„Kill To Get Crimson“ ist eine weitere Station auf der Reise Mark Knopflers durch die Geschichte und durch die Genres. Er begann eigentlich als Folk-Musiker, wurde dann mit Dire Straits im Rockgeschäft mit virtuosen Solis und Songs wie "Brothers In Arms", "Money For Nothing" oder "Calling Elvis" berühmt. Nach der Trennung der Kultband wandte er sich wieder der Folkmusik zu.
Seine Leidenschaft für britische Lyrik und mittelalterliche Geschichten gipfelt auf dem neuen Opus in Songs wie "The Scaffolder's Wife", einer Erzählung, die irgendwie an die Canterbury Tales erinnert, oder "Secondary Waltz", einem beschwingten Walzer, der wiederum mit modernen Lyrics ausgestattet ist. Knopflers sonderbare Art, Gitarre zu spielen (er schlägt oder zupft die Saiten mit Daumen bzw. Mittel- und Zeigefinger an, während er den kleinen Finger am Lautstärkeknopf seiner Gitarre behält und mit dem Anschlag einer Note aufdreht, sodass der Ton wie bei einem Streichinstrument aus der Schwebe erklingt) bleibt auf "Kill To Get Crimson" als Trademark erhalten.
Rundherum verschwinden die bisher überwiegen breit mit Streichern und Bläsern instrumentierten Knopfler-Arrangement und machen einer spartanischen Besetzung aus Zweitgitarrist, Keyboards, (Double-)Bass und einem weitestgehend zum Spiel mit Besen verdammten Schlagzeuger Platz. Leise Songs mit moderaten Tempi bestimmen das Geschehen auf der ersten Solo-Platte seit der im Jahre 2004 erschienen "Shangri-La". Dazwischen machte sich Knopfler mit der Country-Sängerin Emmylou Harris in den USA einen Namen als Solo-Artist. Jetzt gibt es erneut keinen Rock'n'Roll, keine treibenden Soli à la "Sultans Of Swing". Als Entschädigung überrascht Knopfler mit viel Melodie und Mehrstimmigkeit bei den Vocals und lässt damit seine Sprechgesänge, mit denen er Dire-Straits-Klassikern wie "Money For Nothing" ihre Eindringlichkeit bescherte, die aber auf Alben wie "The Ragpickers Dream" nicht ganz passten, aus dem Repertoire verschwinden.
Trotzdem ist "Kill To Get Crimson" eine bemerkenswerte Platte mit knackig gereimten Zeilen, die ihre Mehrdeutigkeit und Poesie erst beim zweiten oder dritten Hinhören offenbaren. Wer sich die Platte kauft, sollte nach der Heimkehr vom CD-Laden aber lieber erst einmal eine Tasse Tee aufsetzen und die Hauspatschen anziehen, denn dafür, den Hörer umzuhauen, ist "Kill To Get Crimson" sicher nicht gemacht. Am 13. Mai 2008 kommt Mark Knopfler übrigens in die Wiener Stadthalle.
Was ist Ihr persönliches Purpur, für das Sie töten würden?
MK: Mmh. Als ich ein Teenager war, hätte ich gesagt: eine rote Gitarre. (denkt nach) Naja, und heute ist es eigentlich genauso!
Aber Sie mussten nicht dafür töten. Stattdessen hat man Ihnen Gitarren gebaut...
MK: Ja, ist das nicht großartig? Aber es ist immer noch so: Wenn ich eine rote Fender sehe, werde ich ganz aufgeregt. Nein - ich werde richtig nervös, schon beim Anblick einer Gitarre. Wenn ich an Musikläden vorbeigehe, fühle ich mich immer noch wie ein kleiner Junge. Wenn ich mir‘s recht überlege, verbringe ich eigentlich eine ganze Menge Zeit damit, rote Gitarren und Motorräder zu betrachten.
Sie geben sich auf ihrem neuen Album „Kill To Get Crimson“ so folklastig wie noch nie zuvor. Wann haben Sie eigentlich damit begonnen, Songs wie „Secondary Waltz“ oder „Madame Geneva‘s“ zu schreiben? Ihren Weg nach oben beschritten Sie schließlich als Rock‘n‘Roll-Gitarrist.
