Sensatioschnell

Endlich Marktstart: Die neuen BMW-Motorroller im Test

Motor
27.07.2012 12:33
Ein Vierteljahr später als geplant kommen die brandneuen BMW-Maxi-Scooter auf den Markt – und die Münchner haben wieder mal den Anspruch, aus dem Stand das Beste zu bieten, was im Segment zu haben ist. Wie vor zwei Jahren mit dem Supersportler S 1000 RR. C 600 Sport und C 650 GT heißt das Roller-Zwillingspärchen, das ich in und um Madrid ausgiebig testen durfte und das jetzt Marktstart in Österreich feiert.
(Bild: kmm)

Hätte mir vor nicht allzu langer Zeit jemand gesagt, ich würde einmal so viel Spaß auf einem Maxi-Scooter haben – äh, ja. Tatsächlich haben sie mich nach an die 100 Kilometer in der Stadt und rund 250 Kilometer drumherum schon fast mit Gewalt vom Roller runterholen müssen, so gut geht das Zeug. 

Aber der Reihe nach: Technisch sind die zwei praktisch identisch. Der komplett neu konstruierte, ziemlich kräftige, 647 ccm große Zweizylinder-Reihenmotor liefert 60 PS bei 7.500 und 66 Nm bei 6.000 Touren über ein CVT-Getriebe (stufenlos) via Kette aus. Zwei Ausgleichswellen sorgen für smooth vibrations (nur im Stand rappelt's etwas), es bleibt kerniger Sound übrig (für mehr davon sorgt auf Wunsch Herr Akrapovic).

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Herr der Ampel
Leistung ist wichtig beim BMW-Roller. "In Rom zählt vor allem eines: Wer ist der Schnellste beim Ampelstart", erklärt BMW-Motorrad-Chef Hendrik von Kuehnheim launig beim Abendessen. "Und da sind wir ganz klar Benchmark." 70 bis 75 Prozent der Bayern-Roller werden in südeuropäische Länder exportiert, auch Madrid ist also ein Heimatgeläuf, die überquellenden Straßen sind die Wohnzimmer von wendigen zweirädrigen Flitzern, die sich durch die Kolonnen schlängeln. Sehr angenehm: Reihenweise machen Autofahrer Platz statt dicht. 

Auf dem nicht sonderlich griffigen Asphalt (auf den extrem rutschigen Madrider Straßenmarkierungen sowieso) dreht das Hinterrad schon mal durch, wenn die Ampel umschaltet. Zwar geht es gleich recht kräftig vorwärts, das CVT müht sich aber noch ein bissl, bis ab etwa 40 km/h dann der volle, satte Schub einsetzt. Ob das zum Ampelkönig reicht, müsste ein direkter Vergleich mit einschlägigen Konkurrenten zeigen. In der spanischen Hauptstadt konnte sich jedenfalls keiner mit mir messen. 

Oder wollte. Denn viele Roller-, Auto- oder Motorradfahrer waren mehr mit dem verklärten Anstarren des C 600 Sport als mit dem Straßenverkehr beschäftigt. Wer mit den Münchner Luxus-Rollern unterwegs ist, sollte nicht kontaktscheu sein: Beim Parken zückte immer irgendjemand Handy oder Digicam, selten wurde ich so oft angesprochen wie hier – ich übertreibe nur leicht, wenn ich sage an jeder zweiten Ampel (der Kontaktfaktor ist höher als mit einem Hund oder einem Kinderwagen). 

Diese Menschen waren hin und weg von der schnittigen, sehr BMW-mäßigen Optik der Roller, die sich (vor allem beim C 600 Sport) klar von dem abhebt, was man von der Fahrzeuggattung gewohnt ist. die fahraktiven Qualitäten werden sie nicht mal geahnt haben, denn die treten erst richtig zutage, wenn man das städtische Gewurl verlässt und sich ambitioniert aufs Land begibt.

Das kann doch kein Roller sein?!
Das erste Aha-Erlebnis bereits auf der A-1: Tacho 180, also echte 175 km/h, fahren sich so spielerisch und sicher, wie das wohl kein anderer Roller kann. Da pendelt nix, auch wenn man es provoziert, Autobahnkurven rufen auch bei dem Tempo statt Schweißausbrüchen spontanes, lustvolles Grinsen hervor, und das nicht etwa, weil das informative Display 8,5 Grad anzeigt. Celsius, nicht Schräglage.

Das zweite Aha-Erlebnis: Die beiden Bayern sind echte Kurventiere. Blitzsauberes Feedback, akkurate Lenkung, da ist nichts schwammig, da verunsichert nichts. Wenn nur alle Motorräder so präzise zu fahren wären - aber das hier sind Roller! Spät schabt der Nippel des Hauptständers am Asphalt, richtig handlich lassen sie sich um enge Kurven zirkeln – dabei wiegt der C 600 Sport 249 kg, 261 kg sind es beim C 650 GT, dafür sitzt man auf diesem drei Zentimeter tiefer (780 mm). Es fehlt nur etwas zwischen den Beinen, dadurch ist die Verbindung zwischen Fahrer und Fahrzeug nicht so innig wie auf einem echten Bike.

