Während Evakuierung

Offizier an Kapitän: “Wollen Sie heim, weil es dunkel ist?”

Ausland
17.01.2012 20:50
Vier Tage nach der Schiffshavarie vor der Küste der Toskana werden immer unglaublichere Details über die Unglücksnacht bekannt. Telefonate des Kapitäns mit der Hafenmeisterei, deren Mitschnitte am Montag veröffentlicht wurden, zeigen, dass Francesco Schettino während der Evakuierung über weite Strecken nicht an Bord war. Der Offizier der Behörde drohte daraufhin, dem Kapitän "die Hölle heiß zu machen", wenn er nicht sofort auf das Schiff zurückkehre. Dem Einwand, dass es dunkel sei, wird entgegnet: "Wollen Sie jetzt nach Hause gehen, weil es dunkel ist, Schettino?"

Das erste der mindestens drei Telefonate fand laut "Corriere della Sera" demnach um 0.32 Uhr statt. Der Offizier fragte Kapitän Schettino, wie viele Passagiere sich denn noch an Bord des Schiffes befänden. "200 bis 300", kam als Antwort. Dies würde heißen, dass bereits 4.000 Personen evakuiert waren - laut der italienischen Zeitung waren zu diesem Zeitpunkt tatsächlich erst wenige Menschen gerettet.

"Sind Sie überhaupt noch an Bord?"
Zehn Minuten später ruft der Offizier den Kapitän noch einmal an und will wieder erfahren, wie viele Menschen auf dem Schiff noch zu retten seien. Schettino erklärt: "Ich habe mit der Reederei telefoniert, es sind noch ein paar Hundert." Dem Offizier im Hafen kommt da offensichtlich ein erster schrecklicher Verdacht: "Wie ist es möglich, dass nur mehr so wenige Personen auf dem Schiff sind? Sind Sie überhaupt noch an Bord? Haben Sie das Schiff verlassen, Kapitän?" "Nein, nein. Ich bin da und koordiniere die Rettung", erklärt Schettino.

Wenig später rutscht ihm aber folgender entlarvender Satz heraus: "Wir können nicht mehr an Bord des Schiffes gehen, weil es zur Heckseite kippt. Wir haben das Schiff verlassen." Daraufhin fragt ihn der Offizier noch einmal: "Sie haben das Schiff verlassen, Kapitän?" Woraufhin dieser entsetzt entgegnet: "Nein, nein, natürlich nicht."

"Ich mache Ihnen sonst die Hölle heiß!"
Um 1.46 Uhr versucht der Hafenmitarbeiter im nächsten Telefonat mit Schettino ein weiteres Mal zu erfahren, wie viele Personen noch an Bord der "Costa Concordia" sind. Diesmal ist der Ton allerdings bereits rauer. Vom Kapitän, der sich zu diesem Zeitpunkt in einem Boot befindet, werden detaillierte Informationen angefordert: "Hören Sie zu, da sind noch Leute an Bord. Fahren Sie jetzt mit Ihrem Boot zum Schiff, klettern Sie die Strickleiter am Bug hoch und berichten Sie mir, wie viele Leute noch an Bord sind! Ich zeichne dieses Gespräch auf, Herr Kapitän."

Einen Originalmitschnitt des Gesprächs findest du hier! Die Abschrift des Telefonats kannst du hier lesen.

Daraufhin erklärt Schettino, dass das Schiff bereits starke Schlagseite habe. Der Offizier will dies aber erst gar nicht als Ausrede gelten lassen und verstärkt: "Klettern Sie unverzüglich diese Leiter hoch, gehen Sie an Bord und sagen Sie mir, wie viele Personen da sind! Frauen, Kinder, Personen, die Hilfe brauchen, sagen Sie mir die genauen Zahlen! Ich mache Ihnen sonst die Hölle heiß!"

"Wollen Sie nach Hause, weil es dunkel ist, Schettino?"
Der Kapitän schlägt laut dem Mitschnitt daraufhin vor, dass er den Einsatz doch auch vom Boot aus koordinieren könne. Die Hafenmeisterei kontert: "Weigern Sie sich, an Bord zu gehen? Warum weigern Sie sich? Gehen Sie an Bord, das ist ein Befehl! Jetzt befehle ich: Gehen Sie an Bord! Gehen Sie an Bord und rufen Sie mich unverzüglich von dort an! Es gibt bereits Leichen, Schettino." "Wie viele Leichen gibt es?", will der Kapitän daraufhin wissen und bemängelt, dass es zu dunkel sei, um die genaue Opferzahl festzustellen. "Wollen Sie jetzt nach Hause gehen, weil es dunkel ist, Schettino?", hört man die Reaktion des schier fassungslosen Offiziers der Hafenmeisterei am Tonband.

Zeugen bestätigen Vorwürfe gegen Kapitän
Bereits bis Montagmittag waren Hunderte Zeugen, darunter Passagiere und Mitglieder der Rettungsteams, vernommen worden. Laut dem Oberstaatsanwalt der toskanischen Stadt Grosseto, Francesco Verusio, stehe nach deren Aussagen fest, dass der Kapitän das Schiff verlassen habe, als sich noch viele Passagiere an Bord der "Costa Concordia" befanden (Bilder vom Unglück findest du in der Infobox). 

Weiters soll nach dem Unglück kein "SOS"-Ruf abgesetzt worden sein. Der Kapitän selbst hingegen hatte bei mehrstündigen Verhören am Samstag und am Dienstag behauptet, als Letzter das Schiff verlassen zu haben, auf dem sich dramatische Szenen abspielten, wie Amateurvideos auf YouTube beweisen (siehe Video 1Video 2 und Video 3). 

"Schweres menschliches Versagen"
Zudem stellt sich auch die Kreuzfahrtgesellschaft Costa Crociere gegen ihren Angestellten: Laut der Firma habe "schweres menschliches Versagen des Kapitäns" zu dem Unglück geführt. "Es scheint, dass der Kommandant Fehlentscheidungen getroffen hat, die schwerste Folgen gehabt haben", erklärte der Geschäftsführer der Reederei, Pier Luigi Foschi, am Montag bei einer Pressekonferenz. Die Entscheidungen Schettinos in der Notsituation seien nicht den üblichen Regeln von Costa Crociere gefolgt.

Wienerin: "Kapitän war gut organisiert"
In Schutz nimmt Schettino eine 23-jährige Wienerin, die als Hostess auf dem Schiff gearbeitet hat (gesamter Bericht in der Infobox): "Dass der Kapitän als einer der Ersten das Schiff verlassen hat, kann ich nicht glauben. Vielleicht ist er so wie ich mit einem Rettungsboot auf die Insel übergeschifft, dann aber wieder auf die 'Costa Concordia' zurückgekehrt, um weiter bei der Evakuierung zu helfen. Ich habe ihn in den Morgenstunden am Pier gesehen, wo alle Rettungsboote ankamen", sagte Marie Bulgarini. "Ich habe den Kapitän als gut organisierten, kompetenten Menschen kennengelernt. Warum wir so nahe an die Insel gefahren sind, weiß ich nicht."

Schettino war 2002 als Sicherheitsoffizier zu Costa gekommen und 2006 zum Kapitän ernannt worden, hieß es in einer Aussendung der Reederei.

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