Sebastian Kurz und Angela Merkel: zwei Nachbarn, zwei Parteifreunde, die sehr oft, aber nicht in allem im Gleichklang ticken. Beim Treffen in Berlin am Mittwoch wurde Klarheit geschaffen, besonders, was die europapolitischen Ziele in der Migrationspolittik betrifft.
Kurz brachte die österreichischen Vorstellungen sehr selbstbewusst zur Geltung, Merkel hielt aber deutlich ihre unterschiedlichen Sichtweisen entgegen. Das zeigte sich besonders in der Frage der Finanzierung der EU nach dem Brexit. Zu den Sparvorstellungen des Kanzlers entgegnete sie: "Europa muss handlungsfähig bleiben, wenn neue Aufgaben wie die Sicherung der Außengrenzen auf die Gemeinschaft zukommen. Kernprogramme der EU müssen erhalten bleiben."
Einig waren sie sich wieder, dass nicht einfach die EU-Nettozahler eine höhere Rechnung bekommen können. Man müsse einen ausgewogenen Weg finden, aber, so Kurz: "Der einfache Weg ist nicht immer der richtige."
Kurz: "Europa noch lange nicht am Ziel"
Einen breiten Raum nahm die Diskussion über die Migrationsfrage ein. Der Bundeskanzler: "In vielen europäischen Staaten ist die Migrationsproblematik anfangs unterschätzt worden. Es hat aber dann Korrekturen gegeben. Ich bin froh, dass sich die deutsche Position in den letzten Jahren in die richtige Richtung verändert hat. Die Migrationszahlen sind zwar kleiner geworden, aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Noch immer entscheiden Schlepper, wer kommt. An der Sicherung der EU-Außengrenzen muss noch deutlich gearbeitet werden. Wir wollen dabei auf europäischer Ebene der Antreiber sein."
Zum europäischen Streit um die Verteilung von Flüchtlingen wiederholte der Kanzler seinen Standpunkt, dass man diese Frage allein über Quoten nicht lösen könne: "Sie nimmt in der Diskussion viel zu viel Raum ein. Es geht um Hilfe vor Ort." Merkel pochte aber auf solidarisches Verhalten der Mitgliedsstaaten: "Dass Länder einfach Nein sagen, das halte ich für falsch."
Zur Änderung der inneren Struktur der EU gibt es zwischen Wien und Berlin annähernd das gleiche Ziel, und das heißt Subsidiarität. Dieses Wortungetüm bedeutet: weniger EU-Zentralismus in Fragen des Alltagslebens, die in den einzelnen Staaten besser und unbürokratischer entschieden werden können. Dem Kanzler geht es dabei um weniger Regulierung, die für Klein- und Mittelbetriebe (kosten-)belastend ist. "Und die sind ja das Rückgrat der österreichischen Wirtschaft", so Kurz.
Kurz als „Baby-Hitler“: Wieder Wirbel um Satireblatt
Das deutsche Satiremagazin „Titanic“ hat Kurz unterdessen anlässlich seines Antrittsbesuchs in Berlin erneut als „Baby-Hitler“ verunglimpft. Die fragwürdige Schlagzeile: „Baby-Hitler kommt heim ins Reich“. Kurz wird dabei als Kind dargestellt, das von Merkel über den roten Teppich geführt wird.
"Wunderknabe oder politischer Scharfmacher?": Kanzler im deutschen TV
Am Mittwochabend (23 Uhr, Das Erste) ist der ÖVP-Chef als Gast in die TV-Talkshow "Maischberger" geladen – seltenerweise solo, ohne weitere Gäste. Titel: "Wunderknabe oder politischer Scharfmacher?" In seinem ersten deutschen Fernsehinterview seit seiner Angelobung stellt sich Kurz den Fragen von Moderatorin Sandra Maischberger. Danach geht es in ein direktes Duell mit dem deutschen Grünen-Chef Cem Özdemir, der als scharfer Kritiker der österreichischen Flüchtlingspolitik gilt.
May lädt Kurz nach Großbritannien ein
Bereits vergangene Woche traf Kurz den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, wo der Kanzler die "klar proeuropäische Haltung" der neuen türkis-blauen Regierung zum Ausdruck brachte. Am Mittwoch wurde zudem bekannt, dass die britische Premierministerin Theresa May den ÖVP-Chef nach Großbritannien eingeladen hat. Der Besuch soll laut einer Aussendung der Downing Street "in naher Zukunft" stattfinden. Das Bundeskanzleramt bestätigte die Einladung, die der Kanzler auch annehmen werde. Kurz war in der Vergangenheit bereits des Öfteren als Außenminister in London zu Gast.
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