Johnny Winter als wegweisenden Musiker zu bezeichnen, würde noch zu kurz greifen. Der US-Amerikaner war nicht nur ein begnadeter Sänger und Gitarrist, sondern auch ein Top-Produzent und guter Kumpel für seine Mitmusiker, für die er stets ein offenes Ohr hatte. In seiner jahrzehntelangen Karriere überzeugte der 70-Jährige mit unsterblichen Blues-Klassikern, rauschte für einige Jahre in den von ihm wenig geliebten Rock 'n' Roll ab und überstand sogar seine jahrelange Heroinsucht.
Schockiertes Umfeld
Am Donnerstagmorgen ist die Legende laut Bericht von "American Blues Scene" in Zürich verstorben. Die Todesursache ist noch unklar. Geschockt zeigte sich auch Jenda Derringer, Ehefrau seines langjährigen Bandkollegen Rick Derringer, ausgerechnet an ihrem Geburtstag auf ihrem Facebook-Profil: "Wir wurden soeben von einer vertrauenswürdigen Quelle darüber informiert, dass Johnny Winter tot ist. Er starb heute Morgen in Zürich. Wie es passiert ist, weiß ich nicht, aber er war in keinem guten gesundheitlichen Zustand, sondern sehr angegriffen und schwach."
Nach seinem großen Durchbruch 1968 war Johnny Winter einer der bedeutendsten Blues-Musiker der 70er- und 80er-Jahre, wurde für sieben Grammys nominiert und 2003 feierlich in die Blues Hall Of Fame aufgenommen. Insgesamt veröffentlichte er an die 20 Alben und fand auf Platz 63 auch Einlass in die renommierte "Rolling Stone"-Liste der "besten Gitarristen aller Zeiten". Er gewann als Produzent drei Grammys und trat auch live beim legendären Woodstock-Festival auf.
Johnny Winter war erst am 12. Juli live beim Lovely Days in Wiesen live zu sehen, wo er eine trotz gesundheitlicher Schwächen beeindruckende Show voller Klassiker bot. Der "Krone" wurde unbewusst zum vielleicht allerletzten Interview Audienz gewährt. Wir sahen einen geschwächten, aber humorigen, sympathischen und voller Lebensfreude erstrahlenden Menschen, der noch freudig über das kommende Album, die Film-Dokumentation über seine Karriere und sein Leben und seinen allerletzten großen Wunsch fabulierte.
Das letzte Interview mit der "Krone"
Unterstützend an seiner Seite - sein Freund, Gitarrist und Produzent Paul Nelson. Tragische Note zum Schluss - in unserem Gespräch meinte er noch scherzhaft, er wolle "auf jeden Fall im Tourbus sterben". Lesen Sie hier das gesamte letzte Gespräch mit der Blues-Legende.
"Krone": Johnny, du bist mittlerweile 70 Jahre alt, veröffentlichst im September mit "Step Back" aber bereits dein nächstes Album. Was bedeutet der Albumtitel?
Johnny Winter: Der Titel hat nichts damit zu tun, dass ich ruhiger werden möchte, sondern handelt vom Zurückgehen in eine Zeit, als ich selbst von der Musik beeinflusst war. Eine Art Retrospektive zu meinen eigenen Anfangstagen. Ihr bekommt jedenfalls klassischen Blues zu hören.
Paul Nelson: Johnny nimmt dieses Projekt sehr ernst und jeder Song auf dem Album handelt im Prinzip von Tagen aus seiner Vergangenheit. Es geht auch darum, der jüngeren Generation den Blues von damals begreiflich zu machen. Es sind viele Gäste auf dem Album zu hören.
Winter: Unter anderem Eric Clapton, Billy Gibbons, Dr. John oder Joe Bonamassa.
"Krone": Wie haben sich all die Kooperationen ergeben?
Winter: Das sind alles Leute, die ich mag und respektiere. Manche Ideen auf dem Album stammten von ihnen, manche von mir.
"Krone": Joe Bonamassa wird von vielen Menschen als die Zukunft des Blues bezeichnet – stimmst du zu?
Winter: Er ist verdammt gut und alles was er schreibt, hat Hitpotenzial. Ich weiß gar nicht ob ihm selbst bewusst ist, wie gut er wirklich ist. Wenn er seine Gitarre in die Hand nimmt, dann knockt er mich problemlos aus.
"Krone": Eric Clapton hat schon in mehreren Interviews gesagt, dass er nicht mehr touren möchte, weil ihm das im Alter zu stressig wird. Bei dir scheint es diesbezüglich keine Probleme zu geben.