MK: Eigentlich ganz früh. Ich spielte während meiner Anfangszeit als Musiker sehr oft in Folk-Clubs und tourte sogar mit Folkmusikern. Ich denke, Folk gehört zu meinen Wurzeln, es war immer irgendwie da. Aber Sie haben Recht, auf diesem Album gebe ich mich sehr britischen Themen hin. Aber diese Dualität, Folk und Blues, hatte ich immer.
Gab es eine Initialzündung am Beginn ihrer Solo-Karriere, das Genre zu wechseln?
MK: Mmh. Wer weiß? Ich versuche immer, das Beste für einen Song aus mir herauszuholen. Ich würde nie sagen: Ich werde jetzt einen typischen Folk-Song schreiben, aber unbedingt mit Trompeten. Ich würde die Trompeten dem Song nie aufzwingen. Selbst wenn ich in meiner Band eine Brass-Section hätte, dürfte die nicht automatisch bei jedem Song aufspielen. Ich sehe mir meistens das, was ich geschrieben habe, an, und weiß dann sofort, dass es etwa nach einem schottischen Tanz klingen muss. So war das in etwa bei „Secondary Waltz“.
Bei ihrem letzten Solo-Album „Shangri-La“ drehte sich alles um das Glück, das man im Leben haben kann. Gibt es auch für „Kill To Get Crimson“ so ein übergreifendes Thema?
MK: Ja. Das Leben offenbart sich mehr und mehr als etwas Tolles. Aber wir haben leider nicht viel Zeit. Was zwischen Ihnen und mir momentan passiert, ist etwas Reales. Wir müssen das Beste daraus machen. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Weisheit mit dem Alter gekommen ist, aber ich werde mir immer mehr bewusst, dass die Zeit an uns vorbeifliegt. Man genießt Momente mit Menschen, die man liebt, viel mehr. Man lernt die Dinge, die man gemeinsam macht, zu schätzen.
Passen Sie auf, genießen Sie es! Sagen Sie nicht, es wird nächsten Monat besser sein, wenn die Gehaltserhöhung kommt. Es wird nächsten Monat besser sein, wenn ich befördert werde; wenn ich qualifiziert genug bin oder wenn ich besser spielen kann. Niemand sollte sein Leben so verbringen, denn ehe man sich versieht, ist man zweiundfünfzig. Je älter man wird, desto schneller vergeht die Zeit - besonders dann, wenn man einen Job macht, den man über alles liebt.
Steht das für Songs wie „Let It All Go“ auf ihrem neuen Album?
MK: Ja... und nein. In „Let It All Go“ geht es um Leidenschaft und Zwang. Der Song handelt von einem Maler, der sich dem Drang zu malen nicht entziehen kann. Er ist mir ähnlich. Ich habe eine Verpflichtung, einen Zwang zum Spielen.
Sie waren einmal ein Journalist und später Lehrer...
MK: Nein, ich war beides nicht wirklich (lacht). Ich war ein kleiner Reporter und ich habe ein paar Jahre nebenbei unterrichtet. Es waren gute Jobs für jemanden, der jung ist. Ich bin froh, beides gemacht zu haben, aber es war keine Leidenschaft.
Sie hätten das also...
MK: Nein, ich hätte es nicht mein Leben lang tun können. Ich war auch nicht hartnäckig genug als Reporter. Aber es war eine gute Erfahrung. Ich habe viel dadurch gelernt, etwa wie man Dinge organisiert.
Das Dire-Straits-Album „Brothers In Arms“ wurde letztes Jahr in einer BBC-Abstimmung zum besten Rock-Album aller Zeiten gewählt. Anders als „Brothers In Arms“, wo es um den Falklandkrieg ging, handeln ihre Solo-Songs von kleineren Dingen. Es sind überschaubare Geschichten, die sie erzählen. Etwa bei „The Scaffolder‘s Wife“.
MK: Ja, es sind Porträts. Ich mag das, ich mochte das immer. Und vielleicht haben Sie recht. Vielleicht wird meine Welt so klein, dass sie fast verschwindet...
