Referendum ufert aus
Polizeigewalt in Katalonien: Hunderte Verletzte
Katalonien hat sich dem Verbot der Justiz widersetzt und am Sonntag gegen den Willen der Zentralregierung ein Referendum über die Abspaltung der Region von Spanien abgehalten. Dabei kam es zu schweren Zusammenstößen mit der Polizei, bei denen laut dem katalanischen Gesundheitsministerium mindestens 465 Menschen verletzt wurden. Die Betroffenen wurden von der Regionalregierung dazu aufgerufen, Anzeige gegen die staatliche Polizeieinheit Guardia Civil zu erstatten. Auch mindestens elf Polizisten wurden verletzt. Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy erklärte am Abend: "Wir haben nur unsere Pflicht erfüllt und das Gesetz befolgt".
Bei der Öffnung der Wahllokale um 9 Uhr griffen die von der Zentralregierung entsandte paramilitärische Polizeieinheit Guardia Civil und die Nationalpolizei teilweise hart durch und versuchten, Wähler energisch am Zugang zu den Urnen zu hindern.
Auf Fotos war zu sehen, dass die Polizei zum Teil auch Gummigeschosse einsetzte. Mehrere Menschen bluteten im Gesicht, unter ihnen auch ältere Bürger.
Mindestens drei Personen hätten schwere Verletzungen erlitten. Die Guardia Civil ist seit der Unterdrückung der Region unter dem Franco-Regime in Katalonien äußerst unbeliebt.
Der Chef der katalanischen Regionalregierung, Carles Puigdemont, sagte, die Sicherheitskräfte hätten auch Gummigeschosse und Schlagstöcke eingesetzt, und sprach von einem "ungerechtfertigten, irrationalen und unverantwortlichen" Gewalteinsatz. An die Adresse der Regierung unter Premier Mariano Rajoy sagte er: "Es ist alles gesagt, die Schande wird sie auf ewig begleiten."
Katalanische Polizei widersetzt sich Befehl aus Madrid
Die katalanische Regionalpolizei Mossos d'Esquadra, die in der Region verwurzelt und angesehen ist, war vor dem Referendum dem Kommando aus der Hauptstadt Madrid unterstellt worden. Dem Befehl, Schulen und andere Wahllokale abzuriegeln, kam sie dennoch nicht nach und blieb passiv. Die konservative Zentralregierung in Madrid hatte bis zuletzt versucht, die vom Verfassungsgericht untersagte Befragung zu unterbinden.
"Wir sind gezwungen, das zu tun, was wir nicht tun wollten", verteidigte der Vertreter der Zentralregierung in Katalonien, Enric Millo, den Polizeieinsatz. Über der Küstenmetropole Barcelona kreisten Hubschrauber. Die Menschen reagierten friedlich auf die Aktionen der Polizei, hielten ihre Hände in die Höhe und stimmten Lieder an. Einige gingen mit Blumen in den Händen auf die Sicherheitskräfte zu. "Wir sind friedliche Leute!", riefen die Bürger in Sprechchören.
An vielen Orten war überhaupt keine Polizei zu sehen, die Wähler standen in langen Schlangen vor den Urnen an. "Bei uns läuft alles rund, die Wahllokale sind offen und die Bürger wollen wählen", sagte der Bürgermeister des Ortes Arenys de Munt nordöstlich von Barcelona der Deutschen Presse-Agentur. "Das ist Demokratie." Insgesamt seien 73 Prozent der 3215 Wahllokale funktionstüchtig, so der Sprecher der katalanischen Regionalregierung, Jordi Turull.
Nachdem die Guardia Civil ein Wahllokal in dem Ort Sant Julia de Ramis in der Provinz Girona gestürmt hatte, in dem Regierungschef Puigdemont ursprünglich wählen wollte, wich der 54-Jährige zur Stimmabgabe in das nahe gelegene Dorf Cornella de Terri aus. Bei der Befragung können die Wähler Berichten zufolge in jedem Wahllokal abstimmen, unabhängig davon, wo sie gemeldet sind. Wie mehrfache Stimmabgaben verhindert werden sollen, ist unklar.
Puigdemont betonte, jeder, der abstimmen wolle, könne das tun. Da die Gegner einer Abspaltung überwiegend nicht zur Wahl gingen, wird eine Mehrheit für die Unabhängigkeit erwartet. Je höher die Beteiligung ist, desto mehr Gewicht dürfte das Referendum haben.
Ministerpräsident gibt Regionalregierung Schuld an Unruhen
Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy gab nach dem gewaltsamen Vorgehen der Polizei in Katalonien der Regionalregierung die Schuld an den Unruhen. "Die Verantwortlichen sind die, die das Gesetz gebrochen haben", sagte der konservative Politiker in Madrid. "Wir haben nur unsere Pflicht erfüllt und das Gesetz befolgt." Rajoy hob die "Stärke" des spanischen Staates hervor. Dieser habe bewiesen, dass er "mit allen ihm zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln auf jedwede Provokation reagieren" könne.
Die katalanische Regionalregierung habe "Grundrechte verletzt" und gegen die Legalität und das demokratische Zusammenleben verstoßen. Rajoy rief die katalanische Regierung dazu auf, nicht mehr einen Pfad zu verfolgen, der "ins Nichts" führe. Er selbst werde sich keiner Gelegenheit zum Dialog verschließen, aber man müsse sich im Rahmen des Gesetzes bewegen.
FC Barcelona spielte aus Protest ohne Zuschauer
Der FC Barcelona hatte am Sonntag kurz vor Spielbeginn beschlossen, das spanische Ligaspiel gegen Las Palmas aus Protest gegen die Polizeigewalt ohne Zuschauer auszutragen. Der Großclub verurteilte, dass Menschen in Katalonien an ihrem demokratischen Recht auf freie Meinungsäußerung gehindert worden seien. Dass Barcelona aufgrund der Umstände überhaupt antrat, hatte laut Clubpräsident Josep Bartomeu mit dem drohenden Abzug von sechs Punkten zu tun. Dennoch traten noch am Sonntag zwei Topfunktionäre des Fußballclubs aus Protest gegen die umstrittene Ansetzung des Ligaspiels zurück.
Höhepunkt der jahrzehntelangen Unabhängigkeitsbestrebungen
Katalonien mit seinen etwa 7,5 Millionen Einwohnern kommt für knapp ein Fünftel des spanischen Bruttoinlandsprodukts auf. In der wohlhabenden Region im Nordosten Spaniens, in der eine eigene Sprache gesprochen wird, gibt es seit Jahrzehnten Bestrebungen, sich von Spanien loszulösen.
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