Urteil im Prozess

Lebenslange Haft und Einweisung für Estibaliz C.

Österreich
22.11.2012 19:05
Im Wiener Straflandesgericht ist am Donnerstagabend einer der spektakulärsten und aufsehenerregendsten Prozesse in der österreichischen Justizgeschichte zu Ende gegangen: Estibaliz C. wurde nach viertägiger Verhandlung im sogenannten Kellerleichen-Prozess einstimmig wegen Doppelmordes für schuldig erkannt und zu lebenslanger Haft verurteilt. Zusätzlich wird die 34-jährige Spanierin wegen einer schweren Persönlichkeitsstörung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

Estibaliz C. hatte gestanden, im April 2008 ihren Ex-Mann Holger H. und im November 2010 ihren damaligen Lebensgefährten Manfred H. erschossen, zerstückelt und im Keller ihres Eissalons "Schleckeria" in Wien-Meidling einbetoniert zu haben. Im Juni 2011 schließlich waren die sterblichen Überreste der Opfer bei Installationsarbeiten zufällig entdeckt worden.

Bei der nunmehrigen Strafbemessung wurden das Geständnis der 34-Jährigen und ihre "erhebliche psychische Beeinträchtigung" mildernd gewertet, wie die Vorsitzende Richterin Susanne Lehr darlegte. Erschwerend schlugen sich demgegenüber das Nachtatverhalten (das Zerstückeln und Verschwindenlassen der Leichen, Anm.), die reifliche Planung sowie die für die Opfer vollkommen überraschenden Angriffe zu Buche.

Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet
Die 34-Jährige hinterließ bei der Urteilsverkündung einen gefassten Eindruck und nahm die Höchststrafe ohne nach außen hin ersichtliche emotionale Bewegung zur Kenntnis. Auf die Frage der Richterin, ob sie das Urteil verstanden habe, erwiderte Estibaliz C. mit leichtem Kopfnicken: "Ich habe verstanden." Nach Rücksprache mit ihren Rechtsvertretern meldete sie Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an. Das Urteil ist somit nicht rechtskräftig.

Verteidiger rügt "Zurschaustellung der sterblichen Überreste"
Verteidiger Rudolf Mayer meinte nach der Urteilsverkündung, dass die Powerpoint-Präsentation des Gerichtsmediziners Johann Missliwetz am Mittwoch entscheidend dafür gewesen sei, dass Estibaliz C. nun in erster Instanz die Höchststrafe ausfasste. Missliwetz hatte bei der Erörterung seines Gutachtens u.a. die mit einer Motorsäge abgetrennten Köpfe der Mordopfer in Großaufnahme auf eine Leinwand projiziert (siehe Infobox).

Eine Vorgangsweise, die Mayer nicht goutierte: "Es war nicht nötig, die Zerstückelung der Leichen so in den Vordergrund zu rücken, dass die Morde vom Nachtatverhalten überlagert worden sind." Diese Art der "Zurschaustellung der sterblichen Überreste" der Opfer habe "der sachlichen Aufklärung nicht geholfen, jedoch die negative Stimmung bei den Geschworenen gefördert".

"Ich kann nicht mehr sagen, als dass es mir leid tut"
Da nützten auch die Tränen der Angeklagten nichts, die bei ihren Schlussworten reichlich flossen. Ehe sich die Geschworenen um 16.45 Uhr zu ihren nicht lange dauernden Beratungen zurückzogen, sagte Estibaliz C. schluchzend: "Ich kann nicht mehr sagen, als dass es mir leid tut, dass ich Holger und Manfred das Leben genommen habe."

