Landesrat im Burgenland statt Vizekanzler der Republik: Im Abschiedsinterview mit Conny Bischofberger zieht "der beliebteste SPÖ-Minister" (Zitat: Hans Niessl) Bilanz über einen missglückten Wahlkampf und vorschnelle Entscheidungen nach er Wahl. Und er sagt, wie es in der Partei jetzt weitergehen muss.
Der kleine Wintergarten seines Büros im Dachgeschoss der Rossauer Kaserne ist ein Wolkenkuckucksheim. Die gläserne Decke gibt den Blick auf Ziegelsteintürmchen und den blauen Himmel frei. "So träumerisch, dass ich da oft hinaufblicke, bin ich aber nicht veranlagt", stellt Hans Peter Doskozil klar. Es ist Samstagmittag, der Noch-Verteidigungsminister trägt ein weißes Hemd und eine schwarze Hose - keine Krawatte, kein Sakko, keine Uhr. Drei Tage vor der SPÖ-Klausur analysiert der Vizeparteichef den Zustand der Sozialdemokratie - glasklar und realistisch. Der Weg in die Opposition heißt für Doskozil, dass er nach der Angelobung von Blau-Schwarz als Finanzlandesrat heimkehrt ins Burgenland. Dabei hätte er auch Vizekanzler werden können - oder SPÖ-Chef.
Den burgenländischen Schärf-Kaffee aus einer Schärf-Kaffeemaschine hat er höchstpersönlich zubereitet. "Ist bei uns seit jeher Chef-Sache", sagt Doskozils Sprecher Stefan Hirsch. Rechts neben dem scheidenden Minister liegt ein Stapel mit Exemplaren seines Buches, das Margaretha Kopeinig geschrieben hat. Am Ende des Interviews zündet sich "Dosko", wie ihn die Burgenländer nennen, eine Zigarillo an. Im Gegensatz zu vielen anderen bittet er nicht darum, es nicht zu schreiben. "Ich gebe zu, ich bin ein Genussraucher."
"Krone": Hand aufs Herz, Herr Doskozil: Wären Sie - auch in einer schwarz-blauen Regierung - gern Verteidigungsminister geblieben?
Hans Peter Doskozil: Ich mache gar keinen Hehl daraus, dass mir dieses Ressort fehlen wird. Der Corpsgeist, das Zusammengehörigkeitsgefühl, wenn man draußen bei der Truppe ist und mit den Soldaten und Soldatinnen spricht, das ist durchaus was Schönes. Aber wenn man in die Politik geht, muss man wissen, dass die Funktion und die damit verbundene Macht ein Ablaufdatum hat. Ich war da immer realistisch und pragmatisch.
Gesetzt den Fall, man hätte es Ihnen angeboten?
Dann hätte ich es auf keinen Fall angenommen. Das ist eine Sache des Charakters. Ich bin der Sozialdemokratie aus tiefster Überzeugung verbunden. Diese Zugehörigkeit steht über allen Ämtern und Funktionen.
Am Mittwochnachmittag hat es der burgenländische SPÖ-Parteivorstand beschlossen: Der Mann, der Vizekanzler hätte werden können, muss zurück ins Burgenland. Und dort auf dem Posten des Landesrats für Finanzen und Kultur darauf warten, dass Landeshauptmann Hans Niessl in Pension geht. Das klingt nicht wie ein Aufstieg ...
Sie müssen das Gesamtbild sehen. Die SPÖ hat gerade entschieden, bundespolitisch in Opposition zu gehen. Die wichtige Aufgabe wird sein, die Partei neu zu positionieren. Wir stehen aber auch vor immensen Herausforderungen in den Ländern, es stehen Wahlen vor der Tür - im Burgenland 2020. Da ist es schon eine große Verantwortung, dass die SPÖ die Partei bleibt, die den Landeshauptmann stellt.
Also Aufstieg?
Das ist immer leicht gesagt. Aufstieg, Abstieg. Eine Partei wird von verschiedenen Ebenen getragen. Jede Ebene ist wichtig, es geht um das Zusammenspiel. Ich werde im Burgenland einen Reformprozess der Landes-SPÖ inhaltlich und organisatorisch anführen, aber gleichzeitig, weil ich ja Bundesparteivorsitzender-Stellvertreter bleibe, auch bundespolitisch weiterhin Inputs geben.
Sie haben selber gesagt, dass sich die SPÖ nach den Wahlen "zu schnell in die Opposition verabschiedet" habe. Hat's die Partei vermasselt?
