Start der Regierungsverhandlungen! Kurz vor Beginn sprach "Königsmacher" Heinz-Christian Strache (48) mit der "Krone" über Kern- und Knackpunkte, das Verhältnis zu ÖVP-Chef Sebastian Kurz, die geplanten Donnerstags-Demos und seine "blaue Handschrift".
Mittwochvormittag in der FPÖ-Kommandozentrale vis-a-vis des Parlaments: "Der Chef wird demnächst erwartet", grinst Pressechef Martin Glier und zeigt in der Zwischenzeit stolz Handyfotos seines kleinen Dackels. Dann trifft Heinz-Christian Strache ein: "Noch ein schnelles Morgenzigaretterl, dann kann's schon losgehen", meint er, zündet sich eine Marlboro light an und rückt dann noch sein weißes Einstecktuch zurecht. Er trägt ein blaues Sakko, dazu einen dunklen Pullover mit weißem Hemd und Jeans an diesem denkwürdigen 25. Oktober 2017. Nach elf Jahren Opposition will er die FPÖ endlich in die Regierung führen.
Im Interview formuliert Strache wie schon im Wahlkampf bedacht und ministrabel, er hat den "neuen Stil" offenbar schon verinnerlicht. Nach 20 Minuten kommt Ehefrau Philippa mit einem Coffee-to-go in der Hand ins Zimmer. Strache steht auf, gibt ihr ein Bussi und bezieht sie, die rechts von ihm auf der Ledercouch sitzt, immer wieder ins Geschehen ein. Einen Stock tiefer wartet schon das Verhandlungsteam, trotzdem nimmt sich der FPÖ-Chef eine Stunde Zeit für ein sehr ehrliches Gespräch.
"Krone": Herr Strache, in eineinhalb Stunden treffen Sie sich mit Sebastian Kurz zur ersten Runde der Regierungsverhandlungen. Wie fühlen Sie sich als "Königsmacher"?
Heinz-Christian Strache: Das ist hochtrabender Begriff. Die Gespräche mit Kurz waren atmosphärisch sehr offen, sehr ehrlich, ja fast freundschaftlich. Sie haben aber vor allem zum Ausdruck gebracht, dass es ihm ernst ist, dass er unseren starken Gestaltungswillen auch erkannt hat.
"Königsmacher" könnten sich wichtig, überlegen oder stark fühlen. Was würden Sie da wählen?
Keinen der drei Begriffe. Sondern: Ich will verantwortungsvoll und seriös in diese Verhandlungen gehen, und dort auf Qualität und Nachhaltigkeit achten, denn das ist letztlich auch der Punkt, den die Menschen erwarten. Wenn jetzt geschrieben wird, dass wir zu Krampus oder zum Christkind fertig sein sollen: Ich glaube, wir sollten uns nicht an solchen Erwartungshaltungen orientieren. Am Ende muss ein qualitativ hochstehendes Regierungsprogramm im Interesse der österreichischen Bevölkerung rauskommen und der Tag, an dem es präsentiert wird, soll ein Feiertag für Österreich werden.
Sicher scheint, dass Sie als Vizekanzler aus diesen Verhandlungen gehen werden, vorausgesetzt natürlich, sie gelingen. Wie klingt das in Ihren Ohren?
Wir haben unsere staatspolitische Verantwortung immer wahrgenommen, und zwar dort, wo uns die Österreicherinnen und Österreicher hingestellt haben. Das war bis dato die Opposition und sollten wir einen positiven Abschluss schaffen, wird es künftig die Regierungsverantwortung sein. Beide Bereiche sind wichtig, ich würde nicht sagen wollen, einer ist wichtiger als der andere.
Aber Hand aufs Herz: Wollten Sie nicht Kanzler werden?
Naja, man muss eben bei den realpolitischen Gegebenheiten bleiben. Ich habe vor zwölf Jahren eine Partei übernommen, die bei nur noch drei Prozent lag, damals hat keiner mehr einen Cent auf uns gesetzt. In zwölf Jahren sind wir in Wien auf 34, bundesweit auf 26 Prozent gekommen. Wir haben heute drei Mittelparteien: Die ÖVP mit 31,5 und dahinter die Sozialdemokraten mit 26,9 Prozent und wir quasi ex aequo, auf Augenhöhe.
