Härtehammer. Ein Ortsteil des steirischen Gußwerk, aber in Wahrheit eine derart passende Bezeichnung für den brandneuen Audi R8 plus, dass es mich reißt, als ich am Ortsschild vorbeifahre. Optisch vom Vorgänger nur sanft hergereift, wirkt der R8 fast harmlos. Doch dieses Geschoss hat einen 610 PS starken V10-Sauger vor der Hinterachse…
Würde der Ort "Nasenbohrer" heißen oder "Katzenstreichler", es würde sich auch dafür ein Fahrzustand des Ingolstädters finden. Beim Dahincruisen mit an dieser Stelle erlaubtem Tempo wirkt er, als könnte er kein Wässerchen trüben. Fad fast. Doch dreimal kurz am linken Schaltpaddle gezogen, schon sind alle Muskeln gespannt wie bei einem Adler vor dem Sturzflug und man muss sich beinahe zwingen, den Gasfuß vom Bodenblech zu nehmen, damit der Schutzengel eine Chance hat mitzufliegen. Ich kann nur ahnen, wie hinter den Gardinen Köpfe geschüttelt werden. Aber das kenne ich schon vom Anstarten in der Früh.
Kein Turbolader trübt Ansprechverhalten und Gedanken (danke, Audi!), die 5,2-Liter-Maschine atmet frei durch ihre zehn Lungenflügel und bei höheren Drehzahlen (da, wo die volle Power anliegt) ist es auch wurscht, ob die Lenkradtaste für die Auspuffklappen gedrückt ist oder nicht. Es röhrt, es schreit, es ist echt. Kraft mit jedem Zehenzucken, 560 Nm bei 6500/min., drehen bis 8700/min. Man will weiter, aber je nach Schaltmodus ist da der Begrenzer - oder der nächste Gang. 3,2 Sekunden bis 100 km/h, unter 10 bis 200.
Der Allradantrieb (jetzt elektrohydraulisch statt Visko) wiegt einen in trügerischer Sicherheit, weil er die Kraft einfach immer auf den Boden bringt. Die feuchten Kurven hier erfordern aber adäquaten Einsatz der serienmäßigen Keramikbremsen. Rechtzeitig.
Man braucht keine Angst zu haben, dass man diesen Boliden nicht bedienen kann, wie das früher bei echten Sportwagen der Fall war. Man wird ihn nicht abwürgen, bekommt keinen Krampf beim Treten der Kupplung, keinen Muskelkater vom Lenken. Klar, Siebengang-Doppelkupplungs-Automatik und elektromechanische Dynamiklenkung sei Dank. Die würde ich mir aber weniger leichtgängig wünschen. Ich schärfe das Magnetic-Ride-Fahrwerk, spanne das Kreuz etwas an - und zirkle, nein carve um die Radien, immer mit genug Respekt vor den Tonnen an Rollsplit, die hier herumliegen, haarscharf vorbei an den Leitplanken, die da hinter gefühlt sehr viel Auto dahinziehen.
Das Top-Handling hat eine der Ursachen in der neuen Karosseriestruktur, einem Mix aus Aluminium und Karbon, 15 Prozent leichter und 40 Prozent steifer als beim Vorgänger (insgesamt 1595 kg). Auftrieb ist kein Thema, im Gegenteil: Bei 330 km/h (= Höchsttempo) drücken 150 kg abwärts, 50 vorne, 100 hinten.
Gelungen auch die Optik, irgendwie straffer, das Ganze, prägnanter, schneller. Nicht mehr diese riesigen Sideblades. Erstaunlich allerdings, dass die Lufteinlässe vorne nur teilweise Lufteinlässe sind, sondern teilweise Luftgitterblenden - solch optischen Schnickschnack könnte man sich bei einem Supersportler dieses Kalibers eigentlich sparen.
Der Innenraum: sportlich, wohnlich, mit schönen Carbonakzenten und herrlich aus dem Armaturenbrett herauswachsenden Türverkleidungen samt integriertem Lüftungsauslass. Aber um die Mitte geht es wenig harmonisch zu. Das (zugegeben praktische) Ablagefach unter den zapfhahnähnlichen Heizungsreglern wirkt irgendwie hineingeschustert. Da geht mehr. Und dass sich das Armaturenbrett in der Frontscheibe spiegelt, müsste auch nicht sein.
Erstklassig ist aber das "Virtual Cockpit". Dadurch kann Audi auf das Mitteldisplay verzichten und liefert alle Infos direkt vor dem Fahrer aus. Man kann verschmerzen, dass der Beifahrer dadurch zur Untätigkeit verdammt ist. Bedient wird alles vom Lenkrad aus und/oder über den zentralen Drehdrücksteller.
Mindestens 241.200 Euro werden für den Audi R8 plus fällig, gut 20.000 Euro spart man sich, wenn man zur etwas sparsamer ausgestatteten 540-PS-Basis greift. Mit Extras wie "Bang & Olufsen Sound System", "Leder Feinn. erw. Sports. Rauten. Farbn." oder "Motorraumabdeckung in Carbon glänzend" (über 5000 Euro!) kommt der Testwagen auf fast 280.000 Euro. Da machen knapp 16 Liter Verbrauch das Kraut auch nicht mehr fett.
Unterm Strich
Mit seiner perfektionistischen Nüchternheit ist der neue Audi R8 kein permanent Sehnsucht erzeugender Unter-die Haut-Geher. Seine Stärke ist die immense Bandbreite, die er bietet, vom chilligen Cruisen (Isofix für den Beifahrersitz!) bis zum brutalen, harten Räubern. Nur Starten geht nicht sanft - im Hof gibt der R8 den Härtehammer.
Warum?
Warum nicht?
Oder vielleicht …
… Porsche Turbo S, Ferrari 458, Mercedes-AMG GT - oder nächstes Jahr die offene Version
Im Super-Bowl-Spot wird der Audi R8 zur Mondrakete:
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