Die ehemalige Frontfrau der Grünen wechselt die Fronten. Im „Krone“-Interview mit Conny Bischofberger spricht Eva Glawischnig (49) über die schwierige Entscheidungsfindung, ihre Identifikation mit einem Glücksspielkonzern und welche Rolle Geld dabei gespielt hat.
Das Novomatic-Forum mit Blick auf den Wiener Naschmarkt. Im zweiten Stock steht Eva Glawischnig am Fenster und atmet die eisige Luft ein. Die Marktstände sind in einen Schleier aus Nebel und Schneeflocken gehüllt. Während die Kollegen von krone.tv ihre Kameras positionieren und im Nebenzimmer ihr Ehemann und der ältere Sohn warten, führen wir ein bisschen Smalltalk. Novomatic als Ort des Dialogs, die Bedeutung von Corporate Responsibility, wie sie sich freue, in einem globalen Konzern Verantwortung zu tragen und so weiter und so fort.
Politiker ihrer ehemaligen Partei zeigten sich entsetzt und empört, als die ehemalige Bundessprecherin am Freitagvormittag ihre Entscheidung bekannt gab. Im Interview erklärt die Ex-Politikerin ihre beruflichen und privaten Gründe.
„Krone“: Alles hätte man erwartet, nur nicht Novomatic. Warum ein Glücksspielkonzern, Frau Glawischnig?
Eva Glawischnig: Das kann ich gut nachvollziehen. Es kommt sicher für viele überraschend, um nicht zu sagen irritierend. Wir haben in der Vergangenheit durchaus unterschiedliche Sichtweisen gehabt, aber so ist es zu einem Dialog gekommen, an dessen Ende folgende Überlegung stand: Warum immer nur von außen kritisieren? Warum nicht selber auch in die Verantwortung gehen?
Novomatic verdient Milliarden mit dem Glücksspiel. Wir können Sie sich mit diesem Gewerbe identifizieren?
Es ist natürlich ein komplett anderes Business, es geht um Freizeit, es geht um Vergnügen, es geht um Entertainment. Viele kritische Punkte haben sich in den letzten Jahren aber maßgeblich verbessert. Dem Konzern ist gesellschaftliche Verantwortung wichtig, ansonsten hätte ich diesen Schritt nicht gesetzt. Und man darf trotzdem nicht vergessen: Das ist ein globaler Konzern, der nahezu 30.000 Menschen Arbeit gibt, Menschen aus 67 Ländern. Das bedeutet auch eine große Verantwortung – mit Jugendspielverbot, Spielerschutz und Präventionsprogrammen.
Sie arbeiten jetzt für Österreichs umstrittensten Konzern. Was sagt Ihr Gewissen?
Risikobereitschaft habe ich immer schon gehabt. Deswegen ist das jetzt eine spannende Reise, die wir da gemeinsam starten. Hätte ich nicht das Vertrauen, dass der Novomatic-Vorstand auch wirklich dahintersteht, dass er einen Change-Prozess auch zulassen will, dann hätte ich es nicht gemacht. Es geht ja um viel mehr als nur das Glücksspiel. Novomatic bietet ja keine Spiele für Kinder an, dennoch stellt sich die Frage: Wie viel Zeit verbringen zum Beispiel Kinder mit Spielen? Das ist eine riesengroße gesellschaftliche Frage. Sich der zu stellen, halte ich für sehr reizvoll.
Stimmt es, dass Sie schon immer in die Industrie gehen wollten?
Es ist natürlich ganz was anderes als das, was ich bisher gemacht habe. Es geht um Freizeit, es geht um Vergnügen, es geht um Entertainment, es gibt aber unterschiedlichste Spielkulturen. Die Briten wetten zum Beispiel ganz anders als die Osteuropäer oder Italiener. Die österreichische Diskussion war sehr begrenzt auf das kleine Glücksspiel. Aber dass dieser Konzern so wahnsinnig viel mehr ist, nämlich eine internationale Erfolgsgeschichte eines Menschen, der aus einfachsten Verhältnissen kommt, ist schon erzählenswert.
Wie lange mussten Sie überlegen und welche Rolle hat Geld dabei gespielt?
Mit Beginn des neuen Jahres waren wir uns eigentlich einig. Zum Geld: In der Politik habe ich mehr verdient als bei Novomatic. Es war also nicht das Geld für mich ausschlaggebend. Außerdem hatte ich auch andere Angebote, teilweise finanziell sogar bessere, sage ich in aller Ehrlichkeit.