Nelson: Bei Clapton steht auch eine ziemlich große Produktion dahinter, während Johnny relativ bescheiden unterwegs ist, was es für ihn auch viel angenehmer gestaltet.
Winter: Ich habe jedenfalls keine Lust, in Pension zu gehen.
"Krone": Dennoch muss es nach so vielen Dekaden Karriere Songs geben, die dir bereits zum Hals raushängen.
Winter: "Rock And Roll, Hoochie Koo" kann ich generell nicht ausstehen. (lacht)
"Krone": Das Lied stimmt aus deiner Rock-'n'-Roll-Ära. Darauf blickst du ja nicht so gerne zurück.
Winter: Es gibt da ein paar Nummern, die ich nicht mehr spielen kann. Aber ich würde nicht sagen, dass Rock 'n' Roll als solcher für mich tabu ist. Klassiker wie "Johnny B. Goode" spiele ich immer noch sehr gerne.
"Krone": Wir haben vor dem Interview kurz über deinen Film gesprochen – was hast du da genau gemeint?
Winter: Der Titel wird "Down & Dirty" sein und es geht um mein Leben im Musikbusiness. Es ist eine Dokumentation.
Nelson: Vom selben Regisseur, der schon die Geschichte von Motörheads Lemmy Kilmister verfilmt hat. Er hat Johnny und die gesamte Band über zwei Jahre lang begleitet und mit so gut wie allen Menschen in seinem Umkreis Interviews geführt. Etwa mit seinem Bruder Edgar Winter oder Joe Perry. Es geht einfach um Johnnys Leben im und mit dem Blues. Wie der Blues Johnny geprägt hat, was er ihm bedeutet und was schlussendlich Johnny für den Blues getan hat. Die Dokumentation ist einfach verdammt ehrlich – es wird sich so anfühlen, als ob du seine Ehefrau wärst. Du bist beim Sehen des Films einfach mitten im Geschehen.
"Krone": Du hattest in der Vergangenheit mehrmals mit Alkohol- und Drogenproblemen zu kämpfen, musstest schwere Zeiten durchschreiten. Wie bist du aus diesem Teufelskreis ausgebrochen?
Winter: Das war wirklich hart, im Prinzip hat sich dieser Zeitraum auf etwa 30 Jahre hinausgezogen. Es war nicht immer einfach.
"Krone": Kamen dir da niemals die Gedanken, die Musik sein zu lassen?
Winter: Nicht eine Sekunde. Das wäre niemals eine Option gewesen.
"Krone": Ein Großteil deines Körpers ist tätowiert, das war in der Zeit deiner Jugend noch nicht sonderlich populär. Hat jedes Tattoo seine eigene Bedeutung?
Winter: Das stimmt schon, aber ich kann mich an das meiste nicht mehr erinnern. Ich weiß nicht einmal mehr so richtig, wo ich welche Tätowierung habe machen lassen. Mein erstes Tattoo habe ich mir erst mit 40 machen lassen. Ich dachte mir nur, dass das ziemlich cool aussieht und habe dann einfach weitergemacht.
"Krone": Bist du ganzkörpertätowiert?
Winter: Nicht auf meinem Rücken. Ich kann es dort nicht sehen, welchen Sinn hätte es also? (lacht)
"Krone": Was fällt dir heute am schwersten, wenn du auf Tour bist?
Winter: Es ist gar nicht wirklich etwas besonders schwierig. Das Reisen an sich kann manchmal etwas beschwerlich sein.
Nelson: Er liebt die Flugzeuge und die Bühne.
Winter: Ich spiele einfach für mein Leben gerne live.
"Krone": Längere Sets zu spielen, ist aber beschwerlicher geworden?
Winter: Nein, auf keinen Fall. Das ist der leichteste Part meines Jobs, ich mache ihn mittlerweile seit 57 Jahren.
"Krone": Proben wirst du nicht mehr nötig haben.
Winter: Deshalb haben wir ein neues Album aufgenommen, das ist wie proben für mich.
"Krone": Wie viel Zeit verbringst du an einem durchschnittlichen Tag an der Gitarre?
Winter: Das ist ganz unterschiedlich. Schwer zu sagen.
Nelsicht verraten. (lacht)
"Krone": Vermisst du deine Familie, wenn du in der ganzen Welt unterwegs bist?
Winter: Auf jeden Fall, das ist nicht immer einfach. Ich nehme sie nicht oft auf Tour mit, meine Frau war es früher gewohnt, viel zu reisen, aber jetzt ist sie auch meist schon sehr müde.
Nelson: In den USA sind die "Rock & Blues Cruises" sehr populär, dort ist Johnny hauptsächlich unterwegs. Da die Entfernung dort nicht so extrem ist, kann auch seine Frau mitkommen. Für Auftritte in Europa fehlt ihr wohl auch schon die Kraft.
