Fassungslosigkeit herrscht in Nußdorf am Attersee in Oberösterreich. Niemand kann begreifen, warum eine beliebte Lehrerin (38) ihren neunjährigen Sohn tötete und dann selbst sterben wollte. Sie konnte, wie berichtet, gerettet werden, soll am Montag zum Motiv einvernommen werden. Der Pfarrer sprach bei der Sonntagsmesse von einem "tödlichen Unglück".
"Wir beten jetzt für Pauli, der tödlich verunglückt ist!" Pfarrer Thomas Adamu vermied bei der Sonntagsmesse in der Kirche von Nußdorf das Wort getötet, ehe er die Totenglocke schlagen ließ. Bei der Messe, zu der etwa 70 Gläubige gekommen waren, flossen in diesem Moment die Tränen. "Alle kannten Pauli, keiner hätte seiner Mama die Tat zugetraut", ist auch Bürgermeister Josef Mayrhauser tief betroffen.
Zahlreiche Schicksalsschläge
"Man kann der Elisabeth keinen Vorwurf machen, sie ist ja krank!" Nach der Messe standen noch einige Gläubige am Friedhof, direkt neben dem Grab von Elisabeth D., der vor einem Jahr verstorbenen Oma der gleichnamigen Verdächtigen. "Die Elisabeth hatte immer den Kopf eingezogen, wenn sie spazieren ging", erinnerte sich eine Frau. Eine andere Messebesucherin erzählte von weiteren Schicksalsschlägen in der Familie: "Vor zwei Jahren starb ihr Onkel, von dem sie das Haus geerbt hatte. Und vor Jahren hat sich ein anderer Onkel umgebracht."
Nachbarin Anni Neubacher berichtet von psychischen Problemen der Mutter. Davon weiß auch Irmgard Renner: "Die Elisabeth hatte schon ein paar Mal ein Burnout gehabt." Die Lehrerin habe manchmal nicht unterrichten können, weil sie dafür "einfach zu fertig" war. Den Pauli, er kam hin und wieder zu ihr zum Essen, sah Renner zuletzt am Donnerstag: "Er war für mich wie ein eigenes Kind."
Paul hatte keine Chance zur Flucht
Was nun aber Auslöser für das blutige Drama am Samstag war, ist auch für die Kriminalisten noch rätselhaft. Die beliebte Lehrerin hatte laut Obduktion Samstagfrüh den schlafenden Bub mit einem Schnitt in den rechten Unterarm getötet. Er hatte offenbar keine Chance, denn es gibt keine Anzeichen für Abwehr- oder Fluchtverletzungen. Paul starb rasch in seinem Kinderzimmer. Am Vormittag versuchte sich die Pädagogin dann im Badezimmer zu töten, wurde zu Mittag von ihrer Mutter gefunden. Im Salzburger LKH ist Elisabeth D. bereits außer Lebensgefahr. "Vielleicht können wir sie schon am Montag zum Motiv befragen", sagt Gisbert Windischhofer vom LKA.
Was treibt eine Mutter zu einer solchen Wahnsinnstat? Sigrun Roßmanith (65), Fachärztin für Psychiatrie, psychotherapeutische Medizin und Neurologie sowie Gerichtssachverständige, kennt mögliche Motive. Eine Situation müsse unüberwindbar erscheinen, bevor solche Taten verübt werden. Bei diesem grauenhaften Verbrechen stockt einem der Atem.
"Krone": Frau Roßmanith, was treibt ausgerechnet eine Mutter an, ihr Kind mit in den Tod nehmen zu wollen?
Sigrun Roßmanith: Wenn eine Mutter tötet, dann ist es ihr immer lieber, mit dem Kind zu sterben als vom Kind getrennt zu sein.
Der Mord am neunjährigen Paul wurde mit einem Messer verübt. Warum tötet man auf so eine aggressive Art?
Vielleicht war die Täterin in einer Krisensituation? Vielleicht herrschte eine Rosenkriegs-Situation? Vielleicht hatte sie existenzielle Probleme oder ist seelisch krank? Dem Töten kann ein extremistischer Tötungsversuch oder eine wahnhafte Realitätswahrnehmung zugrunde liegen. Um mit einem Messer zu töten, muss eine große Hemmschwelle überwunden werden.
Was kann vorher passiert sein, dass eine Mutter in mörderischer Absicht auf ihr eigenes Kind losgeht?
Es muss eine aggressive Spannung geherrscht haben. Ein akuter Ausnahmezustand oder ein psychotischer Extremzustand könnten die Auslöser gewesen sein.
Die Mutter tötete das Kind, später wollte sie sich selbst umbringen. Selten werden Mütter zu Mörderinnen.
Das ist die große Ausnahme, ja! Man spricht vom erweiterten Selbstmord, um das Kind nicht allein der derzeitigen oder der von der Täterin wahrgenommenen Situation zu überlassen.
Gefunden wurden der tote Enkel und die verletzte Tochter von der Oma. Was muss in dieser Frau jetzt vorgehen?
Das ist ein unbeschreiblicher Schock. Erst hält man es für unwahr und steht neben sich. Man nimmt alles und sein Agieren wie einen Film wahr, die Gefühle sind anästhesiert. Es folgt meistens tiefe Verzweiflung, später auch Aggression. Und es beginnt die Suche nach Schuld oder Schuldigen.
Für die Oma muss der Schmerz unsagbar groß sein.
Hoffentlich lässt man sie sprechen und spricht mit ihr. Und hoffentlich lässt sie sich professionell helfen, damit sie irgendwann wieder zur Ruhe kommt. Sicher ist: Das heilt nicht narbenlos.
Johann Haginger, Markus Schütz, Jürgen Pachner und Sabine Kronberger, Kronen Zeitung
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