Schlepper:

“Das Meer ist schuld, wenn die Boote untergehen”

Ausland
31.05.2015 13:40
Jeden Tag versuchen Tausende Flüchtlinge, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen - für viele von ihnen eine tödliche Reise. Doch die gefährlichen Überfahrten werden erst durch die Schlepperbanden möglich, die verzweifelte Menschen für enorme Geldsummen in viel zu kleinen Booten auf das offene Meer schicken. Einer der Männer, die von Ägypten und Libyen aus Überfahrten organisieren, bricht nun sein Schweigen. Der ehemalige Fischer Seif spricht über sein brutales Geschäft und macht dabei eines klar: Das Schicksal der Flüchtlinge ist ihm in Wahrheit gleichgültig.

"Wenn die Schiffe auf dem Weg untergehen, dann sind nicht die Schlepper oder die Bootsbauer schuld. Sondern das Meer", sagt Seif gegenüber der "Bild". "Das Meer möchte dann einfach nicht, dass die Flüchtlinge Europa erreichen." Früher war der 34-Jährige ein einfacher Fischer, der vor der Küste Ägyptens Sardinen aus dem Meer zog.

Doch seit immer mehr Flüchtlinge aus Syrien nach Ägypten strömen, hat sich für Seif und viele andere eine neue, weit lukrativere Geldquelle aufgetan als der Fischfang. Er organisiert Überfahrten nach Europa, in billig zusammengeschweißten und vollkommen überfüllten Booten. Ein Kilo Fisch brachte ihm früher umgerechnet drei Euro. "Für jeden, der hier losfährt, bekomme ich Hunderte Euro. Ist doch klar, was sich da mehr lohnt", sagt er.

"Die Boote müssen nur für eine Strecke reichen"
Das System, so erklärt der Schlepper, ist immer gleich: Zwischenhändler holen die Flüchtlinge mit Minibussen ab und bringen sie an den Strand. Mit kleineren Booten, die bis ans Ufer fahren können, werden die Flüchtlinge schließlich eingesammelt und auf die offene See gebracht. "An Bord herrscht absolute Stille. Dann steigen alle auf ein größeres Boot, das auf dem Meer wartet - und dann beginnt die eigentliche Überfahrt", sagt Seif.

"Um so ein Schiff herzustellen, benötigen wir ein bis drei Monate. Es kommt immer darauf an, ob man ein Boot aus Holz oder Stahl haben will, und wie viel Mühe man sich gibt. "Ein anständiges Boot kostet etwa 70.000 Euro. Darauf bekommt man dann 300 Flüchtlinge, von denen jeder 3.500 Euro bezahlt. Also ein gutes Geschäft." Aber natürlich seien die Boote nicht von bester Qualität. "Sie müssen ja nur für eine Strecke reichen", erklärt Seif. Eine Rückfahrt gibt es nicht, die Boote werden nach der Überfahrt einfach am Strand zurückgelassen.

Rabatte für Großfamilien, Kinder fahren gratis
Gezahlt wird entweder vor der Überfahrt oder durch einen Verwandten in Ägypten, sobald das Schiff sicher in Europa angekommen und der Kapitän am Telefon ein Codewort genannt hat. Auch ein Rabattmodell, das wie aus einem Reisebüro klingt, haben sich die Banden ausgedacht: Kinder unter elf Jahren fahren kostenlos. Für Großfamilien mit mehr als zehn Mitgliedern gibt es einen Spezialtarif. Doch wer kassiert das Geld am Ende wirklich? Über Hintermänner oder Komplizen, mit denen Seif seinen Verdienst teilen muss, schweigt der Schlepper lieber.

Die italienische Küstenwache des EU-Grenzschutzeinsatzes "Triton" war auch an diesem Wochenende wieder im Dauereinsatz. Laut den Behörden wurden seit Donnerstag über 5.500 Migranten in Sicherheit gebracht. Dabei handelt es sich um einen der größten Einsätze in diesem Jahr. Allein am Freitag waren bei einem großen Rettungseinsatz 4.243 Migranten in Sicherheit gebracht worden. Der Papst verurteilte indes den Menschenhandel über das Mittelmeer. "Es ist ein Angriff auf das Leben, unsere Brüder auf den Booten im Kanal von Sizilien sterben lassen", sagte der 78-Jährige am Samstag. Auch der Tod durch Unterernährung, Terrorismus, Krieg, Gewalt und Sterbehilfe sei nicht hinnehmbar, fügte das Kirchenoberhaupt hinzu.

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