Vielleicht sogar über Jahre sollen sie völlig wehrlose Patienten gequält haben. Nach außen hin verhielten sich die Täter unauffällig. "Aber bei ihren Verbrechen fühlten sie sich gottgleich", sagt eine Psychiaterin.
Vergangener Donnerstag, am späten Vormittag, im Pflegeheim Clementinum im niederösterreichischen Kirchstetten. In einer Aufenthaltsinsel neben dem Gang im zweiten Stock sitzen auf Rollstühlen gesundheitlich schwer angeschlagene Menschen. Sie leiden an Demenz, haben mit den Folgen schwerer Schlaganfälle zu kämpfen oder sind im Wachkoma. Ihr Anblick ist herzzerreißend.
Zwei Pflegerinnen kümmern sich um die Patienten. Gehen vom einen zum anderen, streichen ihnen sanft über die Köpfe, reden freundlich mit ihnen - ohne zu wissen, ob ihre Worte überhaupt wahrgenommen werden.
"Auch für uns kaum verkraftbar"
"Wir tun alles, um unseren Schützlingen ihr Leben so erträglich wie möglich zu machen", sagt später, vor dem Gebäude, eine Krankenschwester, und sie hat dabei Tränen in den Augen. Schlimm, so schrecklich schlimm, was hier geschehen sein soll, "vor unseren Augen, ohne dass wir davon etwas ahnten. Der Skandal ist auch für uns kaum verkraftbar."
Grauenvolle Misshandlungen
Der Skandal ... Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass im Clementinum, vermutlich über Monate, wenn nicht sogar über Jahre hinweg, Heimbewohner aufs Grauenhafteste gequält wurden. Haarspray sei ihnen in die Augen gesprüht, Kot in den Mund gerieben worden. Besenstiele hätten als Folterwerkzeuge gedient - und ätherischer Alkohol, vergossen auf empfindlichen Körperstellen; Schleimhäuten, Wunden.
Die Opfer: nach derzeitigem Ermittlungsstand acht besonders hilflose Frauen und Männer; unfähig, sich zu artikulieren, über die Angriffe auf sie zu berichten. Die Täter: vier Pflegerinnen und ein männlicher Gehilfe.
Beschuldigte: "Haben wegen Intrige Jobs verloren"
Die Beschuldigten sagen zur "Krone", sie würden zu Unrecht verdächtigt: "Wir haben immer nur brav unsere Arbeit getan und wegen einer schrecklichen Intrige unsere Jobs verloren."
Die Fahnder sehen das anders. Zu eindeutig sind die Verletzungen, die an den Bettlägrigen festgestellt wurden. Sie reichen von Verätzungen bis zu massiven Hämatomen. Ins Rollen gekommen war der Fall durch die Tochter einer Betroffenen. Sie hatte über Wochen blaue Flecken an den Oberarmen, am Becken und im Gesicht ihrer Mutter festgestellt - und in der Vorwoche bei einer Heimbediensteten Alarm geschlagen.
Interne Erhebungen begannen, Krankenakten wurden geprüft. Schnell war klar, dass Patienten vorwiegend dann "krank" wurden, wenn ein bestimmtes Team in der Nacht davor Nachtdienst versehen hatte. "Die Situation im Clementinum, wenn es dunkel wird, ist anders als untertags", so eine Pflegerin. Ohnehin herrsche Personalmangel, "und es kommt schon vor, dass wir manchmal bloß zu sechst für 100 Bewohner zuständig sind".
Überfordung und geringes Selbstwertgefühl als Motive
Überforderung, wenig Freude im Leben, ein geringes Selbstwertgefühl - für Psychiaterin Sigrun Roßmanith der Nährboden für sadistische Tendenzen. "Pflegekräfte, die ihre Aggressionen an Wehrlosen auslassen, gibt es leider immer wieder", sagt sie. Berufsbedingt gehören mehr Frauen als Männer zu dieser Tätergruppe: "Weil sie in der Regel eher dazu bereit sind, niedrige Dienste auszuüben."
Was empfinden die Betreffenden bei ihren Verbrechen?
"Lust. Indem sie Schwächere quälen, stellen sie sich selbst auf ein Podest. Mit jedem Delikt fühlen sie sich mächtiger, irgendwann sogar gottgleich."
Wie verhalten sie sich sonst, im Kontakt mit Kollegen, mit ihrer Familie?
"Meist völlig unauffällig. Darum werden sie ja auch oft erst so spät überführt."
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