Die nächste Route
Spanien als neues Einfallstor für Flüchtlinge
Während in Italien die Nerven angesichts des anhaltenden Flüchtlingsansturms blank liegen, geben nun auch Berichte aus Spanien Anlass zu wachsender Sorge: Kamen heuer bis Ende April "nur" mehrere Tausend Menschen illegal über das Mittelmeer in das EU-Land, wurde allein in der vergangenen Woche die Ankunft von mehr als 1000 Flüchtlingen an den Küsten Andalusiens gezählt - und die Zahl dürfte weiter rapide steigen, so die Befürchtung. Der Weg nach Spanien, lange Zeit ohne größere Bedeutung als Ziel für Migranten, gilt als die derzeit am schnellsten wachsende Flüchtlingsroute von Afrika nach Europa.
Vor den Augen der badenden Urlauber - Hunderttausende EU-Bürger, vor allem aus Großbritannien, verbringen ihren Sommerurlaub an den Küsten Andalusiens - wurde in der Vorwoche die Leiche eines ertrunkenen Migranten aus Algerien in einem Schnellboot der Polizei in den Hafen eines spanischen Touristenorts gebracht. Der Leichensack wird abtransportiert, während nur 20 Meter daneben ausländische Urlauber ein Schiff für eine Küstenrundfahrt besteigen.
Spanien droht gleiches Schicksal wie Italien
Der Algerier ist nur einer von geschätzt Tausenden Menschen, die heuer am Weg nach Europa im Mittelmeer ihr Leben lassen mussten. Ein Drama, das sich laut Beobachtern an der Mittelmeerküste Spaniens immer öfter abspielen wird - denn dem südlichen EU-Land droht das gleiche Schicksal wie Italien, das mittlerweile von der Last des Flüchtlingsansturms erdrückt zu werden scheint.
Brisanter Zusatz: Spanien galt bislang - etwa auch für Österreichs Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP), der eine Schließung der Mittelmeerroute fordert - neben Australien als Vorzeigebeispiel, dass es möglich sei, illegale Migrationsströme fast gegen Null zu reduzieren. Anders als noch vor mehreren Jahren wurde das Land - das in Nordafrika über zwei Exklaven, Ceuta an der Meerenge von Gibraltar und das 250 Kilometer weiter östlich gelegene Melilla, verfügt - zuletzt nicht mehr als bedeutendes Einfallstor für Flüchtlinge nach Europa gewertet.
Die spanische Regierung führte den Rückgang der vergangenen Jahre vor allem auf die Zusammenarbeit mit Marokko zurück. Zudem schloss Spanien mit Staaten wie dem Senegal, Mauretanien oder Nigeria Rückführungsabkommen, was viele Afrikaner von einer Flucht nach Spanien abgehalten haben dürfte. Doch wie die Flüchtlingskrise in den vergangenen Jahren immer wieder unter Beweis stellte, kann sich die Situation in beängstigend schnellem Tempo ändern.
Italiener drohen mit Abweisung von Flüchtlingsbooten
Einfluss auf die Lage in Spanien hat mit Sicherheit die Entwicklung in Italien. Weil dort bis Jahresende mit rund 200.000 Ankünften gerechnet wird, stellten die Italiener mit dem Rücken zur Wand zuletzt die Drohung in den Raum, Hilfsschiffe mit Migranten an Bord nicht mehr in den Häfen des Landes andocken zu lassen. Eine mögliche Hafensperre würde nicht nur Schiffe der humanitären Organisationen betreffen, die im Mittelmeer im Einsatz sind, sondern auch jene der EU-Grenzschutzbehörde Frontex und der Mittelmeermission der EU, an der auch Offiziere des österreichischen Bundesheeres beteiligt sind.
Sollten die Italiener ihre Drohung wahrmachen, muss Spanien jedenfalls mit einer starken Zunahme an Ankünften rechnen, wobei das Land ohnehin schon als am schnellsten wachsende Route für Flüchtlinge aus Afrika gilt, wie etwa die britische "Daily Mail" am Donnerstag berichtete. Demnach kamen allein in der vergangenen Woche mehr als 1000 Migranten illegal an der andalusischen Küste an. Jeden Tag würden mehr kommen, so die Zeitung.
Dem Bericht zufolge würden Migranten in rapide steigender Zahl eine neue Route von Afrika über das Mittelmeer nach Südspanien nehmen, wo sie dann direkt neben den sonnenbadenden Urlaubern an den Ferienstränden an Land gehen würden. So hätten seit Jahresanfang mehr als 5000 Menschen die andalusische Küste erreicht. Bis zu 10.000 weitere Menschen, vor allem aus verarmten Sub-Sahara-Nationen, würden Angaben der spanischen Küstenwache zufolge in Marokko auf die Überfahrt warten.
An vorderster Front dieser neuen Flüchtlingsroute über das Mittelmeer steht die spanische Küstenwache, die aus den andalusischen Häfen ausfährt, um Migranten zu retten, wenn deren Boote in Schwierigkeiten geraten. Laut umstrittenen EU-Vorschriften muss jedem Schiff, das Marokko verlässt und internationale Gewässer erreicht (zwölf Seemeilen bzw. rund 22 Kilometer vor der Küste, Anm.), von Spanien geholfen werden, weil es das nächste Land ist. Hilfe ist auch deshalb immer öfter notwendig, weil Schlepper aus Mangel an Auswahl und in ihrer Gier - für einen Platz zur Überfahrt zahlen Migranten umgerechnt bis zu 1500 Euro - immer kleinere, kaum seetüchtige Boote einsetzen.
Küstenwache: "Mirganten wissen, dass wir sie retten werden"
So brachten auch Kapitän Miguel Parcha und seine Crew in diesem Jahr an Bord des Rettungsschiffs der Küstenwache, Guardamar Polimnia, Hunderte Menschen sicher nach Spanien. Den Vorwurf, er und seine Mannschaft würden Flüchtlingen eine Art "Taxi-Service" nach Europa bieten und zugleich auch den Schleppern helfen, weist der Kapitän entschieden zurück.
"Die Migranten wissen, dass wir sie retten werden, wenn sie in Schwierigkeiten geraten, wenn sie aus Marokko losfahren. Das ist eine Tatsache. Wir machen unsere Arbeit, sonst werden sie sterben", analysiert Parcha die Situation in Spanien gegenüber der "Daily Mail" nüchtern.
Laut Gesetz dürfen Migranten nicht länger als 60 Tage in Auffanglagern festgehalten werden, in denen sie nach ihrer Ankunft untergebracht werden. Diejenigen ohne Erlaubnis, Asyl zu beanspruchen, erhalten ein Regierungsdokument mit dem Vermerk, dass sie in ihre Heimatländer abgeschoben werden. Allerdings verschwinden die meisten einfach und werden niemals abgeschoben.
Javier Pajaron, Sicherheitskorrespondent der Regionalzeitung "Voice Of Almeria", beobachtet die Entwicklung an der andalusischen Küste mit großer Sorge: "Zweifellos sind die meisten (Ankommenden, Anm.) Wirtschaftsmigranten und nicht Flüchtlinge. Sie suchen ein besseres Leben. Viele werden niemals abgeschoben, sondern werden zu Schwarzarbeitern", so Pajaron.
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