Kurz in Brüssel
Juncker: Bei FPÖ “keine Vorverurteilungen”
Kaum im Amt, hat Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) alle Hände voll zu tun als Eisbrecher für seinen Koalitionspartner. Erste Station: die EU in Brüssel, wo Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker das Regierungsprogramm der neuen österreichischen Koalition lobte. Es "passt uns zu fast 100 Prozent", sagte Juncker nach dem Besuch von Österreichs Kanzler am Dienstag. Zur FPÖ merkte er an, dass er "keine Vorverurteilungen" vornehmen wolle. Noch mehr Überzeugungsarbeit wartet auf Kurz beim Nachbarn Italien und vor allem in Israel.
"Ich bin froh, dass der neue österreichische Bundeskanzler seinen ersten Auslandsbesuch in Brüssel absolviert. Ich sehe in der Tatsache ein positives Signal", so Juncker in seinem Eröffnungsstatement. Das sei auch ein Beweis für das proeuropäische Bekenntnis in der türkis-blauen Regierungsvereinbarung. "Für mich ist nicht in Abrede zu stellen, dass der neue Bundeskanzler einen deutlich proeuropäischen Kurs steuert. Ich sehe dieser Zusammenarbeit hoffnungsvoll entgegen. Das ist umso wichtiger, als ja auch Österreich in der zweiten Jahreshälfte 2018 den Vorsitz über die Europäische Union führt."
"Keine Vorverurteilungen"
Juncker stellte auch klar, dass es gegenüber der FPÖ rund um Parteichef Heinz-Christian Strache "keine Vorverurteilungen" geben werde. Die EU-Kommission habe auch bei der ersten schwarz-blauen Koalition "geschwiegen". Die damaligen Sanktionen seien von 14 Mitgliedsstaaten in Eigenregie beschlossen worden, nicht aber von der Europäischen Union.
Der österreichische EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn (ÖVP) betonte, dass es selbstverständlich sei, mit allen gewählten europäischen Regierungen und deren Mitgliedern zu sprechen.
Kneissl soll sich "etwas diplomatischer" ausdrücken
Allerdings gab es von Juncker Kritik an der neuen Außenministerin Karin Kneissl. "Ich wünsche mir nur, dass die Außenministerin ihr Bild, das sie über mich hat, in Teilen, vielleicht zur Gänze korrigiert. Sie hat gesagt, ich bin arrogant und zynisch. Wer Außenminister ist, muss sich daran gewöhnen, sich etwas diplomatischer auszudrücken", so der Kommissionspräsident. Aber er gestehe zu, dass die FPÖ das proeuropäische Regierungsprogramm mittrage, wobei er hinzufügte, dass die Koalition an ihren Taten gemessen werde.
Kurz: "Bin froh, dass ich schon mit allen drei Präsidenten sprechen kann"
Kurz zeigte sich sehr zufrieden, dass er schon am Tag nach seiner Angelobung mit den Präsidenten der EU-Kommission (Juncker) und des Rats der EU (Donald Tusk) sprechen konnte. Am Mittwoch trifft er auch noch den italienischen Präsidenten des Europäischen Parlaments, Antonio Tajani. "Ich bin froh, dass ich heute schon am Tag nach meiner Angelobung die Möglichkeit hatte, über unseren Ratsvorsitz zu sprechen. Wir wollen einen Beitrag zu einer starken EU leisten und insbesondere auch die Subsidiarität stärken", sagte der Kanzler.
Ratspräsident Tusk sagte am frühen Dienstagabend, er habe Vertrauen in Kurz. Tusk hatte beim Eintreffen von Kurz festgestellt, es gebe "keinen Zweifel", dass er Österreich weiterhin als zuverlässigen Partner betrachte. Kurz sagte, dass er auf eine "enge Zusammenarbeit" angesichts des österreichischen EU-Ratsvorsitzes im zweiten Halbjahr 2018 setze.
Die Euro-Sozialisten in Brüssel hatten am Montag das Bedürfnis, in der Kritik an der neuen Regierung die Genossen in Wien bei Weitem zu übertreffen. Sie bedauerten den "Rückfall in die dunkelste Phase unserer Geschichte" und schlossen Sanktionen nicht aus, sollten in Österreich EU-Grundwerte bedroht sein. Das EU-Parlament ist allerdings für Sanktionen nicht zuständig.
Frankreichs Kommissar will "wachsam" sein
Der französische EU-Kommissar Pierre Moscovici - noch hinlänglich bekannt als Ober-Sanktionierer des Jahres 2000 gegen die Regierung Schüssel/Haider - rief in Brüssel zur "Wachsamkeit der Demokraten" auf: "Die extreme Rechte an der Macht ist niemals harmlos."
Kritik der ersten Stunde übte auch der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Prinz Said Raad al-Hussein, ein Sohn des früheren jordanischen Königs und Österreich-Freundes Hussein. Der Prinz nannte die Regierung eine "gefährliche Entwicklung im politischen Leben Europas". Die Haltung von Kanzler Kurz sei von "absolutem Opportunismus" geprägt, so der Prinz. Er warnte vor "ethno-nationalistischem, chauvinistischem Nationalismus".
Pass für Südtiroler: Aufregung in Italien
Einen besonderen Knackpunkt stellt die Absicht der Regierung dar, den Südtirolern die österreichische Staatsbürgerschaft anzubieten. Die in Bozen regierende Südtiroler Volkspartei (SVP) begrüßt das Angebot, will es aber "im europäischen Geist" geregelt sehen.
Die SVP distanzierte sich von "nationalistischen, revisionistischen und sezessionistischen Ansätzen, die einzelne Gruppen mit diesem Anliegen verbinden möchten". Zuvor hatte Landeshauptmann Arno Kompatscher erklärt, die FPÖ vertrete eine "nationalistische" Politik, die das Gegenteil der Südtiroler Vorstellungen sei.
Israel: Mit FP-Ministern vorerst kein Kontakt
Der italienische Ministerpräsident Paolo Gentiloni sowie Außenminister Angelino Alfano stehen in dieser Frage unter starkem Druck der italienischen Öffentlichkeit. Der italienische Präsident des EU-Parlaments, Tajani, warnte vor einem "willkürlichen Schritt", denn "Europa mag zwar viele Fehler haben, hat aber die Ära des Nationalismus abgeschlossen".
Den härtesten Brocken an Überzeugungsarbeit stellt Israel dar. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu vermied zwar die Nennung des alten Boykott-Standpunkts, wonach es keine offiziellen Kontakte mit FPÖ-Politikern geben könne, aber bis auf Weiteres soll sich in der Praxis nichts ändern. Es heißt jetzt "professionelle Zusammenarbeit mit den Beamten von Ministerien, in denen ein FPÖ-Minister an der Spitze steht".
Diese Haltung des Abwartens bezieht sich auch auf die Außenpolitik, die Netanyahu, der auch Außenminister ist, direkt mit seinem Amtskollegen Kurz abhandeln will.
Kurz: "Überzeugen und Bedenken ausräumen"
Kurz hat somit als Bundeskanzler mehr außenpolitische Probleme am Buckel als in seiner Zeit als Außenminister, aber in der Außenpolitik hat er Routine: "Unsere Aufgabe wird es sein, im Ausland zu überzeugen, Bedenken zu zerstreuen und auszuräumen."
Kurt Seinitz, Kronen Zeitung/Thomas Zeitelberger, krone.at
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