Eine Welt aus Leid

Polstermord: „Ich tötete sie aus Liebe“

Österreich
25.03.2018 06:00

Leni G. litt an chronischen Schmerzen, konnte kaum essen, galt als Pflegefall. Zuletzt soll sie ihren Mann um Sterbehilfe gebeten haben. Und er erstickte sie mit einem Polster. Die Geschichte eines Ehepaars, das gefangen war in einer Welt, in der es bloß noch Leid zu geben schien.

Die letzten Stunden im Leben von Maria Magdalena G. sind genauso verlaufen wie die Wochen, Monate und Jahre davor. Die 66-Jährige hatte starke Schmerzen, sie verweigerte das Essen, sie war depressiv. Aber am 6. März ist ihre Verzweiflung besonders groß gewesen. Am nächsten Tag sollte ein Arzt zu ihr nach Hause, in ihre 74-Quadratmeter-Wohnung im steirischen Mariazell, kommen und ihren physischen Zustand begutachten. Eine Spitalseinweisung schien wahrscheinlich. Denn die Frau wog bei 163 Zentimeter Körpergröße bloß noch 34 Kilogramm.

(Bild: Andi Schiel)

Leni hatte panische Angst
2014 war sie gestürzt, hatte sich dabei mehrere Knochenbrüche zugezogen, die nie wirklich verheilten. Jede Bewegung, jede Berührung tat ihr weh, sie wusch sich deshalb nur selten. Hinzu kam, dass 2017 bei einer Narkotisierung ihr Gebiss gebrochen war. „Wir hatten nicht genug Geld für ein neues“, sagt ihr Ehemann Erich jetzt in Verhören, „deshalb wurde das alte notdürftig repariert. Und Leni hatte panische Angst davor, dass es völlig kaputt gehen könnte.“ Weshalb sie sich keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen traute. Das Paar, seit 1984 verheiratet, kinderlos, beide Mindestrentner; er war einst Koch, sie Kellnerin. „Wir haben früher prima verdient, aber zu wenig für die Pension gespart.“

Zurück zu den Ereignissen vom 6. März: Laut Erich G. sei seine Frau „in einer extrem traurigen Stimmung“ gewesen: „Denn sie fürchtete sich vor einer Zwangsbehandlung.“ „Längst“, so der 67-Jährige weiters, „wussten Leni und ich, dass es für uns keine Hoffnung mehr gab.“ Wegen der ständig schlimmer werdenden gesundheitlichen Probleme der Frau. Wegen der finanziellen Schwierigkeiten der beiden. „Wegen der damit verbundenen Unmöglichkeit, Leni privat von Spezialisten untersuchen zu lassen.“

In diesem Mehrparteienhaus kam es zum Mord. (Bild: APA/JOSEF KUSS)
In diesem Mehrparteienhaus kam es zum Mord.

„Sie wollte, dass ihr Drama beendet wird“
Erich G.: „Und so kam es, dass wir über eine finale Lösung unseres Dramas zu sprechen begannen. Leni sagte, ich solle kein Gift verwenden, weil dann die Schmerzen vor dem Tod fürchterlich sein würden. Aber sie redete nie genau über das Wie und Wann. Sie bat mich, die Sache in die Hand zu nehmen. Sie von ihrem Leid zu erlösen. Auf eine humane Weise, zur richtigen Zeit.“

Nein, behauptet der Mann, er habe „dazu keinen Plan im Kopf gehabt, bis zuletzt nicht“. Also sei alles „wie immer verlaufen“, zunächst, am Abend des 6. März. „Meine Frau und ich legten uns gegen 20 Uhr zu Bett, sie nahm ein starkes Beruhigungsmittel, ich las noch ein wenig in einem Roman. Um etwa ein Uhr Früh wurde ich wach. Ich hörte Leni wimmern. Und da wurde mir bewusst, dass ich ihr endlich helfen musste.“

(Bild: Andi Schiel)

„Wollte mir mit Rasierklingen die Pulsadern aufschlitzen“
Erich G. wartete, bis die 66-Jährige ruhiger wurde, „als ich merkte, dass sie wieder schlief, nahm ich meinen Polster und drückte ihn gegen ihr Gesicht. Bis sie tot war.“ Und danach? „Schaute ich sie an, ihre Augen waren geschlossen, sie sah aus, als hätte sie ihren Frieden gefunden. Ich legte unser Hochzeitsfoto auf ihren Oberkörper, die Bibel auf ihr Nachtkästchen - und am Boden, neben sie, eine Decke. Dort wollte ich mir mit Rasierklingen die Pulsadern aufschlitzen.“

Doch schon vor dem ersten Schnitt habe ihn der Mut zum Selbstmord verlassen, „darum ging ich in den Keller und holte eine Flasche Whisky. Ich setzte mich anschließend ins Wohnzimmer und begann mich zu betrinken. Weil ich dachte, dass ich es im Rausch schaffen würde, mich zu töten. Aber ich schlief ein.“ Am Morgen des 7. März ein Anruf von einer Nichte. Erich G. wurde durch das Läuten munter, er weinte ins Telefon: „Ich hab‘ die Leni umgebracht.“

„Ohne Leni hat mein Leben keinen Sinn“
 Widerstandslos ließ sich der 67-Jährige festnehmen, er sitzt nun unter Mordverdacht in der Justizanstalt Leoben in U-Haft. „Leni und ich hatten es lange sehr schön miteinander“, sagt der Mann, „aber am Ende bedeutete unser Dasein nur noch Qual für uns beide.“ Abgeschottet von der Außenwelt; vereinsamt, seitdem die Frau zu einem Pflegefall geworden war. Gefangen in dem Glauben, dass die Zukunft noch mehr Leid bringen würde. „Ohne Leni hat auch mein Leben keinen Sinn mehr“, schluchzt Erich G.: „Aber ich weiß, dass ich irgendwann wieder bei ihr sein darf. Und der Gedanke daran beruhigt mich.“

„Es war kein Mord“
 Erich G. wird von der Grazer Anwältin Karin Prutsch verteidigt: „Mein Klient hat die Tat auf Verlangen seiner Frau begangen. Aus Mitleid und Liebe. Im Fall einer Mordanklage ist von einer aktiven Sterbehilfe auszugehen. Dieser Milderungsgrund könnte zu einer massiven Strafmilderung - Untergrenze ein Jahr Haft - führen.“ Und damit zu einem Präzedenzurteil.

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