Sie haben in der Politik mehr verdient? Dann haben Sie vielleicht schlecht verhandelt …
Darum ist es nicht gegangen. Es waren drei Bereiche, die mich gereizt habe: die Internationalität, die Innovationsfähigkeit, das klare Bekenntnis zum Standort Österreich. Auf globaler Ebene das Management - sowohl von der ökologischen Komponente als auch von der gesellschaftlichen Verantwortung her - wahrzunehmen hat mich einfach sehr gereizt. Ich freue mich auch, dass die Novomatic so mutig war, sich einen kritischen Geist einzuladen.
Mit Niki Lauda in einem Boot zu sitzen, wie fühlt sich das an?
Na ja, ich sitze wenigstens nicht mit ihm in einem Auto. – Lacht. - Aber ich glaube, davor würde ich mich auch nicht fürchten. Niki Lauda ist Markenbotschafter für Novomatic, ich habe einen ganz anderen Aufgabenbereich.
Glauben Sie, dass die Novomatic Sie geholt hat, um ihr Image aufzupolieren?
Diese Wahrnehmung haben vielleicht einige. Aber mein Eindruck ist ein anderer. Der Führung ist es wirklich ernst mit ihrer Verantwortung, mit geplanten Verbesserungen, mit noch mehr Prävention. Denn bevor Menschen in die Spielsucht kippen, müssen sie gesperrt werden. Aber wenn jemand gerne einmal 20 Euro auf Rapid wettet, ist das in Ordnung. Das ist nichts Unanständiges.
Wie werden Sie mit der Häme umgehen, die jetzt kommen wird? Erst wird Novomatic von den Grünen bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft angezeigt, dann geht die ehemalige Grünen-Chefin selbst zu Novomatic.
Es gab in der Vergangenheit sehr wohl Dinge, die kann man wirklich sehr skeptisch sehen kann. Aber diese Vorfälle liegen zehn, zwölf Jahre zurück. Seither hat sich vieles geändert. Ich bin seit acht Monaten eine Privatperson und ich habe diese Entscheidung bewusst getroffen. Natürlich wird es viel Kritik geben, aber das ist in Ordnung.
Kritik zu ertragen lernt man außerdem in der Politik ziemlich gut, stimmt's?
Ja, stimmt. Ohne dicke Haut ist die Halbwertszeit in dem Geschäft nicht wirklich lange. Ich habe einmal gelesen, dass Wildschweine eine noch dickere Haut als Elefanten haben. Vor allem die kampfeslustigen Weibchen, die Bachen, die zur Verteidigung ihrer Jungen alles tun. Dieses Tier ist ein gutes Vorbild.
Sie haben vor knapp einem Jahr die Führung der Grünen abgegeben. Haben Sie diesen Schritt manchmal bereut?
Lange Nachdenkpause. – Nein … Du gibst so viel, wie du geben kannst. Nach neun Jahren an der Spitze war der Zeitpunkt einfach da, wo es nicht mehr möglich war, noch mehr zu geben. Ich habe es damals ehrlich begründet. Ich habe Verantwortung, mir und meiner Familie gegenüber, gesund zu bleiben. Nach 20 Jahren in der Politik wollte ich ein neues Kapitel in meinem Leben aufschlagen. Jeder hat das Recht, einmal etwas ganz anderes auszuprobieren in seinem Leben. Ich bleibe trotzdem im Herzen der Ökologie, dem Umweltschutz, dem sozialen Zusammenhalt verpflichtet.
Sind Ihnen in diesen acht Monaten Dinge passiert, die Sie nicht für möglich gehalten hätten?
Ja, natürlich. Das Verschwinden der Grünen von der Bundesebene hat mich sehr traurig gemacht. Im Jahr 2017/2018 keine Grünen mehr im Parlament zu haben, das ist wirklich so bedauerlich. Ich hoffe, dass der Neustart gelingt, und hoffe, dass das auch manchen bewusst geworden ist, dass da etwas ganz Wesentliches fehlt.
Hatten Sie das Gefühl, dass Sie mitverantwortlich oder sogar mitschuld sind?