Naja, die SPÖ hat Sie überholt.
Mit dem Ergebnis, dass die Grünen aus dem Parlament geflogen sind. Von linker Wählerseite haben offenbar viele taktisch und strategisch gewählt.
Sie werden es der ÖVP nicht leichtmachen - was muss man sich unter dieser Ankündigung vorstellen?
Wir verhandeln mit dem klaren Ziel, für unser Heimatland und für die Menschen hier im Land etwas weiterzubringen. Wir bleiben uns und unseren Versprechungen dabei treu. Es wird von uns keinen Kniefall geben! Auch falsche Schmeicheleien haben keinen Platz. Am Ende zählt nur, was im Regierungsprogramm steht. Und das wird auch eine blaue Handschrift tragen.
In je einem Satz: Was sind inhaltlich und personell Ihre Grundsätze?
Das kann man nicht in je einem Satz umfassen. Da geht es um ein Gesamtgefühl. Sicherheit ist natürlich ein wesentliches Thema, das massive Unwohlbefinden in der Bevölkerung, das mit der Flüchtlingswelle 2015 seinen Höhepunkt erreicht hat. Damals haben Politik und Rechtsstaat versagt, man war nicht fähig und nicht willens, die österreichischen Grenzen zu kontrollieren, hat Probleme eingeschleust. Damals ist eine gewisse Enttäuschung und Ohnmacht entstanden.
Ist Ihnen deshalb der Innenminister so wichtig?
Ja, das ist ein wichtiges Segment. Solange es die Europäische Union nicht schafft, die Außengrenzen zu kontrollieren und zu schützen, so lange müssen wir unsere Grenzen selber kontrollieren und schützen. Darüberhinaus haben wir mittlerweile viele Probleme im Land: Von radikal-islamistischen Parallel- und Gegengesellschaften über Vereine mit radikalen, islamistischen Strukturen bis hin zur Tatsache, dass diese Gruppierungen vom Ausland - Saudi-Arabien und Qatar - finanziert werden. Das gehört alles abgestellt. Wir Freiheitlichen sind die Sicherheitspartei, uns traut man zu, dass wir solche Entwicklungen rechtzeitig erkennen und sicherheitspolitische Maßnahmen setzen. Dazu braucht es natürlich auch das Ressort.
Wenn Sie das Innenministerium nicht bekommen, würden Sie dann mit der SPÖ das Gespräch suchen?
Das wäre schlechter Stil. Wir beginnen die Gespräche jetzt einmal mit einem ehrlichen, positiven Gestaltungs- und Veränderungswillen.
Könnte sich die FPÖ prinzipiell vorstellen, dass auch ein dritter Partner reingeholt wird, zum Beispiel die NEOS? Sie hätten dann die Verfassungsmehrheit. Und Irmgard Griss als Justizministerin wäre doch eine charmante Variante, finden Sie nicht?
Wenn es um Stabilität geht, sind zwei Partner in der Regel das Optimale. Ich glaube, bei drei Partnern wird der Kleinste immer versuchen, sich übermäßig einbringen zu wollen, das hat mehr Sprengkraft als Stabilität. Wenn es um Reformschritte geht, die eine Verfassungsmehrheit benötigen, soll es aber natürlich eine Zusammenarbeit mit allen im Parlament vertretenen Parteien geben. Aber um Ihre Frage zu beantworten. NEOS in Regierungsverantwortung: Nein.
Kurz hat klargestellt, dass er eine europafreundliche Regierung bilden wird. Werden da Handküsse mit Frau Le Pen, Fotos mit AfD-Vertretern und Treffen mit Geert Wilders noch drin sein? Mit denen sitzen Sie immerhin im Europäischen Parlament.
Es gibt ja auch Kussfotos mit Juncker.
