"Es reicht, so kann's nicht weitergehen", zieht die Wiener Pädagogin und Lehrergewerkschafterin Romana Deckenbacher beim Gespräch mit der "Krone" in einem Café in Wien-Währing einen dicht beschriebenen Zettel aus einer Heftmappe: Dutzende von den FCG-Personalvertretern gesammelte Fälle von schwerer Gewalt in Wiens Schulen sind auf der Vorder- und Rückseite des Papiers dokumentiert.
"Ich habe eben mit einer der betroffenen Lehrerinnen telefoniert: Sie schafft's einfach noch nicht, mit Ihnen direkt über den Vorfall zu sprechen", sagt die Gewerkschafterin. Diese Pädagogin, die anonym bleiben will, war erst vor wenigen Monaten Opfer eines Gewaltausbruchs in einem Klassenzimmer. Romana Deckenbacher berichtet: "Die Lehrerin hat mir das so erzählt: 'Ein Bub wurde zornig. Plötzlich hat mich der Schüler an den Haaren zu Boden gerissen.'"
Polizei weiß "inoffiziell" von 1600 Strafanzeigen
Allein im Vorjahr seien bereits 1600 Strafanzeigen wegen Gewalt an Wiens Schulen erstattet worden, wissen die Personalvertreter: "Zu dieser Zahl kamen wir nur über inoffizielle Wege. Offiziell wird weiter über dieses Thema geschwiegen." Dafür gebe es mehrere Gründe: Erstens befürchten Schuldirektoren, dass durch Bekanntwerden der Vorfälle der Ruf der Schule leidet, und zweitens habe auch die Politik nicht allzu großes Interesse an einer Ursachenforschung und am Bekanntwerden der Herkunft der jungen Tatverdächtigen.
Die starke Zunahme von Gewalt an Wiens Pflichtschulen dürfe aber nicht mehr länger verdrängt werden, warnen die Pädagoginnen und zitieren dazu aus ihrer Dokumentation der heftigsten Vorfälle:
Mehr sexuelle Attacken gegen Wiener Lehrerinnen
Generell würden auch die Übergriffe der Kindesväter auf Lehrerinnen zunehmen. Dazu ein Zitat aus dem Bericht: "Die beiden Schüler sowie auch einer der Väter benehmen sich regelmäßig sexistisch gegenüber uns Lehrerinnen. Körperliche Berührungen quasi im Vorbeigehen 'passieren' immer wieder, wenn sie sich unbeobachtet fühlen. Wir sollen aber nicht darüber sprechen, weil es sonst als rassistisch ausgelegt werden könnte, die Schüler kommen aus ..."
Die Pädagogen sprechen auch offen über ihre Frustration: "Schülern, die ihre Lehrerinnen attackieren, passiert ohnehin nicht viel. Nach drei Tagen Schulverweis sitzen die wieder in derselben Klasse." Ohne sofortige Gegenmaßnahmen werde sich die Situation sehr rasch noch weiter verschärfen: Laut einer Prognose der MA 23 (Grafik unten) steigt die Zahl der Pflichtschüler in Wien in den kommenden sechs Jahren von 171.110 auf 190.826 Schüler – das ist ein Plus von fast 20.000 Schülern.
Stadtschulratspräsident: "Dürfen nicht wegsehen!"
Die Schülerzahlen an Wiens Pflichtschulen nehmen also stark zu, die Lehrer und Lehrerinnen sind in den Klassen immer häufiger Opfer von gewalttätigen Jugendlichen. "Ja, dieses Thema gibt's. Und: Wegschauen bringt da nix“, will Wiens Stadtschulratspräsident Heinrich Himmer den Pädagogen konkrete Hilfe anbieten.
Himmer im "Krone"-Gespräch: "Wir haben in Wien 35 Schulpsychologen und bis zu 70 Sozialarbeiter, dazu noch multiprofessionelle Teams, die von Schulen angefordert werden können. Wir wollen die Lehrer nicht alleine lassen. Ganz klar: Unsere Lehrer haben auch Rechte." Harte Strafen habe ein gewalttätiger Schüler aber kaum zu befürchten: "Bei unter-14-jährigen Schülern gibt's wenig Möglichkeiten, meist folgt eine schulpsychologische Betreuung. Wir haben deshalb auch ein Projekt gestartet, das die Autorität der Lehrer wieder stärkt."
Und zu den bis 2023 in Wien besonders stark steigenden Schülerzahlen meint der Stadtschulratspräsident: "Natürlich ist das ein Problem. Wenn man unsere Sprache nicht kann, schafft das Probleme. Deshalb darf die neue Bundesregierung keinesfalls die Mittel für das Integrationspaket verringern."
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