"Rechtsruck", "Nazis in der Regierung", "Neofeschist". Die Angriffe auf Wahlsieger Sebastian Kurz werden immer schärfer. Mit Conny Bischofberger spricht der ÖVP-Chef über seinen Umgang mit der FPÖ, den Willen zum Neuanfang und woran man ihn als Kanzler messen soll.
Samstagvormittag im Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres am Wiener Minoritenplatz. "Der Herr Außenminister wird sich um ein paar Minuten verspäten", sagt die Sekretärin. Stimmt genau, und Sebastian Kurz entschuldigt sich bei seinem Eintreffen dafür. Dann sitzen wir in seinem kargen Büro: Stehpult, zwei Büsche, eine Sitzgruppe, ein Tisch. An der Wand hängt ein Kreuz mit vier eingelegten Steinen. "Es begleitet mich schon viele Jahre", sagt Kurz. Er sei ein gläubiger Mensch und deshalb sei es für ihn eine Selbstverständlichkeit, ein Kreuz in seinem Büro zu haben.
Vor den Sondierungsgesprächen mit Peter Pilz und Heinz-Christian Strache nimmt sich der ÖVP-Chef, vom Bundespräsidenten mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt, Zeit für ein nachdenkliches Gespräch. Warum trägt er heute Krawatte? "Mich wird es in meiner neuen Aufgabe vielleicht doch etwas öfter mit Krawatte geben als in der Vergangenheit", meint er. Ein erster Ausblick auf die Zeit als jüngster Regierungschef, den Österreich je hatte. Das Kreuz wird wohl auch mit ihm übersiedeln ...
"Krone": Diese Woche hat ein Bussi international Schlagzeilen gemacht. In Brüssel hat Sie EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker vor laufender Kamera mit den Worten "Komm in meine Arme, Sebastian!" begrüßt. Hat er Sie mit seiner Kussattacke auf dem falschen Fuß erwischt?
Sebastian Kurz: Es ist ja bekannt, dass er alle küsst, somit hätte ich es eigentlich wissen müssen ... Aber in dem Moment war ich dann doch überrascht. Das erklärt auch den eher zurückhaltenden Gesichtsausdruck auf den Fotos. Menschen sind unterschiedlich. Ich bin jemand, der Männern die Hand gibt und sie normalerweise nicht küsst. (Lacht.)
Am Freitag haben Sie den Regierungsbildungsauftrag bekommen. Wie fühlt sich diese große Verantwortung an?
Ich empfinde große Dankbarkeit, dass mir 1,5 Millionen Menschen in Österreich ihr Vertrauen geschenkt haben. Das Ergebnis ist auch eine große Verantwortung, ich werde mein Bestes geben. Wenn man es ernst meint mit dem Land, wird es notwendig sein, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Jede Veränderung löst Reibung und Widerstand aus.
Die hohen Erwartungen an Sie, ist das nicht ein enormer Druck?
Ich bin mir bewusst, dass man vieles nicht von heute auf morgen verändern kann. Aber ich bin mir gleichzeitig sicher, dass Veränderung möglich ist. Die Menschen erwarten sich zu Recht Veränderung. Die Unzufriedenheit mit Fehlentscheidungen gerade in der Migration, aber auch mit der extrem hohen Steuerlast, ist groß. Aber ich bin überzeugt: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.
Die Wiener Wochenzeitung "Falter" hat Sie diese Woche als "Neofeschisten" aufs Cover gehoben, die "New York Times" hat geschrieben, dass jetzt Nazis in die Regierung kommen, im ZDF war zu hören: "In Österreich findet ein Rechtsruck statt, der an dunkle Zeiten ermahnt." Wie finden Sie das?
Ich halte das aus, wenn ich kritisiert werde. Aber wenn es unser Land trifft, werde ich mit aller Kraft dagegen argumentieren. Grundsätzlich halte ich es ja auch für richtig, dass Medien über Politik berichten und diese auch kritisch hinterfragen. Manchen gelingt das besser und manchen gelingt es weniger gut, oder sagen wir wenig differenziert. Was Kritik an mir persönlich betrifft, habe ich schon sehr früh eine Entscheidung getroffen. mich nicht abhängig davon zu machen, was über mich in der Zeitung geschrieben wird und was die Meinungsumfragen sagen, sondern das zu tun, was ich für richtig erachte.
Gilt das auch für Lob?
Natürlich ist Lob immer angenehmer als Kritik. In der Politik erlebt man beides, manchmal sogar gleichzeitig. Man sollte weder das eine noch das andere allzu ernst nehmen, das tut dem Charakter nicht gut.
