Das mediale Podium war bereitet - und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wusste es zu nutzen. In der renommierten ARD-Talkshow von Sandra Maischberger verteidigte er am Mittwoch während seines Berlin-Besuchs die Flüchtlingspolitik der türkis-blauen Regierung und die Koalition mit der FPÖ an sich: "Hier wird ständig ein Rechtsruck herbeigeredet." Zu Beginn hatte die Moderatorin den Gast aus Österreich als "die zarteste Versuchung, seit es Populismus gibt" vorgestellt.
Die FPÖ sei bereit, sich an das Koalitionsprogramm zu halten, zeigte sich Kurz in der Sendung mit dem Titel "Kanzler Kurz: Wunderknabe oder politischer Scharfmacher?" überzeugt. Dieses habe eine klar proeuropäische Orientierung: "Wir wollen den Wirtschaftsstandort stärken und den Menschen mehr Freiheit geben." Viele in der jüdischen Gemeinde hätten ihn im Wahlkampf unterstützt, konterte Kurz, als er von Maischberger auf Kritik der Israelitischen Kultusgemeinde an der Koaltion mit der FPÖ angesprochen wurde. "Zum Thema Antisemitismus hatten wir noch nie ein Regierungsprogramm, das sich so deutlich gegen Antisemitismus ausspricht." Er hätte sich auch früher eine Politik gewünscht, die mehr proisraelisch gewesen wäre. Aber das sei mit dem damaligen Koalitionspartner SPÖ nicht möglich gewesen.
"Es wurde in Österreich auch schon gegen Reiche gehetzt"
Natürlich gebe es für ihn auch "rote Linien". Allerdings gelte das nicht nur "nach rechts". Es sei in der Vergangenheit in Österreich auch gegen Leute gehetzt worden, die reich seien, argumentierte der ÖVP-Bundeskanzler. Das lehne er ebenfalls ab. Kurz wurde ferner zur Vergangenheit von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache am rechten Rand befragt. Der Bundeskanzler sprach sich dafür aus, Politikern bei kritischem Hinsehen auch eine Chance zur Weiterentwicklung einzuräumen. Der FPÖ-Chef habe von "Jugendsünden" gesprochen. Strache habe zudem immer eingegriffen, wenn es in der jüngeren Vergangenheit problematische Äußerungen von FPÖ-Politikern gegeben habe. Kurz betonte, für ihn sei der Blick nach vorne relevant: "Wenn es Kontakte zu Personen gäbe, die das Verbotsgesetz missachten, dann würde ich als Bundeskanzler hier sofort intervenieren."
"Die SPÖ wollte nicht regieren"
Zudem sei das Ergebnis der Nationalratswahl in Österreich ein klares Zeichen für einen Wunsch nach Veränderung gewesen. Die SPÖ habe sich auf die Oppositionsrolle festgelegt, womit er gar keine andere Option gehabt habe, so Kurz: "Die Sozialdemokraten wollten nicht regieren." Außerdem habe sich das Stimmengewicht stark verlagert: "Vor ein paar Jahren hatten die Regierungsparteien fast 80 Prozent der Stimmen im Parlament." Für Deutschland hoffe er im Interesse Europas und Österreichs, dass es bald eine starke Regierung gebe. Dass die CDU eine Koalition mit der rechtspopulistischen AfD ausschließe, während er eine mit der FPÖ eingegangen sei, kommentierte Kurz so: "Das ist das gute Recht der CDU."
Allerdings sei die AfD mit den Freiheitlichen nicht zu vergleichen, argumentierte Kurz, wobei er allerdings nicht auf inhaltliche Aspekte einging. Im Gegensatz zur AfD habe die FPÖ nämlich gezeigt, dass sie zur Regierungsarbeit bereit sei. Die Freiheitlichen seien bereits auf Bundesebene in einer Koalition gewesen und derzeit auch in zwei Bundesländern (Burgenland und Oberösterreich, Anm.). Man habe während der Koalitionsverhandlungen darüber geredet, wie zu reagieren sei, wenn es "Entgleisungen" gebe: "Ich bin davon überzeugt, dass Heinz-Christian Strache hier klar Flagge zeigen wird." Zu den teils martialischen Auftritten seines Vizekanzlers meinte Kurz salopp: "Es ist nicht entscheidend, welche Trommler wo spielen."