Psychiaterin: "Ihr war immer klar, was Recht und Unrecht ist"
Am letzten Verhandlungstag hatte die psychiatrische Sachverständige Adelheid Kastner klargestellt, dass sich Estibaliz C. zum Tatzeitpunkt in einem zurechnungsfähigen Zustand befunden habe. "Es ist keine Ursache fassbar, warum sie zurechnungsunfähig sein sollte. Es war ihr immer klar, was Recht und Unrecht ist", sagte die Gutachterin über die 34-Jährige. Die erste inkriminierte Tathandlung sei ebenso wie die zweite "ganz klar kein Affektdelikt" gewesen, so Kastner. Bis es dazu kam, sei eine "lange Entwicklung" abgelaufen. Auch der Versuch, die Taten zu verbergen, spräche gegen Affektdelikte.

C. sei in einem schwierigen familiären Umfeld aufgewachsen: "Frauen waren die, die zu gehorchen hatten. Die Männer bestimmten, was geschah." Den Vater habe männliche Dominanz ausgezeichnet. Ihm sei eine unterwürfige, dankbare Mutter gegenübergestanden, führte Kastner aus. Estibaliz C. habe aus dieser Konstellation gelernt, man müsse für Männer möglichst attraktiv sein, um den Partner halten zu können: "Man muss ihn mit entsprechendem Liebreiz bedienen."

"Immer wieder in defizitäre Partnerschaften geraten"
Die Angeklagte habe diese "Rechenformel" für sich verinnerlicht und sich in weiterer Folge immer wieder "getrieben von der eigenen Bedürftigkeit den Nächstbesten genommen", erläuterte Kastner. Den Richtigen habe Estibaliz C. aber nicht gefunden: "Es ist unglaublich, in wie viele defizitäre Partnerschaften die Frau geraten ist." Die 34-Jährige habe vergeblich "bedingungslose Akzeptanz als Gegenleistung für bedingungslose Unterwerfung erwartet". Eine herkömmliche Trennung, ein schlichtes Verlassen der Männer, die sie nicht glücklich machten, sei Estibaliz C. nicht möglich gewesen. Sie habe das "nicht gelernt", betonte Kastner. C. leide unter einer "gravierenden, umfassenden, vielgestaltigen Persönlichkeitsstörung".

"Aus-dem-Weg-Räumen" als Lösung
In der Ehe mit Holger H. habe Estibaliz C. "leider erleben müssen, dass die Rechnung wieder nicht aufgegangen ist". Der Mann sei nicht so gewesen, wie sie es sich erwartet hätte. C. hätte von ihm "pausenloser Bestätigung" für ihr Selbstwert-Gefühl bedurft, diese aber nicht erhalten. In ihrem Denken habe H. das freie Leben mit einem anderen blockiert, "indem er einfach da war". In dieser Situation sei Estibaliz C. "die Tötung, das Aus-dem-Weg-Räumen dieses Menschen" als Lösung erschienen, so die Gutachterin. 

Diese Möglichkeit habe die Frau längere Zeit durchgespielt und von einer Fantasie zur Gewissheit entwickelt. Laut Kastner lag eine "trichterförmige Einengung auf eine absehbare Tat" vor: "Es war eine Welle, die kommt und immer stärker wird." Die Tat an sich habe die Angeklagte zielgerichtet vollbracht. "Sie verliert nicht den Kopf. Sie verliert sich in Emotionen", sagte die Psychiaterin über Estibaliz C.

Bei ihrem Lebensgefährten Manfred H. habe sie sich ähnlich gefangen gefühlt. Wiederum sei sie an einen Mann gebunden gewesen, "der ihr beileibe nicht das geboten hat, was sie gebraucht hat". H. habe der Frau immer mehr Nähe und Zuwendung entzogen. Erneut sei "die Welle" mit der Tötungsfantasie gekommen. Kastner: "Nach der ersten Tötung war Frau C. bewusst, dass sie dazu fähig ist. Sie war beim zweiten Mal ganz sicher nicht mehr überrascht, dass sie dazu fähig ist."