Das Bild, das die SPÖ im Wahlkampf gezeichnet hat, vor allem durch die Causa prima Silberstein, war nicht optimal und in wichtigen Fragen hat die SPÖ nicht wie eine geschlossene Partei gewirkt. Da ist das Pendel immer hin- und hergeschwenkt. Und was die Regierungsbeteiligung betrifft, war schon vor der Wahl vollkommen klar, dass die Programme von FPÖ und ÖVP - vor allem die wirtschafts- und migrationspolitische Ausrichtung - zu großen Teilen übereinstimmen und es viel härter gewesen wäre, eine andere Regierung zu verhandeln. Mein Kritikpunkt ist, dass nach dem Verlust des ersten Platzes, in der Enttäuschung und Emotion, zu rasch Entscheidungen gefallen sind. Ich glaube, wir hätten eine Phase der Abkühlung benötigt und nach einer gründlichen Analyse erst die nächsten Schritte beschließen sollen.
Haben Sie das Christian Kern nicht gesagt?
Sowas wird in den Gremien diskutiert. Dort fallen die Entscheidungen und diese muss man akzeptierten. Deshalb ist das vergossene Milch.
Christian Kern konnte sich offenbar nicht vorstellen, Vizekanzler unter Sebastian Kurz zu werden. Sie schon?
Diese Frage hat sich nicht gestellt. Ich kann nicht beurteilen, ob Christian Kern sich das vorstellen konnte. Unser Ziel war ganz klar, Regierungsverantwortung zu haben, eine schwarz-blaue Koalition zu verhindern. Ich würde Kern nicht so einschätzen, dass er diese Ziele aufgibt, nur, weil er nicht Vizekanzler sein möchte.
Aber dann hätte er doch um Regierungsverantwortung kämpfen müssen. Immerhin hatte die SPÖ 100.000 Stimmen mehr als bei den letzten Wahlen.
Ja, aber es gibt trotzdem eine Partei, die ein noch besseres Ergebnis gehabt hat. Die ÖVP hat den Regierungsauftrag bekommen und hatte offensichtlich schon von Anbeginn an ein klares Ziel, nämlich die Koalition mit der FPÖ. Man kann sich eben nicht aufzuzwingen. Daher ist es müßig darüber zu diskutieren, was wir hätten unternehmen können, um möglicherweise doch noch einen Funken einer Chance für eine Regierungsbeteiligung zu haben.
Opposition ist Mist. Wer hat das noch schnell gesagt?
Das letzte Mal war es der burgenländische Landeshauptmann. Davor Franz Müntefering.
Haben die Herren Recht?
Meine Diktion ist es nicht.
Sie dürfen das als SPÖ-Bundesvize auch gar nicht sagen.
Nein, so würde ich das gar nicht formulieren. Natürlich war unser Anspruch nicht die Opposition. Obwohl sich die Diskussion darüber schon vor der Wahl ergeben hat. Die Opposition ist nicht Mist, sie hat auch eine wichtige Kontrollfunktion. Lassen Sie mich die Brücke schlagen zu meiner Situation. Ich bin kein Politiker, der die Konfrontation und den Streit sucht. Ich bin lösungsorientiert und bis zu einem gewissen Grad auch Konsenspolitiker, und als sich die Möglichkeit ergeben hat, in meinem Heimatbundesland Verantwortung zu übernehmen, war für mich die Sache klar.
"Wir haben gute Chancen, in fünf Jahren zurückzukehren." Das ist ein Zitat von SPÖ-Chef und Oppositionsführer Christian Kern. Sind Sie auch so optimistisch?
Also was in fünf Jahren sein wird, darüber würde ich mich nicht getrauen, eine Prognose abzugeben. Es könnte auch kürzer dauern. Man sieht ja am Beispiel Rauchverbot in den Lokalen schon, dass es bei den Koalitionsgesprächen doch nicht so eine große Einigkeit gibt. Die SPÖ muss sich jetzt - nächste Woche bei der Klausur und im Hinblick auf einen Reformparteitag - neu positionieren, um das zu erreichen, worum es geht. In der Lage zu sein, den Menschen Antworten auf ihre Fragen und Probleme zu geben. So wie ich es immer formuliert habe: Gesellschaftspolitisch liberal, sozialpolitisch links, wirtschaftspolitisch pragmatisch und in Sicherheitsfragen konsequent. Wir laufen Gefahr, dass die SPÖ nur noch ausschließlich das grüne Wählerpotential anspricht. Wir dürfen aber nicht die Ersatzgrünen werden. Das wäre aus meiner Sicht ein großer Fehler, denn dann bewegen wir uns weg von der Mitte und vom traditionellen SPÖ-Wähler.
Sollte Kern mit seiner Politik scheitern, könnten Sie sich dann eine Rückkehr in die Bundespolitik vorstellen?
Ich sehe meine politische Zukunft mittelbar im Burgenland. Über längere Zyklen in der Politik zu spekulieren ist müßig.