"Krone": Verfolgst du eigentlich auch die jüngeren Blues-Musiker?
Winter: Es gibt einige gute Talente und ich bin froh, dass der Blues bei diesen jungen Menschen weiterlebt.
"Krone": Denkst du, dass der Blues auch für die jüngere Generation interessant bleibt, deren Aufmerksamkeitsspanne nachweislich immer kürzer wird?
Winter: Mit Sicherheit. Der Blues wird wohl nicht mehr die Größe der 50er- und 60er-Jahre erreichen, aber auf jeden Fall weiterbestehen. Es gibt immer einen Platz dafür.
"Krone": Als du in den 50er-Jahren begonnen hast, selbst Blues zu spielen war das für einen Weißen sicher nicht so einfach?
Winter: Das stimmt, bis in die 60er-Jahre hinein war es mir kaum möglich, diese Musik mit Herz ausüben zu können. Ich habe sehr viel Rock 'n' Roll und R&B in den Sound stecken müssen, es war für weiße Menschen einfach nicht populär, sich dem Blues hinzugeben.
"Krone": Bereust du gewisse Schritte in deiner langen Karriere?
Winter: Nicht wirklich. Ich würde wohl weniger Rock-'n'-Roll-Songs spielen und mich schon von vorneherein stärker auf den Blues konzentrieren.
"Krone": Kommen wir zurück zu deinem neuen Album "Step Back". Wirst du für ein paar spezielle Shows mit deinen Gästen auf dem Album live auftreten?
Winter: Das wäre der Wahnsinn, aber es wird sich wohl kaum realisieren lassen. Das würde mir wirklich viel Spaß machen, wenn jemand gerade in der Gegend ist, dann soll er doch einfach kommen.
"Krone": Gibt es noch Musiker, mit denen du gerne zusammenarbeiten würdest?
Winter: Ich würde so gerne mit Blues-Legende James Burton spielen. Er ist noch immer auf der Bühne und zeigt sich unermüdlich.
"Krone": Du bekommst von anderen Musikern sicher sehr viele Anfragen, sie bei ihren Projekten mit Gastauftritten zu unterstützen?
Winter: Ja, man kann natürlich nicht alles wahr nehmen, aber ich fühle mich geehrt dadurch.
Nelson: Johnny hat erst unlängst mit Gov't Mule zusammengearbeitet. Er flog dabei extra für vier Shows mit ihnen nach Jamaika. Er hat mit ihnen auch am Blues Fest in New Orleans gespielt.
"Krone": Nach den Europa-Auftritten geht es im Herbst also nahtlos weiter nach Amerika?
Nelson: Johnny tour die ganze Zeit. Derzeit sind es immer noch 100 bis 110 Shows pro Jahr.
"Krone": Es gibt viele 30-Jährige, die weniger Shows im Jahr spielen.
Nelson: Wir haben auch ein wirklich gutes Team, das schon seit vielen Jahren konstant zusammenarbeitet. Wenn wir für zwei bis vier Wochen unterwegs sind, schauen wir auch, dass wir vorher und nachher mindestens je zwei Wochen frei haben, um die Akkus aufzuladen und fit zu bleiben. Noch vor wenigen Jahren teufelte Johnny wie ein 16-Jähriger durch die Gegend. Da es ihm gesundheitlich nicht mehr allzu gut geht, unterstützen wir ihn und nehmen ihm viel Alltagsarbeit auf Tour ab. Früher waren es noch 140 Shows pro Jahr, mittlerweile schrauben wir schon zurück. Johnny hat immer gesagt, er will halb so viele Shows wie B.B. King spielen. Johnny, wie viele Shows hat B.B. in seinen besten Zeiten gespielt?
Winter: Oh mein Gott, das waren 300 bis 350 im Jahr. Er trat so gut wie jeden Abend auf.
Nelson: Johnny sagte mir, dass er das nicht mehr packt, aber die Hälfte würde er hinkriegen. (lacht) Und das auch noch rund um die Welt. Johnny macht schon Scherze, dass er auf jeden Fall im Tourbus sterben möchte.
"Krone": Gibt es nach einer derart imposanten Karriere eigentlich noch etwas, was du erreichen möchtest?
Winter: Ja, ich will einen Grammy gewinnen. Ich habe schon einen gemeinsam mit Muddy Waters erhalten, aber ein eigener wäre die Krönung meiner Karriere.
Dieser letzte große Wunsch wird leider auf ewig unerfüllt bleiben. R.I.P., Johnny. Auf dass du uns auch weiterhin in unseren Herzen weiterbegleitest.
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