Sie scherzen...
MK: Ja, vielleicht... (lacht)
Sie kommen im Mai für ein Konzert nach Wien. Wie wichtig ist es Ihnen, auf Tour zu gehen? Wie anders ist es, als Solo-Künstler Konzerte zu geben?
MK: Ach, ich liebe es. Ich würde nicht kommen, wenn ich es nicht so mögen würde. Jeder weiß, dass ich verrückt danach bin, live zu spielen. Es war immer ein großer Teil meines Lebens. Ich gehe sogar so weit, zu sagen, dass es die beste Art zu sterben wäre. Live...
Sie sind als Familienmensch bekannt, wie bringen sie das unter einen Hut?
MK: Tja, du musst dich anstrengen und es ganz einfach auf die Reihe kriegen. Alles hat seinen Preis. Everything comes with a price.
Mir fällt gerade das erste Video ein, in dem ich Sie sah. Sie trugen ein rotes Stirnband und ich dachte, so sieht Rock‘n‘Roll aus.
MK: Ha! Wollen Sie wirklich wissen, warum ich das Stirnband getragen habe? Ich sage es Ihnen: Es war nur wegen des Bühnenlichts! Früher hatten wir diekonnte durch den Schweiß in meinen Augen nichts sehen, also trug ich das Stirnband. Jetzt gibt es kleine, bewegliche Scheinwerfer, die weniger Hitze erzeugen. Ich brauchte das Bandeau irgendwann nicht mehr. Das war also Ihr Rock‘n‘Roll! (lacht)
Fühlen Sie sich jetzt anders, wenn sie ihre Solo-Songs auf der Bühne spielen. Im Unterschied zu früher gehen Sie‘s jetzt ja gemächlicher an. Geht Ihnen das rote Stirnband ab?
MK: Nein, nicht wirklich. Mir fehlt aus dieser Zeit eigentlich rein gar nichts. Aber vielleicht werden meine Songs jetzt soooooo langsam, dass sie fast aussetzen. (lacht) Und beim nächsten Album, werde ich noch laaaaaaaangsamere Songs schreiben. Und bei der anschließenden Tour werden wir die Songs sooooooo laaaaaangsam spielen, dass wir in der Mitte eines Liedes wirklich stehenbleiben.
Sie machen sich schon wieder über mich lustig.
MK: Ja, aber Sie hatten erneut Recht. Die Songs sind langsamer.
Es gab in letzter Zeit die eine oder andere Reunion von mehr oder minder legendären Bands. Genesis, The Police, seit neuestem auch Led Zeppelin. Wie oft wurden Sie seither gefragt, wann sich Dire Straits endlich wieder zusammenfinden werden?
MK: Jeder fragt das. Diese Frage kommt fast so oft wie: Was kommt zuerst - der Text oder die Musik? (lacht) Aber es sind beides gute und zudem sehr logische Fragen. In Wahrheit sind Dire Straits ständig wieder zusammengekommen - bisher aber nur für Charity-Events. Eine Reunion mit Tour und all dem Quatsch wäre zu viel im Moment. Es gibt noch so viele Dinge, die ich erledigen möchte. Allein wenn ich Ihren Laptop hier sehe, kommt diese lange Liste mit all den Songs ins Gedächtnis, an denen ich noch arbeiten will.
Die Erfüllung mit Ihrer Solo-Karriere ist also zu groß für eine Dire-Straits-Reunion?
MK: Yeah, ganz sicher. Sie ist riesig, wirklich riesig. Ich habe diese massive Erfüllung und eine laaaange Liste mit verdammt guten, wirklich laaaaaaangsamen Songs, die ich unbedingt noch aufnehmen will.
Sie werden mir nie verzeihen, dass ich Ihre Songs langsam genannt habe, oder?
MK: Nein, aber trösten Sie sich - Sie haben Recht. Und ich weiß auch, warum sie so langsam sind. Nach einem anstrengenden Tag musst du dich entspannen. Und fetzigen Rock‘n‘Roll kann man zu Hause nach Mitternacht nicht mehr spielen...
Interview: Christoph Andert
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