Müll-Krieg in Italien

Proteste in Neapel eskalieren – “Mafia kennt keine Krise”

Ausland
22.10.2010 10:22
Die teils gewaltsamen Proteste gegen den Bau einer neuen Mülldeponie in Terzigno bei Neapel gehen weiter. In der Nacht auf Freitag kam es den fünften Tag in Folge zu gewalttätigen Ausschreitungen. Über 1.000 Personen errichteten Straßenblockaden vor dem Zugang einer bereits bestehenden Halde, die fast voll ist. Die Polizei griff ein, eine Person wurde verhaftet. Einige Kameraleute, die die Ausschreitungen filmten, wurden von der Exekutive geschlagen, berichteten italienische Medien am Freitag.

Mit den Protesten in Terzigno befasst sich am Freitag nun auch der Ministerrat in Rom. Regierungschef Silvio Berlusconi will mit seinen Ministern Maßnahmen zur Bewältigung des Notstands in Neapel besprechen. Gesundheitsminister Ferruccio Fazio bestritt, dass die Deponie eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung darstellt. 

Die Bürger klagen jedoch seit Monaten über den unerträglichen Gestank. Sie behaupten zudem, in der Deponie werden gefährliche Substanzen entsorgt. Der Bürgermeister von Boscoreale, Gennaro Langella, reichte aus Protest seinen Rücktritt ein.

Keine Lösung in Sicht
Die Müllkrise in Neapel und der umliegenden Region Kampanien existiert seit Jahren. Die bestehenden Deponien sind hoffnungslos überfüllt, betroffene Gemeinden blockieren aber den Bau neuer Halden. Obwohl seit 1994 mehr als eine Milliarde Euro zur Bekämpfung der Müllkrise im Raum Neapel aufgewendet und renommierte staatliche Experten eingesetzt wurden, um das Problem zu bewältigen, ist vorerst kaum eine Lösung in Sicht.

Camorra verdient mit Müll-Geschäft
Das Geschäft mit dem Abfall ist für die Camorra, die neapolitanische Mafia, übrigens mindestens so lukrativ wie jenes mit Drogen. Hinter der scheinbar unlösbaren Müllkrise im Großraum der süditalienischen Metropole steckt das organisierte Verbrechen, das in der illegalen Entsorgung eine Goldgrube entdeckt hat. Der illegale Müllhandel zählt zu den Hauptgeschäften der Camorra. Davon ist auch der Schriftsteller Roberto Saviano überzeugt, der in seinem Bestseller "Gomorrah" die Hintergründe minuziös beschrieben hat. "Die Camorra verwaltet ein kriminelles Imperium, in dem der Müllhandel für Riesengewinne sorgt. Die illegale Abfallentsorgung zählt zu den rentabelsten Geschäftszweigen der Camorra", schrieb Saviano.

Die Camorra hat Interesse daran, dass alles so bleibt, wie es ist, oder noch schlimmer wird, meinen Ermittler. Denn das organisierte Verbrechen verdient schon gut drei Jahrzehnte an illegalen Mülllagern und hat sich seither mit Erfolg in das "dreckige" Geschäft der Abfallbeseitigung gedrängt. Umweltschützer sprechen seit langem von "Ökomafia". Sie verdient im Müllgeschäft über undurchsichtige, staatlich-private Unternehmen enorme Summen.

Müllberg ist zweimal so hoch wie der Mount Everest
"Die Camorra besitzt das Monopol im Handels mit Giftmüll. Seit über 30 Jahren entsorgen norditalienische Unternehmen ihre Gifte über Vermittler, die mit der Camorra verstrickt sind. Der gefährliche Abfall landet auf illegalen Deponien in der Region Kampanien und verseucht die Felder, was zu einer deutlichen Steigerung der Krebsrate geführt hat. Sollte man den illegalen Müll, der bisher von den Clans entsorgt wurde, auftürmen, würde sich ein Berg bilden, der zweimal so hoch wäre wie der Mount Everest", sagt Saviano. Gefährliche Substanzen und Reste chemischer Verarbeitung würden von mafiösen Organisationen als harmloser Abfall verpackt und im Auftrag von Unternehmen auf öffentlichen Deponien oder in Verbrennungsöfen entsorgt. 258 Mafia-Clans mischen in diesem illegalen Geschäft mit.

Aber auch mit dem normalen Hausmüll erzielt die Camorra Gewinne. Wenn wie jetzt die Deponien voll und nur wenige in Betrieb sind, kann die Camorra ihre Macht ausspielen und auf dem Höhepunkt der Krise alternative Deponien anbieten oder Abfälle verschwinden lassen. "Die Camorra will keine Müllverbrennungsanlage: Deponien garantieren, dass sie irgendwann voll werden und dass man neue braucht. Die Camorra will den Dauernotstand", behauptet eine Anti-Mafia-Expertin.

"Ökomafia kennt keine Krise"
20 Milliarden Euro jährlich erwirtschaftet die sogenannte Ökomafia mit der illegalen Abfallentsorgung und schwarzen Geschäften in der Bauwirtschaft, ergab eine jüngst veröffentlichte Studie des italienischen Umweltschutzverbands Legambiente. "Die Ökomafia kennt keine Krise", heißt es in dem Bericht. 28.586 Umweltdelikte wurden im Jahr 2009 festgestellt, das sind 78 pro Tag, drei pro Stunde. Die meisten davon werden in den vier süditalienischen Regionen Kampanien, Apulien, Kalabrien und Sizilien registriert, in denen die Mafia am stärksten vertreten ist. Allein im vergangenen Jahr wurden 5.217 Umweltverbrechen in Zusammenhang mit illegalem Müllhandel registriert, im Jahr davor waren es noch 3.911.

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