Die von Spindelegger genannten 100.000 Zuwanderer sind laut der Statistik Austria eigentlich schon heute jährliche Realität. Weil aber gleichzeitig viele wieder gehen, bleibt ein Saldo, der in den vergangenen Jahren zwischen 9.000 und 50.000 schwankte.
Gänzlich ohne Einwanderer würde Österreichs Bevölkerung von heute bis ins Jahr 2075 von rund 8,4 Millionen auf 5,7 Millionen Menschen schrumpfen und dabei kräftig altern. Was die Überalterung betrifft, so sind bereits jetzt schon 18 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre alt, Tendenz stark steigend. Im Durchschnitt sind die Österreicher jetzt 41,5 Jahre, vor zehn Jahren waren es noch 39 Jahre.
Der Großteil der Zuwanderung ist nicht steuerbar, denn mehr als die Hälfte der nach Österreich kommenden Menschen stammt aus der EU. Direkt eingreifen kann Österreich aber bei den Schlüsselarbeitskräften, doch deren Zahl ist derzeit gering: In der Niederlassungsverordnung für 2010 sind gerade einmal 2.450 Unselbstständige vorgesehen, der Löwenanteil entfällt auf 4.905 Niederlassungsbewilligungen für den Familiennachzug.
Spindelegger sieht Sozialsysteme in Gefahr
"Mit dem Überalterungsprozess in Österreich und den wenigen Kindern, die es bei uns gibt, sind unsere Sozialsysteme von alleine nicht mehr tragfähig", bekräftigte Spindelegger am Montag seinen Vorstoß vom Wochenende erneut. Österreich müsse "realistisch in die Zukunft blicken" und einen pro-aktiven Prozess für die Zukunft starten. "Wir sehen einfach, dass wir in der Zukunft die Richtigen brauchen, die sich auch zu Österreich bekennen und die deutsche Sprache sprechen." Man solle aktiv Länder für Zuwandernde und entsprechende Qualifikationen festlegen, plädierte Spindelegger.
In Hinblick auf die Abschiebung der Familie Zogaj in den Kosovo sagte Spindelegger, man müsse zwischen Asylsuchenden und jenen unterscheiden, die nach Österreich kommen wollten, um hier zu leben und zu arbeiten. Asyl sei ohnehin ein eigenes Rechtsverfahren.
Hundstorfer bereit für mehr Tempo bei "Rot-Weiß-Rot Card"
Die für die Zuwanderung zuständigen Ressorts in der Regierung, Innenministerium und Sozialministerium, verwiesen am Montag auf die im Regierungsprogramm vereinbarte "Rot-Weiß-Rot Card", mit der sich SPÖ und ÖVP auf ein "kriteriengeleitetes Zuwanderungssystem" verständigt hatten. Geplant war die Einführung der "Rot-Weiß-Rot-Card" eigentlich bereits für 2010, die Sozialpartner konnten sich bis dato aber noch nicht einigen. Offenbar haben vor allem die Arbeitnehmer-Vertreter massive Bedenken.
Sozialminister Rudolf Hundstorfer signalisierte am Montag Bereitschaft, die Verhandlungen schneller vorantreiben zu wollen. Er wolle das Instrument bis Herbst ausverhandelt sehen. Im "Krone"-Gespräch verwies auch er darauf, dass etwa im Jahr 2015 gegenüber heute ohne Zuwanderung mehr als 40.000 Personen im Alter von 15 Jahren fehlen. Das wirke sich negativ auf Schule und Betriebe aus – Klassen bleiben dann leer, es gibt zu wenig Lehrlinge.
Hundstorfer zeigte sich daher "glücklich", dass die ÖVP die Diskussion um die Zuwanderung aufgenommen habe. Schließlich verweise er schon seit Monaten darauf, dass eine "geordnete Zuwanderung" nötig sei. Wichtig sei, dass man erkannt habe, dass man geordnete Zuwanderung brauche, "um unsere Sozialsysteme, aber auch unseren Arbeitsmarkt aufrechtzuerhalten".
IV und WKÖ drängen auf Umsetzung, AK hält sich bedeckt
Bei den Verhandlungen zur "Rot-Weiß-Rot Card" würden auch die Industriellenvereinigung und die Wirtschaftskammer gerne mehr Tempo sehen. "Unsere Vorschläge liegen am Tisch", sagte Margit Kreuzhuber, Beauftragte für Migration und Integration in der WKÖ, am Montag. Angesichts der Wirtschaftslage gebe es aber seitens der Arbeitnehmervertreter Gründe, die Gespräche zu verlangsamen, meinte die IV. So sei die hohe Arbeitslosigkeit eines der Argumente, dass derzeit kein guter Zeitpunkt für eine derartige Debatte sei. Man müsse die Sache aber "schon jetzt angehen, wenn man in drei, vier, fünf Jahren Erfolge sehen will", sagte Christian Friesl von der IV.
Der Verband verweist darauf, dass es zwar bereits jetzt eine Netto-Zuwanderung von 20.000 bis 30.000 Personen pro Jahr gebe. Wunsch von IV und WKÖ ist, dass der Anteil der hoch qualifizierten Personen unter diesen Zuwanderern steigt, denn derzeit habe man "relativ schlecht qualifizierte Zuwanderer", so Friesl. "Wir wollen, dass die Personen, die in Österreich bleiben, besser zu unserem Arbeitsmarkt passen." Auf Zahlen wollte sich Kreuzhuber nicht festlegen: "Es geht uns nicht um Quantität, sondern um Qualität."
Bei den Arbeitnehmervertretern hielt man sich am Montag zum Thema Verhandlungsstand recht bedeckt. Aus der Pressestelle von AK-Chef Herbert Tumpel verlautete lediglich, die "Hauptsorge" gelte momentan der Besser-Qualifizierung der in Österreich lebenden Menschen und dem Senken der Arbeitslosigkeit. Außerdem fordert man seitens der AK "Schutzmechanismen gegen Lohn- und Sozialdumping", wenn im Mai 2011 die Übergangsfristen für die neuen EU-Länder auslaufen. Dies müsse alles geklärt sein, bevor man an eine Öffnung des Arbeitsmarktes denkt, hieß es.
FPÖ und BZÖ geißeln Spindelegger
FPÖ und BZÖ geißelten Spindelegger für seinen Vorstoß. Die FPÖ wolle zwar "fleißigen Zuwanderer in Österreich eine Chance geben", merkte Vizeparteichef Norbert Hofer Hofer in einer Aussendung an. "Zuwanderungspolitik à la Spindelegger lehnen wir aber ab." Vielmehr sollten Ausländer, die in Österreich straffällig werden, "unsere Kinder mit Drogen vergiften oder unsere Verfassung mit Füßen treten", des Landes verwiesen werden - aber auch jene, die keine Arbeit finden.
Der steirische BZÖ-Abgeordnete Gerald Grosz bezeichnete am Montag die Forderung Spindeleggers nach 100.000 Zuwanderern bis 2030 "angesichts der katastrophalen Situation am Wirtschafts- und Arbeitsmarkt" als "brandgefährlich". Die "sommerlichen Ideen" des Außenministers seien "an Schwachsinnigkeit kaum zu überbieten".
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