"Wollte eigentlich nicht Berufspolitiker werden"
Was seinen eigenen Werdegang angeht, so betonte Kurz, er habe eigentlich nie Berufspolitiker werden wollen: "Ich habe das eigentlich immer als Ehrenamt gesehen." Bei der Jungen ÖVP sei er aber schließlich "hängen geblieben". Sein abgebrochenes Jus-Studium wird der jüngste Regierungschef Europas wohl nicht mehr fertig machen. Einen Studentenausweis habe er jedenfalls nicht mehr. Sein Privatleben betreffend gab sich Kurz zugeknöpft: "Ich finde die Ehe nicht altmodisch, aber das mache ich mir zu Hause aus und nicht in den Medien. Mein Privatleben muss nicht Teil meines Berufs sein."
Seine Kritiker unterstellen dem 31-Jährigen oft, wenig ideologisch verwurzelt zu sein. Das streitet Kurz ab: "Ich habe ein relativ klares Wertefundament, meine Einstellungen und Haltungen gefallen eben nicht jedem, aber sie sind meine." Er sei sicher konservativ und christlich-sozial geprägt. Angesprochen auf die "Ehe für alle" erklärte der Kanzler, er sei "natürlich gegen jede Diskriminierung", aber: "Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte es nicht 'Ehe' heißen müssen."
"Es wird ständig ein Rechtsruck herbeigeredet"
Das heißeste Thema des Abends wurde schließlich diskutiert, als es um die Asylpolitik von ÖVP und FPÖ ging. Während Kurz kritisierte, dass "ständig ein Rechtsruck herbeigeredet werde", vertrat der ehemalige Umweltminister Jürgen Trittin von den deutschen Grünen die These, dass rechtsextreme Positionen nur verstärkt würden, wenn sie von anderen Parteien übernommen würden. Kurz forderte hingegen, dass Themen wie die Flüchtlingskrise nicht nach den Kriterien "rechts oder links" beurteilt werden sollten. Vielmehr sei das Thema früher nicht ernst genommen worden.
Maßnahmen wie die Kontrolle von Handys von Flüchtlingen und Migranten verteidigte Kurz. Derart könnten die Reiserouten nachvollzogen und so möglicherweise falsche Angaben festgestellt werden. Sein Ziel sei es, eine Umkehr in der europäischen Asylpolitik herbeizuführen, unterstrich Kurz und argumentierte neuerlich, dass er vor Jahren für seine Haltung in der Flüchtlingsfrage heftig kritisiert worden sei. Diese sei nun aber in Europa durchaus mehrheitsfähig. Trittin gab ihm recht, was die gemeinsame europäische Außenpolitik anging - allerdings betonte der ehemalige Minister, dass man besonders in Ländern wie Libyen, "einem Einfallstor für illegale Migration", ansetzen müsste. Aussagen wie die von Österreichs Innenminister Herbert Kickl (FPÖ), Flüchtlinge in Lagern zu "konzentrieren", seien aber abzulehnen. Kurz entgegnete, dass es hier primär darum gehe, Asylverfahren zu beschleunigen und einen Schwenk in der europäischen Flüchtlingspolitik zu erreichen.
Kurz: "In Wien hat sich das Stadtbild verändert"
Dass er etwa in der Frage des Burka-Verbots nun eine anderen Meinung vertrete also noch vor einigen Jahren, rechtfertigte der 31-Jährige Kanzler damit, dass sich seither einiges geändert habe. Es habe eine massive Flüchtlingswelle gegeben, "mit Menschen, die Grundwerte zu uns tragen, die nicht die unsrigen sind". Auch habe der IS-Terror auf der ganzen Welt zugenommen. "In diesen Jahren hat sich viel verändert. In Wien hat sich das Stadtbild verändert. Der politische Islam hat zugenommen - und den müssen wir bekämpfen", so Kurz.
Die Talk-Sendung von Sandra Maischberger hat laut ARD-Angaben einen Marktanteil von rund 11 Prozent. Die Sendung wird in der Regel von 1,8 bis 2,6 Millionen Zusehern verfolgt. Kurz hatte am Mittwoch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie den Bundestagspräsidenten und ehemaligen Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) getroffen.
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