„Dass die gesamte Führungsriege des Inlandsgeheimdienstes beurlaubt oder von Hausdurchsuchungen betroffen ist, ist einzigartig in der Republik. Die Bezeichnung ,aufklärungsbedürftig‘ ist für diese Vorgänge ein beschönigender Ausdruck.“ So brachte Ex-Kanzleramtsminister Thomas Drozda (SPÖ) die dubiosen Vorfälle rund um eine Razzia in der Zentrale des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung am Freitag auf den Punkt. Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) versucht sich indes den politischen Turbulenzen der ihm unterstellten Sicherheitsbehörde mit der Erklärung zu entziehen, dass er „der falsche Ansprechpartner“ sei.
Alarmiert von den Ereignissen rund um den Inlandsgeheimdienst BVT (Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung) meldete sich Freitagnachmittag auch der Bundespräsident zu Wort. Alexander Van der Bellen bezeichnete die Vorgänge in der Sicherheitsbehörde als „höchst ungewöhnlich und irritierend“. Er erwarte eine rasche und vollständige Aufklärung. Ähnlich auch die Äußerungen von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Justizminister Josef Moser (ÖVP) und den Oppositionsparteien, die von einem Skandal sprechen.
Auslöser für die Turbulenzen um den Geheimdienst waren Razzien in der Zentrale des Geheimdienstes in Wien-Landstraße und in Wohnungen von Geheimdienstmitarbeitern. Für Kritik sorgt dabei unter anderem, dass diese Durchsuchungen von einer polizeilichen Sondereinheit durchgeführt wurde, die von Wolfgang Preiszler geleitet wird. Preiszler ist nicht nur Polizeimajor, er zählt als FPÖ-Politiker auch zum freiheitlichen Lager von Innenminister Kickl.
Innenministerium verweist auf Staatsanwaltschaft
Im Innenministerium beruft man sich nun darauf, dass man nicht selbst diese spezielle Polizeitruppe unter Leitung eines FPÖ-Funktionärs für die Razzien angefordert hätte, sondern dass das von der Staatsanwaltschaft angeordnet worden wäre. Als Gründe für die Razzien kursieren Hinweise auf ein möglicherweise fragwürdiges Gebaren mit nordkoreanischen Pässen aus österreichischer Produktion im Inlandsgeheimdienst. Untersucht wird zudem der Umgang mit Steuergeld in der Behörde. Dabei ist unter anderem von Privatpartys und anderen Vergnügungen die Rede. Zudem ist von Amtsmissbrauch die Rede und von sexuellen Übergriffen.
BVT-Chef wohl vor Ablöse
Jedenfalls hat sich der bisherige Chef des BVT, Peter Gridling, schon einmal auf Urlaub verabschiedet. Es wird damit gerechnet, dass der Spitzenbeamte nicht mehr in seine alte Funktion zurückkehren wird. Kickl selbst stellte Gridling am Freitagabend infrage und meinte, angesichts der im Raum stehenden Vorwürfe könne er „ja nicht so tun, als ob das nichts wäre“. Den Polizeieinsatz im BVT bezeichnete er als „lupenrein“.
Auch der seit Jahren einflussreichste Beamte des Innenministeriums, Präsidialchef Michael Kloibmüller, hat sich jetzt für einen raschen Wechsel in die Privatwirtschaft entschieden. Er werde zu einem Unternehmen nach Niederösterreich gehen, heißt es. In St. Pölten verfügt Kloibmüller über beste Kontakte. Kloibmüller war bereits Diener vieler Herren und Herrinnen – unter anderem bei Ernst Strasser, Liese Prokop, Johanna Mikl-Leitner und Wolfgang Sobotka – alle Innenministerinnen und Innenminister aus Niederösterreich.
Extremismusdateien kopiert?
Seltsam ist im Zusammenhang mit den Polizeirazzien bei den Geheimdienstlern auch die seit der Nacht auf Freitag kursierende Geschichte, dass bei dieser Gelegenheit diverses Datenmaterial aus der Extremismus-Abteilung beschlagnahmt worden sein soll. Dazu gab Christian Pilnacek, Generalsekretär im Justizministerium, am Freitag die wenig erhellende Erklärung, dass das Innenministerium auf das Material keinen Zugriff habe. Die Daten würden sich in einem besonders gesicherten Raum der Staatsanwaltschaft befinden.
Von den Oppositionsparteien befeuert, setzte sich unterdessen die Version fest, dass die merkwürdigen Vorgänge rund um den Inlandsgeheimdienst BVT das Ergebnis „einer politischen Umfärbeaktion“ seien. Auch von einem Machtkampf und von Intrigen unter Spitzenbeamten von ÖVP und FPÖ ist die Rede. Eine Sondersitzung des Nationalrats zur Aufklärung der Affäre wurde noch am Freitag einberufen.
Kommentar von Claus Pándi: Fake News als neues Gütesiegel
Die mysteriöse Geschichte über die Razzia einer Spezialeinheit der Polizei bei einer anderen Sicherheitsbehörde, dem Verfassungsschutz, ist ein Leckerbissen für alle Verschwörungstheoretiker. Die abenteuerliche Story im Wiener Regierungsviertel handelt von nordkoreanischen Pässen „made in Austria“, kopiertem Datenmaterial über rechte Extremisten, sexuellen Übergriffen, Intrigen unter Spitzenbeamten, möglichen politischen Umfärbeaktionen und veruntreutem Steuergeld.
So richtig blickt bei der Sache keiner durch. Klar ist nur, dass nach Lage der Dinge in Österreichs innerer Sicherheit derzeit das blanke Chaos herrscht. Jetzt aber gleich von einer Staatskrise zu reden, wie das schon einige tun, wäre übertrieben. Die Ursachen könnten ganz banaler Natur sein. Blödheit etwa. Verunsichernd genug.
Wenig zur Beruhigung beigetragen hat die Erklärung aus dem Büro des Innenministers, dass es sich bei den Berichten über die Vorgänge in den Führungsetagen der Staatssicherheit um Fake News handelt. Die inflationäre Zuschreibung Fake News für politisch unliebsame Meldungen (Anm. durch Innenministeriums-Generalsekretär Peter Goldgruber) entwickelt sich immer mehr zu einem Gütesiegel für echte Wahrheiten professioneller Medien in diesen turbulenten Zeiten des Nonsens aus den Tiefen des Internets. Eine Politik, die nicht einmal mehr ansatzweise er- und aufklärt, sondern reflexhaft jede Kritik mit dem Kampfbegriff „Lügenpresse“ denunziert, wird als „Lügenpolitik“ scheitern.
Kronen Zeitung
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