Das ist immer schwer zu beantworten. Aber ich hätte es einfach nicht mehr viel länger geschafft. Was mir zum Schluss schon sehr zugesetzt hat, ist die gewachsene Aggressivität, vor allem über Social Media. Deshalb gehen meine Initiativen gegen Hass im Netz weiter und auch meine Facebook-Klage werde ich weiterverfolgen.
Geht es Ihnen gesundheitlich jetzt besser?
Absolut, ja. Es hat sich alles wieder relativ stabilisiert. Ich konnte auch die Zeit mit meiner Familie sehr genießen, das war notwendig und das habe ich auch weiterhin vor. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist übrigens auch diesem Unternehmen ein ganz wichtiges Anliegen ...
Sie haben beim Abschied damals mit den Tränen gekämpft. Wem haben diese Tränen gegolten?
Den Freundschaften, den langjährigen Beziehungen, der Zusammenarbeit. Natürlich, es ist dann beendet, aber der Abschied von Menschen, mit denen man so lange und so weit gegangen ist, war nicht einfach. Deshalb habe ich vor der Bekanntgabe meiner neuen Aufgabe einige ehemalige Kolleginnen und Kollegen angerufen, damit sie es nicht aus der Zeitung erfahren.
Werden Sie mit Ihrer Bekanntgabe, jetzt zu Novomatic zu wechseln, den Grünen am Sonntag in Kärnten schaden?
Wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, das noch länger sozusagen geheim zu halten, hätte ich es getan. Aber das ist nicht mehr möglich gewesen. Die Kärntnerinnen und Kärntner werden aber ohnehin wissen, was sie an den Grünen haben, und sie hoffentlich auch wählen.
Wie sehr verfolgen Sie denn jetzt noch die Tagespolitik?
Natürlich bin ich interessiert und ich bin sehr neugierig, wie sich diese Koalition mit ihren Stolpersteinen weiter gestaltet. Aber ich habe mir vorgenommen, weder Ratschläge zu geben, noch mich zu ärgern. Das ist jetzt alles meine Privatsache.
Haben Sie das Raucherschutzvolksbegehren unterschrieben?
Bis jetzt noch nicht. Habe ich aber jedenfalls vor.
Also Schutz vor Rauchersucht ja, Schutz vor Spielersucht nein?
Es muss Reglements geben. Für das Rauchen, für den Alkohol, für die Kaufsucht, für die Spielsucht. Theoretisch dürfen 15-Jährige nicht rauchen, aber es passiert trotzdem. Verbieten funktioniert nicht, man muss sich überlegen, wie man es reglementiert. Das ist die Herausforderung.
Erlauben Sie mir noch eine Frage zu Peter Pilz?
Bitte sehr.
Als Sie von den Vorwürfen wegen sexueller Belästigung erfahren haben, warum haben Sie ihn als Parteichefin nicht gleich zum Rücktritt aufgefordert?
Das ist eine Sache, die man nur verstehen kann, wenn man weiß, wie das Gleichbehandlungsgesetz funktioniert. Als Arbeitgeberin bin ich nämlich auch zum Opferschutz verpflichtet und wenn die betreffende Person das nicht kommunizieren möchte, bin ich an Verschwiegenheit gebunden. Ich habe mehrfach versucht, davon entbunden zu werden, um das auch politisch klären zu können, aber das ist damals nicht erfolgt. Davor muss man auch Respekt haben.
Was wünschen Sie Peter Pilz?
Denkt sehr lange nach. – Ganz schwer zu sagen, nachdem wir uns schon lange nicht mehr gesehen haben. Ich wünsche ihm jedenfalls Gesundheit und Zufriedenheit in seiner Familie.
VON DEN GRÜNEN ZUM GLÜCKSSPIEL
Geboren am 28. 2. 1969 als Gastwirtstochter in Villach. Nach dem Jusstudium arbeitet sie bei Global 2000, 1996 kommt sie als Umweltsprecherin zu den Grünen. Ab 2008 leitet sie die Partei achteinhalb Jahre lang. Im Mai 2017 zieht sie sich sich „aus gesundheitlichen und privaten Gründen“ aus der Politik zurück. Bei Novomatic wird Glawischnig im Verantwortungsmanagement arbeiten, der Vertrag ist unbefristet. Privat ist die 49-Jährige mit Fernsehmoderator und Musiker Volker Piesczek verheiratet, das Paar hat zwei Söhne.
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
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