Das sich immer deutlicher abzeichnende Desaster für die SPÖ bei den Nationalratswahlen führt zu kaum noch verdeckten Intrigen, Absetzbewegungen und Richtungskämpfen in der Kanzler-Partei. Auslöser für die seit Jahrzehnten schwerste Krise der Sozialdemokraten ist die aufgeflogene Schmutzkübel-Affäre gegen ÖVP-Chef Sebastian Kurz. Drahtzieher der Kampagne waren ein oder mehrere SPÖ-Mitarbeiter und der vorübergehend festgenommene Berater von Bundeskanzler Christian Kern.
Auf den höheren und mittleren SPÖ-Funktionärsebenen war am Mittwoch vor allem Fassungslosigkeit über das Krisenmanagement des Bundeskanzlers zu registrieren. Der Versuch, die Schuld an der Schmutzkübelkampagne ausschließlich dem ehemaligen Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler und einem untergeordneten Mitarbeiter in der SPÖ-Zentrale anzulasten, wird als "wenig überzeugend und für einen Sozialdemokraten nicht sehr solidarisch" bewertet.
Kern-Wegbegleiter: "Wir sind nicht miteinander befreundet"
Auch Wegbegleiter von Kern gehen bereits deutlich auf Distanz zum SPÖ-Vorsitzenden. Ein langjähriger SPÖ-Wahlkampfberater, der an Kerns Aufstieg ins Kanzleramt beteiligt war, sagt nun: "Was da passiert ist, konnte keiner ahnen. Ich bin zwar mit dem Christian per du, aber wir sind nicht miteinander befreundet." Ein Spitzenmanager, der Kerns Karriere aus nächster Nähe beobachtet hat, erklärt: "So nahe war ich an Kern nie dran, dass ich das, was nun abläuft, nur ansatzweise vorhergesehen hätte."
Frustration über Kanzleramt
Richtig aus der Deckung der Anonymität wagt sich derzeit jedoch noch niemand. Lediglich in einer Tiroler Tageszeitung, die über beste Kontakte ins Sekretariat von Niedermühlbichler verfügt, war zu erfahren, dass sich in der SPÖ-Zentrale bereits seit Längerem Frustration über das Kanzleramt breitgemacht habe. "Man sah sich zusehends in der Rolle, Fehler des Kanzleramts zu korrigieren", heißt es.
Zugeordnet werden diese Äußerungen von Kennern dem sogenannten linken Flügel in der Wiener Rathaus-SPÖ, in der Finanzstadträtin Renate Brauner und in vorerst noch untergeordneter Rolle auch SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder die maßgebliche Linie bestimmen.
Bestürzung über Gusenbauers Einfluss
Eine ebenfalls immer lauter zu hörende Kritik ist das Engagement von Mitarbeitern für das Kanzleramt und die SPÖ-Zentrale, die eigentlich einer Mitbewerber-Partei, den NEOS, nahestehen. Erneuert wird auch die Bestürzung darüber, dass Ex-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer erheblichen Einfluss nehmen konnte. Gusenbauer ist auch noch immer Präsident der SPÖ-Parteiakademie und der von der SPÖ entstandte Vizepräsident der Sozialistischen Internationale. Gegenüber der "Wiener Zeitung" hat Gusenbauer auch erneut seine geschäftlichen Nahebeziehungen zu Tal Silberstein bestätigt. Silberstein gilt bekanntlich als Erfinder der Schmutzkübelkampagne, die von der SPÖ gegen Kurz in Gang gesetzt worden ist.
Regierungsbeteiligung auch nach Debakel?
In diesem Chaos bemühen sich die pragmatischen Kräfte in der SPÖ, die Weichen für die Zeit nach den Wahlen zu stellen: Burgenlands SPÖ, Gewerkschaft und Arbeiterkammer überlegen, wie für die Partei nach dem kaum vermeidbaren Debakel eine Regierungsbeteiligung möglich sein könnte.
Kommentar: Der Film ist aus
Am Tag seines Amtsantritts als Bundeskanzler am 17. Mai 2016 wurde Christian Kern im ORF zu den Umständen seines blitzartigen Aufstiegs an die Spitze der Republik befragt. Hintergrund waren Spekulationen, Kern habe durch Ränkespiele von der ÖBB-Zentrale aus die Übernahme der SPÖ und des Kanzleramts von langer Hand geplant.
"Das ist ein bissi 'House of Cards' für Arme." So lautete Kerns Antwort in der "Zeit im Bild" auf eine entsprechende Frage. Der Kanzler spielte damit auf die US-Serie über politische Intrigen in Washington an. In der Serie geht es um eiskalt kalkulierte Machenschaften zur Erlangung höchster Ämter im Staat. Die zentralen Merkmale des politischen Personals in "House of Cards": Prinzipienlosigkeit, Skrupellosigkeit und perfekte Rhetorik. Als Anforderungsprofil für verantwortungsvolle Positionen in der echten Welt wäre das zu wenig. "House of Cards" ist TV-Unterhaltung, die in der Serie vorkommenden Politiker sind nur Schauspieler.
In der SPÖ und im Dunstkreis der Beraterszene des noch amtierenden Bundeskanzlers haben das offenbar einige nicht verstanden. In einem der zahllosen an die Öffentlichkeit gespielten Papiere aus der in der Parteizentrale untergebrachten Werkstatt von Tal Silberstein wird "House of Cards" sogar ausdrücklich als Vorbild empfohlen. Es gibt auch ein Video, in dem Kern den "House of Cards"-Hauptdarsteller mimt. Nach diesem Ausflug in die Traumwelt Hollywoods erwachen der Kanzler und seine SPÖ nun in der Wirklichkeit. Der Film ist aus.
Claus Pándi, Kronen Zeitung
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