„Kleine EU“ im Süden
Serbien will Friedensstifter auf dem Balkan werden
Nach Jahren von Krieg und Nachkriegs-Krise hat sich Serbien mit einem deutlich proeuropäischen Kurs "zurückgemeldet". Das Land befindet sich in Aufbruchsstimmung. Die junge Szene in den "Betonhallen" an Belgrads altem Hafen kann es mit jeder europäischen Hauptstadt aufnehmen. Dynamischer Antreiber des Wandels ist Staatspräsident Aleksandar Vucic: Finanzstabilisierung, Marktwirtschaft. Er ist derzeit auf Staatsbesuch in Österreich und sprach mit "Krone"-Redakteur Kurt Seinitz über das "neue Serbien" und dessen Verhältnis zum Kosovo und zu Bosnien.
„Krone“: Herr Präsident, Österreichs Regierungen unterstützen Serbiens Weg nach Europa und eine EU-Mitgliedschaft, wenn Serbien dazu fit ist. Was ist Ihr Anliegen bei diesem Staatsbesuch?
Aleksandar Vucic: Zu allererst möchte ich Kanzler Sebastian Kurz danken. Er hatte ein offenes Ohr für unsere Anliegen, als er noch einer der wenigen war, die mit unserem Volk in Augenhöhe und mit Respekt verkehrten. Jetzt liegt es an uns, die Hausaufgaben zu machen. Das größte Problem ist natürlich die Lösung der Kosovo-Frage. Dazu starten wir einen Dialog unter uns selbst und dann müssen wir einen Kompromiss finden, bei dem Serben und Albaner (im Kosovo) Konzessionen machen werden müssen. Wenn es nicht gelingt, wird das ein Fehler mehr in der Geschichte unserer beiden größten Völker am Balkan sein.
Sie haben den Führer der Kosovo-Albaner, Hashim Thaci, mehrmals getroffen, zuletzt in Davos. Irgendein Fortschritt?
Wir diskutierten, aber immerhin hatten wir in den vergangenen fünf Jahren keine ethnischen Konflikte mehr. Bei dem jüngsten Mordanschlag auf einen Serben im Kosovo haben wir sofort telefonischen Kontakt aufgenommen, damit es zu keiner Eskalation kommt. Ich fuhr in den Kosovo, um die Serben zu beruhigen.
Die Kosovo-Albaner beharren offenbar weiter auf die staatliche Anerkennung.
Dazu sage ich ihnen, ihr habt sie nicht, weil ihr dazu die Serben benötigen würdet. Ohne Serbien keine Aufnahme in die UNO, ohne Serbien keine Aufnahme in die Interpol, ohne Serbien kein Staatsbesuch in China.
Serbien hat also doch noch Karten in der Hand?
Alle Karten müssen auf den Tisch. Wenn sich das Geben und Nehmen in einem fairen Verhältnis abspielt, wird es eine Lösung geben. Und dann werden sich für Serbien alle Tore nach Europa öffnen. Natürlich müssen wir die Rechtsstaatlichkeit verbessern, aber andererseits haben wir die Finanzen unter Kontrolle gebracht. Wir haben die Staatsschuldenrate unter 60 Prozent gedrückt. Sie ist nun besser als in vielen anderen Staaten. Wir haben nach der Wirtschaftsreform seit zwei Jahren einen Budgetüberschuss. Wir haben die Arbeitslosenrate von 26 auf zwölf Prozent gesenkt und hoffen, dass es bei Jahresende 10,5 Prozent sein werden. Alles in allem: Wir haben unser Ranking in der Staatenliste der Weltbank um 50 Stellen verbessert. Im Vorjahr hatten wir ausländische Investitionen für 2,6 Milliarden Dollar (rund 2,1 Milliarden Euro) als Folge des Privatisierungsprogramm. Zum Vergleich: Kroatien als EU-Mitglied hatte 947 Millionen Dollar (rund 760 Millionen Euro) ausländische Investitionen. Nichtsdestoweniger müssen wir unsere wirtschaftliche Professionalität verbessern und da haben uns Österreich und die Wirtschaftskammer mit Präsident Christoph Leitl sehr geholfen.
Kommen wir zu Bosnien: Der Führer der bosnischen Serben drohte wiederholt mit der Abspaltung seiner Republika Srpska. Sie haben nun in Istanbul den bosnischen Präsidenten getroffen. Heißt das, dass Sie die staatliche Integrität Bosniens anerkennen?
Ich bekomme zu Bosnien immer die gleiche Frage!
... weil sie die Leute interessiert ...
Seit fünf Jahren predige ich landauf, landab und lassen Sie mich die Position der Republik Serbien kristallklar darlegen: Wir unterstützen die territoriale Integrität von Bosnien! Stopp! Wir unterstützen die Integrität der Republika Srpska innerhalb von Bosnien-Herzegowina im Rahmen des Dayton-Vertrages. Wenn man innerhalb von Bosnien irgendetwas ändern möchte, dann ist es einzig die Angelegenheit der drei Nationen, die in Bosnien leben. Wir haben keine anderen Interessen als Friede und Stabilität in der Region und dass sich die Serben und andere in Bosnien sicher fühlen. Mein wirkliches Interesse möchte ich hier den Österreichern darlegen: Ich werde nicht lockerlassen, dass wir in der Region eine echte gemeinsame Wirtschaftszone gründen. Wenn Sie wollen, können Sie es eine "kleine EU am Westbalkan" nennen. Das wird vielleicht einigen nicht gefallen, aber das stört mich nicht. Wir brauchen die gleichen Zollsätze, die gleichen Subventionen für ausländische Investoren. Wir brauchen hier einen Binnenmarkt zwischen unseren Ländern. Stellen Sie sich einmal vor, was ein gemeinsamer Markt am Balkan alles bewerkstelligen könnte! Albaniens Regierungschef Edi Rama stimmt mir zu. Statistiker haben errechnet, dass wir sieben Prozent des Wirtschaftsaufkommens allein dadurch verlieren, dass unsere Lkw an den vielfältigen Grenzen stecken bleiben. Auch die Auswanderung aus unseren Ländern würde sich verringern.
Zum Schluss: In Europa wächst die Besorgnis über den Einfluss des dschihadistischen Islam durch IS-Rückkehrer im Kosovo und in Bosnien - alles sehr nah an Serbien und auch Sie müssten besorgt sein.
Wenn ich das bestätige, werden einige Leute sagen: Der Mann übertreibt und möchte nur die Position seines Landes in einem besseren Licht darstellen. Deshalb versuche ich, so wenig wie möglich über diese Problematik zu reden. Ich kann dazu nur sagen, dass unsere Sicherheitsdienste mit Europa eng zusammenarbeiten.
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