Jean-Claude Juncker ist nicht sehr rechts …
Aber durchaus auffällig in seinem Verhalten (lacht). Aber hören wir auf mit diesem Auseinanderdividieren. Ich rede der ÖVP ja auch nicht hinein, mit welchen Parteien sie in der Europäischen Union zusammenarbeitet. Auf europäischer Ebene braucht es nun einmal Partnerschaften, um ein Gewicht zu haben. Und wir haben immer sehr deutlich gesagt: Wir sind pro-europäisch. Als österreichische Patrioten sind wir auch leidenschaftliche Europäer und wir stehen hinter dem europäischen Friedensprojekt, wir leben im Herzen Europas und das ist uns ein Herzensanliegen. Herbert Kickl hat das gestern so schön gesagt: "Wenn man jemanden liebt, so ist es manchmal auch wichtig, nicht blind vor Liebe zu sein, sondern eine gewisse Strenge an den Tag zu legen, damit diese ehrliche Zuneigung eine gute Entwicklung nimmt."
Kurz hat eine aktive Rolle Österreichs in der EU versprochen. Könnten Sie sich zum Beispiel vorstellen, bei einer gerechten Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der europäischen Mitgliedsstaaten aktiv mitzuarbeiten?
Genauso eine Entwicklung halten wir für sehr, sehr kritisch. Weil eine Frau Merkel eine Einladung an alle Flüchtlinge ausgesprochen hat, soll es eine Zwangsaufteilung geben? Das ist nicht nachvollziehbar.
Also ist Ihre Antwort "Nein"?
Richtig, das muss weiterhin eine nationalstaatliche Angelegenheit bleiben.
Könnte das bei den Verhandlungen ein Knackpunkt sein?
Das weiß ich nicht, das werden wir ausloten. Wir werden versuchen müssen, einen gemeinsamen Weg sicherzustellen und da und dort sozusagen korrigierend einzugreifen.
Sebastian Kurz hat Sie im Wahlkampf eigentlich rechts überholt. Haben Sie nicht Angst, dass die FPÖ als sein Juniorpartner bei den nächsten Wahlen vielleicht abstürzen wird?
Wie heißt es so schön? Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben. Außerdem sehe ich das anders. Faktum ist, dass wir zwölf Jahre lang die Themenführerschaft hatten, dafür diffamiert und beschimpft worden sind, und deshalb waren die anderen Parteien gezwungen, unsere Inhalte als richtig zu erkennen und zu übernehmen. Kurz hat das intensiv gespielt. Seine drei Überschriften - Balkanroute schließen, EU-Außengrenzen schützen, illegale Migration stoppen - hat er monatelang landauf landab wiederholt. Bitte, das waren für uns Mindeststandards! Und das zeigt, welche Kraft uns da aus der Opposition heraus gelungen ist.
Wie ist es, 17 Jahre älter als der künftige Kanzler zu sein?
Ich glaube, es ist ganz gut, wenn neben einem jungen zukünftigen Bundeskanzler jemand steht, der ein bisschen älter ist und vielleicht mehr Lebenserfahrung hat.
Er könnte Ihr Sohn sein.
Ja, aber da hätte ich früh beginnen müssen. - Lacht. - Wichtig ist, dass wir ehrlich und aufrichtig miteinander umgehen und im Interesse der Menschen unseres Landes zusammenarbeiten.
Wie nennen Sie ihn?
Beim Vornamen, Sebastian. Er nennt mich HC.
Aber als "Soletti" dürfen Sie Kurz nicht mehr bezeichnen, so wie bei Ihrer Wahlkampf-Abschlussrede am Viktor-Adler-Markt?
Ich habe gesagt: "Er war wie ein Soletti - immer dabei." Sebastian Kurz versteht auch einen Spaß. Und es bleibt ja wahr. Er ist sieben Jahre lang in der Regierung gesessen.
Herr Strache, Sie wirken als Person stark verändert. Das liegt nicht nur an Ihrer Brille …
Das liegt vor allen Dingen an meiner Frau!
… sondern auch an Ihrem verbindlichen Ton. Würden Sie sagen, dass die FPÖ mit Ihnen als Parteichef reifer geworden ist?
Ich bin als Mensch sicher reifer, gelassener, auch älter geworden. Wenn man zwölf Jahre lang immer zulegt, - das ist keiner anderen Partei in der Form gelungen - dann kommt irgendwann der Punkt, wo man sich sagt: Da geht es um die Sache, ich muss mir nicht selbst immer wieder aufs Neue was beweisen. Dann sieht man Dinge klarer, beurteilt sie besser, reagiert nicht mehr bei jeder Beleidigung emotional. Ein gewisser Schmäh gehört auch dazu, nicht immer alles bierernst nehmen. Aber manchmal ist es auch wichtig, die Stimme ein bisschen stärker zu erheben. Ich habe das nicht verlernt.
