"Krone"-Rezension

David Bowies Rückkehr zum Experimentellen

Musik
09.01.2016 17:00

Pünktlich zu seinem 69. Geburtstag erscheint am 8. Jänner David Bowies 25. Studioalbum "Blackstar". Der Altmeister des Unerwarteten legt die Eingängigkeit seines letzten Outputs "The Next Day" zugunsten wilder Saxofon-Abfahrten, experimenteller Beats und fintenreicher Klangkonstrukte. Geduld und Konzentration vorausgesetzt, wird das neue Werk keinen Bowie-Fan enttäuschen.

(Bild: kmm)

Selbst einem genialen Geist wie David Bowie werden manchmal die Grenzen aufgezeigt. Sein bereits im Vorfeld publizierter Titelsong "Blackstar" wabert epische zehn Minuten lang durch die Gehörgänge der Fans, eigentlich hätte der ursprünglich auf zwei Songs aufgeteilte Opener des gleichnamigen Albums aber noch länger sein sollen - die iTunes-Richtlinien durchkreuzten dieses Vorhaben und Bowie wollte den Song keinesfalls in eine Single- und eine Album-Version aufteilen, weil ihm das zu verwirrend erschien. Punktesieg also für die Moderne gegen die Zeitlosigkeit, doch gegen Bowie gewinnt man maximal Schlachten, aber keine Kriege.

Experimentell statt eingängig
Brauchte das musikalische Chamäleon zwischen "Reality" (2003) und dem aus heiterem Himmel veröffentlichten Nachfolger "The Next Day" (2013) noch zehn lange Jahre, hat der in Würde alternde Großmeister der Vielseitigkeit offenbar wieder Blut geleckt. Ganz im Gegensatz zur rockigen, für Bowie-Verhältnisse fast schon zu eingängigen Vorgängerscheibe rund um die gefeierte Single "Where Are We Now?", klingt Bowie 2016 wieder so, wie ihn seine Fans am liebsten haben: hakenschlagend, verstörend, experimentell und ganz und gar unfassbar.

"Blackstar", eigentlich nicht ausgeschrieben, sondern mit einem ★ als Titel versehen, ist kein reines Altersmanifest, sondern ein untrüglicher Beweis für die kompositorische Frische und hohe Kreativität des juvenilen Ausnahmekünstlers mit der betörend-alten Stimme. Das mit Stamm-Produzent Tony Visconti eingespielte Material war von Kendrick Lamar inspiriert und sollte keinesfalls wie schnöder Rock'n'Roll klingen. Mission bravourös erfüllt, denn wo man Bowie auf "The Next Day" noch leichte Zahnlosigkeit vorwerfen konnte, ergießt er sich auf "Blackstar" in jazzig-elektronische Sphären, die weit mehr an verschrobene Großtaten á la "Aladdin Sane" oder "Something In The Air", denn an die poppige Leichtfüßigkeit von "Let's Dance" oder "Heroes" erinnern.

Saxofon und Stimmkraft
Der Titeltrack zum Einstieg ist dabei - so viel sei bereits verraten - das absolute Highlight des 42-minütigen Treibens. Gespenstisch und dissonant treiben die Beats den Song nach vorne, untermalt von Bowies eindrucksvoller, fast schon religiöser und kräftiger Altherrenstimme, bis das Saxofon von Donny McCaslin einsetzt und der Nummer in der zweiten Hälfte zu einer lebensbejahenden Fröhlichkeit verhilft. Den Saxofonist entdeckte Bowie im Frühling 2014 als Besucher in einer New Yorker Bar und rekrutierte ihn und seine Band wenig später per E-Mail für seine eigenen musikalischen Vorhaben. Die erste Zusammenarbeit war der Song "Sue (Or In A Season Of Crime)" für die 2014er Compilation "Nothing Has Changed", den Bowie nun auch auf das Album packte.

Ebenjener Nummer fehlt es an Intensität und Stärke, um mit der hohen Qualität des Openers mithalten zu können. Auch die Up-Tempo-Jazz-Nummer "'Tis A Pity She Was A Whore" und das leidend-krude "Dollar Days" versteigen sich zu sehr in ihrer eigenen Vielschichtigkeit und erschweren es, das Hörvergnügen aufrecht zu erhalten. Überraschend stark erklingt dafür das mit hochgepitchtem Jodeln eröffnende "Girl Loves Me", in dem das Saxofon von maschinellen Beats beiseite gerückt wird und Bowie textlich auf einen britischen Slang von schwulen Männern aus dem London Mitte des 20. Jahrhunderts setzt. Was der Künstler damit wirklich sagen will, ist auch Produzent Visconti unklar - Bowie selbst wird ebenso wenig zur Aufklärung dienen, hat er doch seit 2006 keinen Live-Auftritt mehr absolviert und verweigert seit mehr als einer Dekade beharrlich sämtliche Interviewanfragen.

Fragil und kräftig
Wer sich aufgrund seiner damaligen Herzoperation aber Sorgen um den Gesundheitszustand des Briten macht, kann beruhigt sein. Visconti erklärte dem "Rolling Stone", dass Bowie während des Aufnahmeprozesses zu "Blackstar" bis zu sieben Stunden pro Tag im Studio arbeitete und seine Arbeit in voller Ernsthaftigkeit und Inbrunst ausführte. Wie in den 70er-Jahren stellt Bowie auf "Blackstar" seine Stimme klar in den Mittelpunkt, die ob ihrer altersbedingten Fragilität und Verletzlichkeit einen völlig neuen Intensitätslevel erreicht.

Diese Kraft spürt man vor allem in den Tracks "Lazarus" und dem abschließenden "I Can't Give Everything Away", wo Bowie entspannt und zurückgelehnt das vorangegangene Treiben rekapituliert, von der prägnanten Gitarre Ben Monders unterstützt wird und sich einmal mehr als fleischgewordenes Fabelwesen positioniert, das sich längst nicht mehr durch Interviews oder Statements, sondern ausschließlich durch seine Kunst und die dafür verfassten Texte definiert. So resümiert "Blackstar" zwar nicht als das ultimative Opus Magnum des Meisters aller Klassen, streicht aber die fast schon vergessen geglaubte Seele des Unerwarteten hervor. Für das Album braucht es wieder Geduld und Konzentration - Eigenschaften, die dem iTunes-Kosmos zur Gänze fehlen. Spiel, Satz, Sieg, Bowie.

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