Sie schließen es also nicht aus?
Ich kann heute auch nicht wissen, ob ich in einem gewissen Alter überhaupt noch in der Politik bin und wenn doch, welche Funktionen ich in der Politik haben werde. Aber jetzt konzentriere und fokussiere ich mich darauf, im Burgenland ordentliche Politik für die Menschen zu machen. Und natürlich 2020 die Wahlen zu gewinnen.
Über Doskozil als Verteidigungsminister wird man einmal sagen: Er hat mit den Eurofightern Schluss gemacht. Sehen Sie den Ausstieg in einer schwarz-blauen Koalition gefährdet?
Der Ausstieg ist aus rechtlicher und wirtschaftlicher Sicht der einzig gangbare Weg, um künftig die Luftraumüberwachung militärisch effektiv und kostengünstiger zu erledigen. Airbus - das haben wir subtil kommuniziert bekommen über unsere Anwälte - hegt die Hoffnung, dass bei einer schwarz-blauen Regierung möglicherweise andere Entscheidungen getroffen werden. Was die Strafanzeige betrifft, warne ich vor Einflussnahme. Jeder zukünftige Justizminister sollte sehr aufpassen, da nicht irgendeinen Einfluss zu nehmen, sondern die unabhängigen Gerichte arbeiten zu lassen. Es gibt ja auch den Aufpasser Peter Pilz nicht mehr, deshalb werden wir mit Argusaugen darauf schauen, wie es in dieser Causa weitergeht.
Abgesehen davon: Was ist Ihre größte Sorge bei einer schwarz-blauen Regierung?
Dass es Einschnitte für die Menschen geben wird, die sie in dieser Dimension nicht gekannt und auch nicht verdient haben.
Haben bei Ihrer "Heimkehr" eigentlich auch persönliche Gründe eine Rolle gespielt?
Es ist mein Heimatbundesland. Da sind auch sehr stark Emotionen dabei, gar keine Frage.
Wird Ihre Familie Sie in Zukunft öfter sehen?
Wenn man eine Aufgabe wahrnimmt, muss man sie auch zu hundert Prozent erfüllen. Daher wird sich für meine Familie nicht viel ändern. Als Landesrat werde ich sehr viel unterwegs sein. Der Zeitaufwand wird gleichbleiben.
Herr Doskozil, in den letzten Wochen hat die #metoo-Debatte eine beispiellose Solidarisierungswelle mit Frauen, die sexuell belästigt wurden, ausgelöst. Unterstützen Sie das?
Natürlich! In einer Gesellschaft, in der bei sexuellen Übergriffen und sexueller Belästigung weggesehen wird, wollen wir nicht leben. Deshalb ist es wichtig und richtig, dass Frauen aufstehen und das jetzt offen diskutieren. Wir können uns nicht über andere Gesellschaftsordnungen aufregen und sowas bei unserer eigenen möglicherweise unter den Teppich kehren oder sogar tolerieren. Das geht nicht.
War es richtig, dass Peter Pilz gehen musste?
So, wie Peter Pilz reagiert hat, nämlich die persönlichen Konsequenzen zu ziehen, habe ich es für richtig empfunden.
Darf ich Sie fragen, ob Ihnen - Jahrgang 1970 - sowas auch passieren könnte?
Nein. Ich glaube aber, das ist keine Frage des Alters, sondern eine Charaktersache.
Noch 42 Tage bis zum Heiligen Abend: Sind Sie jemand, der am 23. draufkommt, dass er noch Geschenke braucht, oder planen Sie das jetzt schon?
Ich bin weder ein Last-Minute-Einkäufer noch ein großer Planer. Am liebsten wäre mir, wenn ich das Geschenkekaufen delegieren könnte. - Lacht. - Ich freue mich aber auf Weihnachten im Burgenland. Ich mag dieses Innehalten, die Ruhephase rund um die Feiertage, wenn einem die Menschen und das Land das Gefühl vermitteln, als stünde die Zeit jetzt still.
EIN KRONPRINZ KEHRT HEIM
Geboren am 21.6.1970 in der Steiermark, aufgewachsen im Burgenland, wo er bei den Nationalratswahlen Vorzugsstimmenkaiser war. Doskozil studiert Jus, arbeitet dann im Büro von Landeshauptmann Niessl und wird 2012 Landespolizeidirektor des Burgenlandes. 2016 wird er SPÖ-Verteidigungsminister. Vergangenen Mittwoch beschloss die SPÖ Burgenland, dass er Landesrat für Finanzen und Kultur und 2019 wohl Landeshauptmann werden wird. Der 47-Jährige lebt in Scheidung und hat zwei Kinder (Laura ist 19, Lukas wird 17).
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
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