, für die Sperre der Balkanroute und eine restriktivere Flüchtlingspolitik auf EU-Ebene zu werben. Und nun wird Kurz als Regierungschef wohl noch mehr Überzeugungsarbeit leisten können. Er stattet übrigens Merkel am Mittwoch seinen Antrittsbesuch in Berlin ab. Unter den zu besprechenden Themen wird wohl sicher auch die EU-Flüchtlingspolitik sein.

Thomas Jäger von der Universität Köln erklärt gegenüber der APA: "Selbstverständlich war man in Berlin froh, dass Österreich so vorgeht. Aber gleichzeitig beteuerte man in Berlin, dass das so nicht geht." Deutschland versuche, seine Geschichte aufrecht zu erhalten, wonach das Abkommen mit der Türkei alles regle und von Grenzschließung keine Rede sein müsse. Auf die Frage, ob Deutschland seine Linie an die Österreichs anpassen werde, meint Jäger: "Das wird ja schon gemacht, indem die Zahl der Asylwerber reduziert und die Grenzen stärker kontrolliert werden." Problematisch sei, dass der Migrationsdruck aus demografischen und ökonomischen Gründen auch in den nächsten Jahrzehnten anhalten werde, aber Europa in dieser Frage keinen gemeinsamen Umgang habe.

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel ist wegen des Asylthemas in Bedrängnis geraten. (Bild: APA/BARBARA GINDL, AP, krone.at-Grafik)
Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel ist wegen des Asylthemas in Bedrängnis geraten.

"Quotierung von Flüchtlingen ist gescheitert"
Der Kölner Politologe erinnert an den langsamen Wechsel Österreichs in der Flüchtlingspolitik von Bundeskanzler Werner Faymann, der anfangs voll auf Merkels Linie gewesen sei, über die Abschwächung unter dem Nachfolger Christian Kern und schließlich die diametral gegenteilige Position zur deutschen Bundesregierung unter Sebastian Kurz. Kurz mache deutlich, dass die Quotierung von Flüchtlingen gescheitert sei und diese falsche Politik die EU schwächen würde, wogegen Merkel nach wie vor der Meinung sei, dass hier die europäische Solidarität gewahrt werden müsse. "Da muss man abwarten, wie das ausgeht."

(Bild: AP)

"Schließung der Balkanroute hat stärkere AfD verhindert"
Auch Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin sieht die Widersprüchlichkeit in der deutschen Haltung: "Die bisherige Flüchtlingspolitik von Sebastian Kurz war der Politik von Angela Merkel entgegengesetzt, andererseits hat sie Merkel davor bewahrt, in Deutschland noch mehr Probleme zu bekommen." Speziell die Schließung der Balkanroute habe Deutschland genützt. "Andernfalls wäre die AfD noch stärker geworden, als sie ohnehin schon war. Aber das konnte weder die deutsche Regierung noch Merkel selbst so sagen. Im Gegenteil, man ermahnte Österreich, weniger restriktiv vorzugehen."

Die neue Doppelspitze der AfD: Alexander Gauland und Jörg Meuthen (Bild: AFP)
Die neue Doppelspitze der AfD: Alexander Gauland und Jörg Meuthen

Nun müsse man jedoch miteinander auskommen, da Österreich ein wichtiger Faktor in der EU sei. Die Differenzen blieben zwar bestehen, doch mit dem Ergebnis der Sondierungsgespräche von CDU/CSU und SPD sei klar geworden, dass sich die deutsche Flüchtlingspolitik durchaus der österreichischen etwas annähere, findet Niedermayer im Gespräch mit der APA. Für das gegenseitige Verhältnis sei das positiv. Ein weiterer namhafter Politikwissenschaftler der Freien Universität will das Verhältnis nicht kommentieren und sagt nur: "Lädt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt den ungarischen Ministerpräsidenten Victor Orban auf die CSU-Klausurtagung ein, kontert das Angela Merkel mit Sebastian Kurz."

"Kurz kommt wichtige strategische Rolle in der EU zu"
Stephan Bröchler von der Humboldt Universität Berlin konzediert Kurz großes politisches Talent, sorgt sich jedoch mit der Frage, "welche Richtung Österreich mit der Regierungsbeteiligung der rechtspopulistischen FPÖ im Blick auf die EU und zu Deutschland im Besonderen einschlägt". "Wird Österreich zur Überwindung der Krise der EU beitragen, wie sie gerade in der Migrations- und Flüchtlingspolitik augenscheinlich ist, oder wirkt sich die Politik von Sebastian Kurz im Gegenteil krisenverschärfend aus? So oder so kommt Bundeskanzler Kurz eine wichtige strategische Rolle zu", betont Bröchler.

(Bild: AFP/JOHN THYS, APA/GEORG HOCHMUTH)

Vorsichtige Zusammenarbeit mit FPÖ-Ministerien
Ein weiterer politischer Beobachter konzentriert sich auf die Geheimdienste, die nun unter FPÖ-Ministern arbeiten. Er habe Berichte, wonach die deutschen Dienste in der Zusammenarbeit mit den österreichischen Kollegen vorerst mit einiger Vorsicht agierten. Hier sei in der Kooperation selbstverständlich eine Neubewertung zu erwarten. Ob man zur bisherigen Routine zurückkehre, hänge davon ab, wie professionell die FPÖ-Ministerien arbeiten.

Merkels Probleme mit charismatischen Politikern
Ob Merkel und Kurz persönlich miteinander können? "Es ist bekannt, dass Merkel mit Personen, denen Charisma nachgesagt wird, generell ihre Probleme hat", weiß Jäger. Das habe man anfangs auch im Fall Barack Obamas gesehen. "Aber am Ende kommt es darauf an, dass beide, Merkel und Kurz, professionell miteinander arbeiten, die Interessen gemeinsam ausverhandeln und sie eine gemeinsame Linie finden. Das ist viel wichtiger, als dass die persönliche Chemie stimmt. Allerdings sehe ich in der Europapolitik Unterschiede zwischen den beiden, die sich nicht so schnell beheben lassen."

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