Wut über Assad-Dekret

Enteignete Syrer: Kehren sie nie wieder zurück?

Ausland
11.05.2018 17:27

Unter syrischen Flüchtlingen sorgt ein neues Gesetz für Aufruhr, das der Regierung in Damaskus die Enteignung von Landbesitz erlaubt, wenn sich die Eigentümer nicht zügig melden. Experten warnen, dass das als Dekret 10 bekannte Gesetz Millionen Vertriebene ihre Wohnungen, Häuser und Grundstücke kosten kann, da sie kaum Möglichkeiten haben, rechtzeitig ihre Ansprüche geltend zu machen. Auch die deutsche Regierung fürchtet, dass sich das Gesetz negativ auf die Rückkehr der Flüchtlinge auswirken wird.

Dekret 10 erlaubt es der Regierung, Stadtentwicklungsgebiete auszuschreiben, in denen die Besitzer enteignet werden können. Im Gegenzug erhalten sie Anteile an dem neuen Immobilienprojekt. Derartige Regelungen sind weltweit üblich zur Entwicklung vernachlässigter oder zerstörter Gebiete, doch wird befürchtet, dass die Umsetzung des Gesetzes in Syrien zu erheblichem Missbrauch führen wird.

„Möglichkeiten zum Missbrauch riesig“
„Wir sind besorgt, weil die Möglichkeiten zum Missbrauch riesig sind“, sagt die Syrien-Expertin Sara Kayyali von Human Rights Watch (HRW). Viele Betroffene fürchteten, im Fall einer Enteignung nicht mehr in die Heimat zurückkehren zu können. Fünf Millionen Syrer sind ins Ausland geflohen, sechs Millionen weitere sind im Inneren auf der Flucht. Ihre Ansprüche geltend zu machen, ist für sie oft unmöglich.

Viele Vertriebene werden kaum rechtzeitig von ihrer drohenden Enteignung erfahren, andere wagen sich nicht nach Syrien zurück, um bei den Behörden ihre Ansprüche anzumelden. Die meisten Flüchtlinge haben zudem auf der Flucht ihre Besitznachweise verloren - wenn sie jemals welche hatten. Viele Stadtviertel in Syrien sind aus informellen Siedlungen entstanden, sodass es keine Besitztitel gibt.

Viele hatten auch vor dem Krieg keinen Grundbucheintrag
Laut einem Bericht des Norwegian Refugee Council (NRC) von 2016 hatte „ein bedeutender Teil“ der Syrer selbst vor dem Krieg keinen Eintrag im Grundbuch, und viele Katasterämter wurden seitdem zerstört. „Der Verlust dieser Dokumente kann die Besetzung und die Übertragung von Besitz an andere Individuen und kommerzielle Interessen ermöglichen“, warnte die Hilfsorganisation.

Laut Dekret 10 müssen die Behörden alle betroffenen Eigentümer einen Monat nach Ausschreibung eines Entwicklungsgebiets informieren. Wer einen Grundbucheintrag hat, erhält automatisch neue Besitzanteile, alle anderen müssen binnen 30 Tagen ihre Ansprüche nachweisen. Laut einer NRC-Umfrage unter syrischen Flüchtlingen in Jordanien waren aber nur in jedem fünften Haushalt Besitzdokumente vorhanden.

Das Flüchtlingslager Azraq in Nordjordanien - seit Jahren Heimat für Zehntausende Syrer (Bild: AFP PHOTO/KHALIL MAZRAAWI)
Das Flüchtlingslager Azraq in Nordjordanien - seit Jahren Heimat für Zehntausende Syrer

Diana Semaan von Amnesty International kritisiert, dass das Dekret 10 in keiner Weise auf die Situation der Millionen Flüchtlinge eingehe. „Es geht an die Frage heran, als wenn nichts geschehen wäre und alle in Syrien wären und jemandem eine Vollmacht erteilen oder selbst kommen könnten, um ihre Ansprüche geltend zu machen“, sagt Semaan. „Nichts in dem Gesetz garantiert ihre Sicherheit.“ Die vorgesehene Entschädigung für enteignete Immobilien sei „nicht fair“, da sie nicht deren realem Wert entspreche.

Deutschland bangt: „Zynisches Ansinnen erschwert Rückkehr der Flüchtlinge“
Die syrische Opposition wirft der Regierung vor, mit rechtlichen Mitteln die Bevölkerungsstruktur verändern zu wollen. Schon 2012 erlaubte ein Gesetz der Regierung, jeden zu enteignen, der des „Terrorismus“ verdächtigt wurde. Der syrische Anwalt Hussein Bakri warnt, dass Syrer kaum wagen werden, bei den Behörden für Vertriebene Besitzansprüche geltend zu machen, wenn diese als „Verräter“ gelten. Auch die deutsche Regierung warnt, dass mit dem Dekret „die Verhältnisse zugunsten des Regimes und seiner Unterstützer verändert werden sollen“. „Damit wird auch die Rückkehr der Flüchtlinge erschwert“, sagt Vize-Regierungssprecherin Ulrike Demmer. Deutschland überlege mit seinen Partnern, „wie wir ein solch zynisches Ansinnen verhindern können“.

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