Gutachterin mit düsterer Zukunftsprognose
Kastner sprach sich für die Einweisung in eine Anstalt für abnorme Rechtsbrecher aus. Estibaliz C. leide an einer höhergradigen seelisch-geistigen Abartigkeit. Die Gutachterin bescheinigte der 34-Jährigen eine ausgesprochen düstere Zukunftsprognose. Eine "weitere Tatbegehung" liege bei ihr "bei realistischer Betrachtung nahe". Kastner bezifferte die statistische Wahrscheinlichkeit, dass C. in den nächsten zehn Jahren neuerlich eine Straftat mit schweren Folgen begehen wird, mit 31 Prozent. Estibaliz C. könne "von sich aus schlecht aus ihren Mustern heraus. Die Mechanismen sind vorhanden. Die werden sie fast zwingend wieder in solche Situationen führen", sagte Kastner.

Ob bei der an sich therapiebedürftigen Frau therapeutische Maßnahmen überhaupt wirken, ließ die Sachverständige offen. Dafür sei die Bereitschaft erforderlich, sich einer Therapie zu stellen. Ob eine solche bei Estibaliz C. gegeben ist, erschien Kastner fraglich. In der U-Haft habe die 34-Jährige zwar psychiatrische Hilfe in Anspruch genommen - dies aber nicht, um gegen ihre ausgeprägte Persönlichkeitsstörung anzugehen, sondern um "die Erinnerung an schieres Grauen" zu bekämpfen, so die Sachverständige.

Anklägerin: "Was muss das für ein Mensch sein?"
Staatsanwältin Petra Freh hatte in ihrem Schlussplädoyer gemeint, Estibaliz C. habe "hinterhältige, heimtückische, grauenhafte Morde gemacht". "Was muss das für ein Mensch sein, der zu derart grauenhaften Taten fähig ist?", fragte die Anklägerin. Sie bezeichnete die Angeklagte als "komplette Lügnerin", die "perfekt im Manipulieren anderer" sei. Estibaliz C. sei eine hochintelligente Frau, die wenig Reue über ihre Taten verspüre, und zudem eine "brandgefährliche Frau, die bereit ist, für ihren Vorteil alles zu tun". Infolge ihrer Persönlichkeitsstörung bedürfe die 34-Jährige einer "entsprechenden Behandlung", ansonsten werde sie "weiterhin morden".

Verteidiger: "Geben Sie ihr einen Funken Hoffnung"
Verteidiger Mayer hatte in seinem Schlussvortrag das Schwurgericht ersuken Hoffnung." Mayer erwähnte die Giftmischerin Elfriede Blauensteiner, die er seinerzeit ebenfalls vertreten hatte: "Doch diese Person war kaltherzig, eiskalt, grausam und nur auf den Profit aus." Estibaliz C. hingegen leide "an vielen falschen Emotionen, die man ihr aufgezwungen hat". Zudem habe seine Mandantin auch keine "grauenhaften Morde" begangen, wies der Anwalt die Ausführungen der Staatsanwältin zurück: "Es waren Schussmorde, wo die Opfer sofort tot sind."

"Mein Vater ist heute ein anderer Mensch"
Sollte das Urteil rechtskräftig werden, wird Estibaliz C. ihre Strafe hier in Österreich, im Frauengefängnis Schwarzau, absitzen. Sie könnte zwar den Antrag stellen, in ein spanisches Gefängnis überstellt zu werden - schließlich lebt ihr zehn Monate alter Sohn, den sie mit ihrem jetzigen Ehemann hat, bei ihren Großeltern in Spanien -, aber das wird sie nicht machen, wie Mayer sagte.

Dass ihr Kind jetzt bei jenen Eltern lebt, die als "Wurzel ihrer geschädigten Persönlichkeit" gelten, erklärte die 34-Jährige vor Gericht übrigens so: "Mein Vater ist heute ein anderer Mensch, er ist der liebste Opa. Wäre er damals schon so gewesen, säße ich heute nicht hier."

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