Diese Vorwürfe, ein Rechter zu sein: Prallen die alle an Ihnen ab?
Ich weiß sehr genau, wer ich bin und wie ich ticke. Meine Freunde, mein Umfeld, die Menschen, die mich begleiten, wissen das auch. Ich verstehe mich als weder rechts noch links, sondern als christlich-sozial geprägt und auch stark liberal geprägt. Ich bin in vielen Fragen, wie in der Migrationsfrage, realistisch. Diejenigen, die eine andere Linie vertreten haben in den vergangenen Jahren, die haben in vielen Fällen schon zugeben müssen, dass ihre Linie falsch war. Insofern werde ich weiter meinen Weg gehen. Ich würde mir natürlich wünschen, dass ich als Politiker nicht allzu schnell einfach schubladisiert, in ein Eck gedrängt werde, in das ich gar nicht gehöre.
Ins rechte Eck?
Rechts, links ... Das ist in vielen Fragen heute nicht mehr zeitgemäß. Insofern kann ich mit solchen Kategorisierungsversuchen wenig anfangen.
Klingt, als könnten Sie mit "Neofeschist" - nur eine Silbe trennt das Wort vom "Neofaschisten" - ganz gut leben?
Sie können sich vorstellen, dass ich dazu eine Meinung habe. Aber es ist nicht mein Job, Medienberichterstattung zu kommentieren. Mein Job wird es sein, die Regierung in unserem Land zu führen. Die Medien haben die Verantwortung, das kritisch zu beobachten, zu begleiten und zu kommentieren.
Fällt es Ihnen schwer, über den "Falter" nichts Schlechtes zu sagen?
Nein, das fällt mir nicht schwer, weil ich so viel im Moment zu tun habe, dass ich gar keine Zeit habe, mich mit solchen Dingen auseinanderzusetzen. Vielleicht nur so viel: Ich werde nicht versuchen, es jedem recht zu machen und jedem zu gefallen. Politiker, die das tun, müssen sich in ihrer Position so oft drehen und wenden, dass am Ende keine Linie mehr erkennbar ist.
Auf viele Ihrer Wahlplakate hat jemand "Danke, ihr Trottel!" gepickt.
Ich habe im Wahlkampf darauf gesetzt, mit eigenen Ideen zu überzeugen und andere nicht schlechtzumachen. Diesen Weg werde ich weitergehen. Mein Ziel ist ein neuer Stil: weniger Hickhack und gegenseitiges Anpatzen, sondern vielmehr ein ordentlicher, wertschätzender Umgang miteinander, gemeinsame Arbeit für das Land. Solche Pickerl auf Plakate anderer Parteien zu kleben ist schlechter Stil. Ich glaube, dass die Bevölkerung solche Methoden satthat.
Werden Sie diesen wertschätzenden Umgang auch einfordern?
Ich bin überzeugt, dass man ihn einfordern kann, und man soll auch gesetzlich nachschärfen, etwa mit der Einführung des Straftatbestandes "Dirty Campaigning".
Fürchten Sie, dass Österreich, sollte die FPÖ in die Regierung kommen, international wieder mehr unter Beobachtung steht?
Also wie wir in Österreich unser Land regieren, das entscheiden wir selbst. Ich habe als Außenminister hart dafür gearbeitet, meinen Beitrag dafür zu leisten, dass wir als Land eine gute internationale Reputation haben. Viele, mit denen ich arbeiten durfte, kennen mich, vertrauen mir sicherlich auch, dass ich bei der Regierungsbildung alles tue, um zum Wohle unseres Landes zu agieren. Alle Parteien, die im österreichischen Parlament vertreten sind, sind demokratisch gewählt. Also haben auch alle die Möglichkeit, in einer Regierung mitzuarbeiten.
Ist Schwarz-Blau ...
Sie meinen Türkis-Blau.
... eh schon so gut wie fix, oder könnte es noch eine Überraschung geben?
Mit Überraschungen fange ich wenig an. Politiker sollen nicht überraschen, sondern solide Arbeit leisten. Insofern führe ich ernsthafte Gespräche mit allen im Parlament vertretenen Parteien.
Könnte auch eine Expertenregierung kommen?
Ich habe unsere Bewegung in dieser Wahl bewusst auch für Menschen geöffnet, die nicht Parteimitglieder sind. Deshalb haben wir jetzt im Parlament auch einen sehr guten Mix aus Menschen mit politischer Erfahrung, aber auch aus sehr vielen Persönlichkeiten, die einen ganz anderen Blickwinkel einbringen. Es wird definitiv in der Bundesregierung auch personell große Veränderungen geben.