Kurz hat angekündigt, diesen neuen Stil, den respektvollen Umgang miteinander, auch einzufordern. Haben Sie da bei manchen Leuten in Ihrer Partei nicht Bauchweh?
Ich glaube, dass ein ehrliches und offenes Wort immer gut ist. Der "neue Stil" ist ja auch nur eine Überschrift, und wir sollten wegkommen von diesen Inszenierungen und leeren Worthülsen. Man hat bei Kern gesehen, wohin das führt. Wir sollten das jetzt mit Leben erfüllen.
Apropos Kern: Können Sie bestätigen, dass es gleich nach der Wahl geheime Gespräche auch mit der SPÖ von Ihrer Seite gegeben hat?
Geheime nicht, aber inoffizielle.
Wieso sind Sie da nicht auf einen grünen Zweig gekommen?
Weil die Herrschaften sich ganz offenkundig völlig aus dem Spiel genommen hatten. Kern hat ja schon während des Wahlkampfs gesagt, wenn er Zweiter wird, geht er in Opposition. Kurz nach der Wahl hat er den Eindruck hinterlassen, dass das auf einmal doch nicht mehr gilt. Man hat sich nicht mehr ausgekannt: Bleibt er oder wird er abgesetzt? Ganz sicher ist man sich bis heute nicht.
Trotzdem haben Sie es abgeklopft.
Man hat gesprochen miteinander, das ist ja eine demokratische Normalität.
Wie werden Sie mit den geplanten Donnerstags-Demonstrationen umgehen?
Demonstrations- und Meinungsfreiheit sind wichtige Mechanismen. Es sollte aber vielleicht schon ein bisschen zu denken geben, dass es bei Regierungsbildungen von Rot-Schwarz keine Aufrufe von Seiten der freiheitlichen Partei gab, dagegen auf die Straße zu gehen.
Der Grund ist die Sorge vor dem Rechtsruck, Herr Strache, der uns international schaden könnte.
Ich habe eher den Eindruck, dass diese Kreise ihrerseits alles versuchen, um dem Land international zu schaden. Vielleicht sollten einige dieser Herrschaften mal in sich gehen und sich die Frage stellen, ob das nicht in Wahrheit ein antidemokratischer Zugang ist, wenn man Wahlergebnisse nicht respektiert, nur weil sie keine linkslinke Mehrheit gebracht haben. Ich glaube, das stimmt nicht nur mich, sondern auch sehr viele Österreicher nachdenklich.
Was werden Sie mit 60 Ihren Enkelkindern über die Regierung Kurz-Strache 2018 sagen können?
Dass ich in zehn Jahren Regierungsverantwortung alles unternommen habe, um unser wundervolles Heimatland vor der Islamisierung zu bewahren, die dramatischen Gegebenheiten, die wir heute im Mittleren und Nahen Osten erleben…
(Philippa Strache fällt ihm ins Wort und ruft: Das versteht ein Kind doch nicht, was du da redest! Strache setzt neu an.)
Ich versuche es nochmal in kindgerechter Weise. Dass mein aufrichtiges, tiefstes Herzenswollen immer davon geleitet war, dass meine Enkelkinder einmal sicher leben und sie eine bessere Zukunft haben.
Zur Person
Geboren am 12. Juni 1969 in Wien. Sein Vater verschwindet, als das Kind drei Jahre alt ist. Die Mutter arbeitet in einer Drogerie, Heinz-Christian kommt schon mit sechs Jahren in ein Internat. Mit 15 Lehre als Zahntechniker, mit 21 wechselt er in die Politik. 1999 wird er FPÖ-Bezirksparteiobmann in Wien-Landstraße, 2004 Wiener Landesparteiobmann. Als Jörg Haider 2005 das BZÖ gründet, wird Strache FPÖ-Bundesparteiobmann. Bei den Nationalratswahlen vor zwei Wochen erreichte seine Partei 26 Prozent der Stimmen. Privat ist Heinz-Christian Strache seit 2016 in zweiter Ehe mit Philippa Beck verheiratet, er hat zwei Kinder aus seiner ersten Ehe.
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
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