6000 Mann stark

So manipuliert Erdogans Propaganda-Armee das Netz

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15.12.2016 06:08

"Twitter und solche Sachen werden wir mit der Wurzel ausreißen." Dieses Zitat aus dem Jahr 2014 stammt vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Heute nutzt er den Dienst selbst und beschäftigt eine 6000 Mann starke bezahlte Propaganda-Armee, die das Stimmungsbild in den sozialen Medien nach seinen Wünschen formt. Das geht aus E-Mails aus dem Umfeld Erdogans hervor, die von der Enthüllungsplattform WikiLeaks veröffentlicht wurden.

Die E-Mails haben oppositionelle türkische Hacker einem Bericht der Tageszeitung "Welt" zufolge bei einem Cyber-Einbruch bei Erdogans Schwiegersohn, Energieminister Berat Albayrak, erbeutet.

Sie spielten die Mails WikiLeaks zu, wo sie seit einigen Tagen von jedermann durchsucht und analysiert werden können. Die Informationsbombe hat reichlich Sprengkraft, legt nicht nur nahe, dass die türkische Regierung von Waffentransporten des IS gewusst haben soll, sondern zeigt auch anschaulich, wie Erdogans Regierung die letzte Bastion ihrer Kritiker unter Kontrolle zu bringen versucht: die sozialen Medien.

Unterwanderung begann bereits 2013
Um die Strategie Erdogans und seiner Partei AKP zu verstehen, muss man zurück ins Jahr 2013 blicken. Damals gingen in Istanbul zahlreiche Studenten und Oppositionelle auf die Straße, bei den Protesten im Gezi-Park äußerten sie lautstarke Kritik an der Regierung.

Für Erdogan war das Neuland: Während man - heute noch weit mehr als vor drei Jahren - unliebsame Journalisten und kritische Medien unter Kontrolle wähnte, organisierten sich Regierungsgegner einfach über das Internet. Erdogan und seine Partei sprachen damals von "Desinformation und Provokation", wollten die "Plage namens Twitter" mit allen Mitteln bekämpfen - etwa durch Sperren.

Für Erdogans Kritiker sind soziale Medien ein enorm wichtiges Kommunikationsmittel. (Bild: APA/AFP/YASIN AKGUL)
Für Erdogans Kritiker sind soziale Medien ein enorm wichtiges Kommunikationsmittel.

So argumentierte man nach außen hin. Intern war man sich längst im Klaren darüber, dass man soziale Medien nicht durch Sperren kontrollieren kann, sondern sich andere Strategien überlegen muss. In den Mails heißt es, man müsse ein Mittel finden, um die "Dominanz" der Oppositionellen im Netz zu brechen. Die Idee für die geheime Propaganda-Armee des Recep Tayyip Erdogan war geboren.

Vom Social-Web-Kritiker zum Nutznießer
Ab diesem Zeitpunkt ändert sich das Verhältnis Erdogans zu sozialen Medien. Statt sie zu sperren, versucht er sie nun für sich einzunehmen.

Noch 2013 hat Erdogans Regierung dafür offenbar eine Propaganda-Armee aus 6000 bezahlten Informationssöldnern ins Leben gerufen, die im Netz die öffentliche Meinung manipulieren soll.

(Bild: APA/EPA/Karl-Josef Hildenbrand)

Seit eineinhalb Jahren twittert Erdogan, einst einer der schärfsten Kritiker sozialer Medien, nun sogar selbst - und zeigte schließlich beim missglückten Putschversuch im Juli 2016 ironischerweise, dass er jetzt selbst Massen mobilisieren kann.

Doch Erdogan ist nur ein Faktor der türkischen Propagandamaschinerie im Netz. Seine Propagandisten sind auf Twitter, Facebook und anderen sozialen Medien schon deutlich länger aktiv, versuchen den Mails zufolge seit 2013, "direkt in die virtuelle Welt der Individuen einzudringen, um zu ihrer Stimme, ihrem Übersetzer und Analysten" zu werden.

Ähnliche Strategie wie Putin
Dieses Ziel versuchen Erdogans 6000 Informationskrieger auf die gleiche Art zu erreichen wie jene des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Sie säen Zwietracht im Netz, unterstützen ihren Auftraggeber mit wohlmeinenden Postings, verunglimpfen seine Gegner und befeuern Ängste unter seinen Unterstützern.

Dabei gilt für Erdogan wie für Putin: Die Propaganda im Netz ist nicht auf die Bürger im eigenen Land beschränkt, bezahlte Meinungsmacher haben auch Einfluss auf das Stimmungsbild im Ausland.

Zwar mag nicht jeder Erdogan-Fan, der im Netz dem türkischen Präsidenten huldigt, auch von diesem bezahlt werden, doch es ist gut denkbar, dass manch ein Internetnutzer erst durch die Propaganda von Erdogans Social-Media-Trupp zu jenen Anschauungen kommt, die er dann umso lautstärker vertritt.

Verhalf Putin Trump zum Wahlsieg? (Bild: thinkstockphotos.de, AFP/NICHOLAS KAMM, AFP/NICHOLAS KAMM)
Verhalf Putin Trump zum Wahlsieg?

Erdogans Truppe: Professionelle Manipulatoren und Bots
Die Meinungsmache läuft dabei hoch professionell: Programmierer, Grafiker, Texter und Experten für psychologische Kriegsführung sind in Erdogans Propaganda-Armee vertreten, außerdem soll der Präsident - genau wie sein neu gewählter US-Amtskollege Donald Trump im Wahlkampf - im großen Stil auf sogenannte Twitter-Bots setzen.

Dabei handelt es sich um Computerprogramme, die in sozialen Netzwerken vorgeben, echte Personen zu sein, und im Auftrag ihrer Herren die öffentliche Meinung mit automatisierten Beiträgen manipulieren. Auch bei der Brexit-Kampagne spielten solche Bots eine wichtige Rolle im Kampf um die Meinungshoheit.

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