Also können auch Leute, die nicht Mitglied der ÖVP oder des Koalitionspartners sind, Minister werden?
Das ist natürlich möglich. Aber erst einmal müssen wir jetzt Regierungsverhandlungen starten.
Bundeskanzler Christian Kern hat die Chance für Rot-Blau mit einem Tausendstel beziffert. Wie würden Sie sie beziffern?
Das weiß ich nicht. Ich habe den Medien entnommen, dass es Gespräche zwischen Rot und Blau gibt. Ich beschäftige mich aber nicht sonderlich damit. Wir sind stärkste Kraft bei dieser Wahl geworden und ich habe vom Bundespräsidenten das Vertrauen für den Regierungsbildungsauftrag bekommen. Also führe ich jetzt Sondierungsgespräche und starte so bald wie möglich Koalitionsverhandlungen.
Aber wenn zum Beispiel Heinz-Christian Strache den Innenminister nicht bekommen sollte, den er gefordert hat, dann würde er doch als logische Folge das Gespräch mit der SPÖ suchen und dann zumindest mit Rot-Blau drohen. Haben Sie für so ein Szenario auch Vorkehrungen getroffen?
Ein potenzieller Koalitionspartner wird nicht nur ein Ressort stellen, sondern Verantwortung in mehreren Ressorts übernehmen. Also ist diese Forderung alles andere als überraschend.
Würde es mit Kern überhaupt noch gehen?
Ich werde am Sonntagabend ein Gespräch mit dem Parteichef der SPÖ führen. Dieses Gespräch gilt es abzuwarten.
Mit Strache haben Sie sich ja schon privat getroffen. Was sollte nach drei Stunden noch unklar sein?
Ich habe mit Heinz-Christian Strache ein äußerst positives Gespräch geführt. Es gibt natürlich in einigen Bereichen inhaltliche Differenzen, in vielen Bereichen aber auch ähnliche Ideen und Vorstellungen. Was ich besonders wichtig finde: Ich glaube, dass er einen starken Veränderungs- und Gestaltungswillen hat.
Hilft es, wenn die Lebensgefährtinnen sich gut verstehen?
Wenn dem so ist, dann ist das in einer Regierung natürlich immer positiv.
Stimmt der Eindruck, dass Ihrer Freundin das alles nicht so ganz geheuer ist?
Meine Freundin unterstützt mich massiv in meiner Arbeit, aber sie hat gleichzeitig natürlich ihr eigenes Leben, und das ist gut und richtig so. Mein Job ist es, den Menschen zu dienen und Probleme zu lösen. Dafür werde ich bezahlt und nicht dafür, mein Privatleben zu inszenieren. Daher haben wir das in der Vergangenheit nicht übermäßig getan und wir werden das auch in Zukunft nicht machen. Es wird aber natürlich immer wieder gemeinsame Auftritte geben.
Wie ist Ihr Zeitplan, wie lange werden die Regierungsverhandlungen dauern?
Das hängt natürlich auch vom Fortschritt der Gespräche ab. Rasch ist gut, aber die Qualität ist noch wichtiger. Man hat das natürlich nicht allein in der Hand, aber mein Ziel ist eine Regierung noch vor Weihnachten. Die Österreicherinnen und Österreicher erwarten sich, dass es rasch eine starke und stabile Regierung gibt, die die Arbeit aufnimmt. Dafür sollte man in weniger als 60 Tagen die Verhandlungen abgeschlossen haben.
Woran wird man Sie als Bundeskanzler letztlich messen?
Ich habe drei große Ziele: Schrittweise die Steuerlast zu senken und einen sparsameren Staat zu schaffen. Unser Sozialsystem treffsicherer zu gestalten, die Zuwanderung ins Sozialsystem zu stoppen. Und gegen illegale Migration anzukämpfen, damit es wieder mehr Ordnung und Sicherheit in unserem Land gibt. In all diesen drei Bereichen werde ich meine volle Kraft einsetzen, damit wir vorankommen.
Und woran wird man den "neuen Stil" erkennen?
In meinem Team werden ausschließlich Menschen arbeiten, die respektvoll miteinander umgehen, die gemeinsam dem Land dienen und sich nicht im Streit und Hickhack verlieren.
Gilt das auch für den möglichen Koalitionspartner FPÖ?
Das gilt für alle.
Wird es wie in Deutschland einen Regierungssprecher geben?