Das dritte Aha-Erlebnis: Erstaunliche Bremserei. Die Bremsen (vorne 270er-Doppelscheibe, hinten eine Scheibe) sind in jedem Fall extrem klar zu dosieren, packen kräftig zu, und auch dabei macht der Rahmen keinen Zucker. Das serienmäßige Zweikanal-ABS (kein Combined-System) sorgt zusätzlich für ein sicheres Gefühl. Es sind Stahlflexleitungen verbaut, die Griffweite der beiden Bremshebel ist fünffach einstellbar.

Woher kommt diese motorradartige Fahraktivität?
Die Konstruktion der Münchner Roller ist grundsätzlich eher motorradtypisch. Für die hervorragende Verwindungssteifigkeit sorgt ein Stahlrohr-Brückenrahmen, an dem hinten eine Aluminiumdruckgusseinheit verschraubt ist, der Motor trägt mit. Die Alu-Einarmschwinge ist am Alurahmen angelenkt, das waagrechte Federbein ist in der Vorspannung einstellbar. Vorne kommt eine 40-mm-Upside-Down-Gabel zum Einsatz. So baut man eher Motorräder als Roller. Dazu die mit 15 Zoll relativ großen Räder, die einerseits für Stabilität sorgen, andererseits aber die Wendigkeit in der Stadt erhalten.

Hervorragende soft skills – und innovative Ideen
Vor allem bei zwei Dingen frage ich mich: Warum ist da nicht schon lang jemand draufgekommen? Die bei einem Automatikgetriebe obligatorische Parkbremse muss nicht eigens angezogen werden, sondern packt zu, sobald man den Seitenständer ausklappt. Und der (beleuchtete) Stauraum des C 600 Sport lässt sich im Stand nach unten erweitern, sodass zwei Integralhelme drin Platz haben. Unterhalb des Lenkers befinden sich zwei Handschuhfächer, wovon das linke zentral versperrt wird und sogar einen 12-V-Anschluss hat. Zentral per Zündschlüssel sind auch Tankklappe (zwischen den Beinen) und Sitzbank zu entriegeln.

Die Unterschiede zwischen den Roller-Geschwistern
Auch auf langen Fahrten bequem sind beide, der C 650 GT noch ein bisschen mehr: Er ist der Tourer unter den BMW-Rollern. Der Fahrer erfreut sich an einer einstellbaren Rückenlehne, der Sozius an Trittbrettern statt Fußrasten. Die Optik orientiert sich an den Sechszylinder-BMWs mit Namen K 1600, die Verkleidung ist großzügiger, der Windschild elektrisch verstellbar. Unter die Sitzbank passen 60 Liter, zwei Helme gehen sich auch während der Fahrt aus. Außen wirkt das wie dezent angedeutete Seitenkoffer. In die Rückspiegel sind LED-Blinker integriert.

Der C 600 Sport ist das schlankere, sportlichere Gerät. Der Windschild ist etwas kleiner und dreistufig manuell (ohne Werkzeug) einstellbar, sein Lenker ist flacher. Er hat den sogenannten FlexCase-Stauraum unter der Bank, der sich im Stand erweitern lässt. So wirkt der Roller drahtiger, bietet aber trotzdem viel Platz.

Warum der eine 650, der andere trotz identischer Motorisierung 600 heißt, das konnte mir niemand schlüssig erklären. C 600 soll wohl sportlicher klingen – in Anlehnung an die 600er-Klasse. Wenn dieser nomenklatorische Unsinn das Einzige ist, was an den zwei Rollern nicht stimmig ist, kann ich gut damit leben.

Luxusroller zum angemessenen Preis
Am 28.7.2012 ist Markteinführung. Die BMW-Roller sind nicht schüchtern eingepreist, aber bewegen sich auf dem Niveau der Konkurrenz. Für den C 600 Sport werden 11.500,- Euro fällig, 11.850,- Euro kostet der C 650 GT. Empfehlenswert ist für knapp 1.000 Euro Aufpreis das "Highline-Paket" mit Heizgriffen, Sitzbankheizung, Reifendruckkontrolle (RDC), LED-Tagfahrlicht (besser sichtbar als der Scheinwerfer) und LED-Blinkleuchten (nur C 600 Sport).

Die Testfahrzeuge waren zusätzlich mit BMW-Navigationssystem ausgestattet, was dazu beigetragen hat, dass ich mich als Madrid-Neuling in der 3-Millionen-Stadt auf zwei Rädern sehr wohl gefühlt habe.

Bei BMW hat man sich Zeit gelassen, bis man sich an das Thema Roller wieder herangewagt hat (wobei der seinerzeit gefloppte C1 heute heiß begehrt ist). Das Ergebnis von drei Jahren Entwicklungszeit ist noch besser als erwartet, auch wer kein (v)erklärter Roller-Fan ist, ist hier an der richtigen Adresse. BMW will sowohl Motorradfahrer als auch Autofahrer von den bayerischen Roller-Zwillingen überzeugen – die Argumente sprechen für sich…

Warngen

  • hervorragende Bedienung
  • Warum nicht?

    • Umsteiger vom Motorrad müssen sich an den fehlenden Knieschluss gewöhnen.

    Oder vielleicht …

    • … Yamaha TMAX, Suzuki Burgman, Gilera GP 800, Aprilia SRV 850 
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    (Bild: kmm)



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