Maria Vassilakou will nicht an ihrem Sessel kleben, bleibt aber noch länger darauf sitzen. Bei der Landesversammlung der Wiener Grünen war am Samstag alles dabei: Drama, Wut, Intrigen - und ein Bußgang. Es bleibt die Frage: Wie viel Zeit hat sich Wiens Vizebürgermeisterin nach dem für sie erfolgreichem Vertrauensvotum erkämpft?
Wer noch nie in seinem Leben etwas mit den Grünen zu tun hatte, wusste schon beim Eintritt in das Studio 44 am Wiener Rennweg, wer sie sind: draußen eine Pro-Mindestsicherungs-Demo, drinnen ein Lastenfahrrad voller veganer Speisen, Biosäfte an der Bar. Willkommen bei der grünen Landesversammlung. Die Frage am Samstag: Wird Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou diesen Tag politisch überleben?
Eine Splittergruppe rund um den Möchtegern-Königsmörder und City-Grünen Alexander Hirschenhauser wollte mit einer Intrige (wir berichteten) die Parteichefin aus dem Amt jagen. Der Antrag Nummer fünf (geordneter Rückzug von Maria Vassilakou aus ihrer Stadträtinnenfunktion) sollte sie stürzen.
Mit einer List gelang es Vassilakou, ihre politische Lebensdauer zu verlängern. Ein dringlicher Leitantrag mit dem Titel "Neubeginn der Wiener Grünen" hatte am Samstag sofort eine Mehrheit, fast alle der 460 Delegierten waren dafür. Der Inhalt: ein Erneuerungsprozess, der im Juni 2018 erste Ergebnisse hervorbringen und im Herbst 2018 abgeschlossen sein soll - neue Auswahlkriterien für die Kandidaten, personelle Änderungen und neue Strategien inklusive. Kleiner, aber feiner Punkt: Welche Person soll die Grünen in die Wahl 2020 führen?
Emotionale Rede: "Nur einer meiner Fehler"
In ihrer 20-minütigen Rede wurde Vassilakou sehr emotional. "Glaubt mir, das ist DIE eine Rede, von der ich hoffte, als wir 2010 in diesem Raum voller Hoffnungen in die Regierung gestartet sind, dass ich sie nie würde halten müssen", begann sie ihr Plädoyer. "Die nächste Zeit entscheidet, wohin die Reise geht. Sollte am Ende dieser gemeinsamen Neuorientierung herauskommen, dass es eine andere Person an der Spitze braucht: Chapeau!"
Sie sei keine Sesselkleberin und gestand auch Fehler ein: "Ich habe die Sprengkraft, die die Hochhauswidmung am Heumarkt grün-intern entfalten würde, falsch eingeschätzt. Und das ist nur einer meiner Fehler. Ich bin seit 2004 an der Spitze der Grünen, seit sieben Jahren Regierungsmitglied, mein Rucksack ist also dementsprechend groß und sein Inhalt - nun ja, wenn ich pro Jahr bloß einen Fehler gemacht hätte, dann wären es nachweislich mindestens 13 insgesamt."
Splittergruppe zog Antrag wieder zurück
Die Gruppe um Hirschenhauser sah sich durch die versprochene Erneuerung bestätigt und zog den Antrag wieder zurück - das reichte Vassilakou aber nicht: Sie sprach die Vertrauensfrage aus, wollte nicht beschädigt aus der Landesversammlung gehen. Ergebnis: 74,9 Prozent für Vassilakou.
Atempause erkämpft - doch für wie lange?
Innerhalb eines Jahres soll geklärt werden, wer als Spitzenkandidat für die Grünen bei der Gemeinderatswahl 2020 ins Rennen geht. So lautete zumindest die offizielle Ansage nach der turbulenten Landesversammlung. Vassilakou ließ eine neuerliche Kandidatur bewusst offen: "Auch meine Position als Nummer eins ist nicht sakrosankt." Auf jeden Fall will sie durch das Vertrauensvotum die Arbeit in der Stadtregierung fortsetzen und den Erneuerungsprozess der Partei mitgestalten.
Geordneter Übergang als Ziel
Wer sich allerdings unter den Delegierten bei der grünen Landesversammlung umhörte, gewann den Eindruck, dass der Zug bereits in eine andere Richtung fährt. So soll Vassilakou ein "Rückzug in Würde" ermöglicht werden. Den meisten Delegierten ist klar, dass ein neuer Spitzenkandidat gesucht werden muss, wenn man die Gemeinderatswahl 2020 erfolgreich bestehen will. Um ein totales Chaos vorerst zu vermeiden, gewährte man der angeschlagenen grünen Frontfrau noch eine letzte Schonfrist, heißt es.
Eifriges Sägen am Stuhl der Chefin geht weiter
Landessprecher Joachim Kovacs und Klubchef David Ellensohn hielten sich nach außen hin bedeckt. Gleichzeitig machten beide deutlich, dass sie beim Reformprozess kräftig mitmischen wollen. "Wir brauchen eine inhaltliche, strukturelle und personelle Neuaufstellung", so Kovacs. Ellensohn wollte eine Spitzenkandidatur von Vassilakou weder ausschließen noch befürworten. Unterstützung für eine Frontfrau schaut anders aus. Eher gilt die österreichische Steigerung: Feind, Erzfeind, Parteifreund!
Lobautunnel als Spaltpilz für Koalition
Die rot-grüne Stadtregierung steuert zudem auf die nächste Krise zu: Bei der Landesversammlung schworen sich Kovacs & Co. auf ein Nein zum Lobautunnel ein. Konflikte mit dem Koalitionspartner sind vorprogrammiert - mit höchst ungewissem Ausgang.
Michael Pommer, Philipp Wagner, Kronen Zeitung/krone.at
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