Ich würde eine Stimme, die für beide Koalitionspartner spricht, für sinnvoll erachten, aber man kann es natürlich nur gemeinsam entscheiden.
Herr Kurz, meine Lieblingsastrologin hat Ihre charakterliche Konstellation ausgeleuchtet. "Mars im Steinbock: hochgradige Selbstkontrolle, berechnend. Sonne in der Jungfrau: Arbeitstier, Perfektionist. Mond in den Zwillingen: schnell und schlagfertig. Aufsteigender Mondknoten im Widder: geht auf sanfte Art mit dem Kopf durch die Wand. Und schließlich Pluto im Skorpion: meidet keine Machtkämpfe, gibt nie auf." Wollen Sie protestieren?
Nein, nein. Ich respektiere das! Also, was sicherlich stimmt: Ich arbeite gerne hart und viel. Wenn Sie mein Team fragen, dann würden einige wahrscheinlich von mir sagen, dass ich manchmal etwas detailverliebt oder perfektionistisch bin. Was Ihre Astrologin nicht sagt: Dass ich eigentlich ein sehr fröhlicher und zufriedener Mensch bin, der gerne mit anderen zusammenarbeitet. Ich funktioniere nur im Rudel. Und was auch stimmt: Wenn ich von etwas überzeugt bin, dann bin ich auch bereit, dafür zu kämpfen.
Man könnte es auch so umschreiben: Ein sturer Hund ...
Nein, das glaube ich überhaupt nicht. Ich bin niemand, der glaubt, selbst alles am besten zu wissen. Ich mag den Diskurs, die Diskussion. Ich glaube, dass man dann gute Entscheidungen treffen kann, wenn man mit unterschiedlichen Menschen spricht, verschiedene Meinungen einholt, sich ein gutes Bild von einer Sache macht und dann aber auch klar entscheidet.
Wer sind Ihre wichtigsten Ratgeber?
Sicherlich mein enges Team, mit dem ich seit vielen Jahren arbeiten darf, das mich auch im Wahlkampf begleitet hat. Wir haben nicht auf irgendwelche Berater aus dem Ausland gesetzt, sondern ich habe mit den Menschen zusammengearbeitet, mit denen ich seit vielen Jahren arbeite und mit denen ich auch in den nächsten Jahren zusammenarbeiten möchte. Und dann gibt es natürlich viele Menschen aus dem diplomatischen Dienst, Experten aus dem Migrationsbereich, aber auch Personen aus der Wirtschaft oder der Wissenschaft, mit denen ich mich austausche, um auch deren Blickwinkel zu sehen und zu verstehen.
Eine Wahrsagerin wie Heinz-Christian Strache haben Sie auch?
Nein, das habe ich nicht ...
Keine Lust, sich die Zukunft vorhersagen zu lassen?
Als ich noch ein Schüler war, hätte ich immer gerne gewusst, in welche Richtung es mich einmal verschlägt. Ich habe Freunde beneidet, die schon ganz klar wussten, was sie in Zukunft einmal werden wollen. Bei mir war das gar nicht so klar. Es war immer ein starkes politisches Interesse da, aber es war niemals mein Wunsch, Politiker zu werden. Man kann das jetzt "Schicksal", "Fügung" oder wie auch immer nennen. Ich habe dadurch jedenfalls gelernt, Dinge anzunehmen, aus der jeweiligen Situation immer das Beste zu machen, auch wenn es einmal nicht so gut läuft. Und das habe ich auch diesmal vor.
Halten Sie es für denkbar, dass Sie als Politiker in Pension gehen?
Definitiv nicht. Ich bin jetzt 31, da bleibt nach meiner politischen Tätigkeit hoffentlich noch sehr viel Lebenszeit übrig für andere Aufgaben und Herausforderungen.
Die Wende in seiner Lebensplanung
Geboren am 27.8.1986 in Wien. Mutter Lehrerin, Vater Techniker. Matura mit Auszeichnung. Jus-Studium ab 2005 (momentan ruhend gestellt). 2007 wird er Landesobmann der Jungen ÖVP Wien, 2008 Bundesobmann, im April 2011 Staatssekretär für Integration. Ab 2013 Außen-, Europa- und Integrationsminister. Seine Lebensplanung ("Mit 34 mach' i einen MBA, mit 44 arbeite ich in einem Unternehmen, mit 54 bin ich selbständig!") ist durch die Übernahme der ÖVP am 1. Juli und den Wahlsieg am 15. Oktober durcheinandergeraten.
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
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