Tschetschenen-Mord

Verteidiger will Präsident Kadyrow im Zeugenstand

Österreich
16.11.2010 17:23
Unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen hat am Dienstag im Wiener Straflandesgericht der Prozess um den Mord am tschetschenischen Asylwerber Umar Israilov begonnen, der am 13. Jänner 2009 in Wien-Floridsdorf auf offener Straße erschossen wurde. Der Verteidiger des Hauptangeklagten Otto K., Rudolf Mayer, ließ mit der Forderung aufhorchen, den tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow (Bildmitte) in den Zeugenstand zu rufen.

Der 42-jährige Otto K., ein in St. Pölten wohnhafter, aus Tschetschenien stammender Versicherungsmakler gilt in dem Prozess als Hauptangeklagter. Er soll "die Gesamtverantwortung für die Operation, deren logistische Vorbereitung und Koordinierung" innegehabt und "Kontakt zur tschetschenischen Führung" gehalten haben, ist der Anklageschrift zu entnehmen. Mehr noch: Dem Vernehmen nach war Otto K. ein enger Vertrauter von Präsident Kadyrow.

Mit K. auf der Anklageplatz nahmen Suleyman D. (36) und der Drittangeklagte, 31-jährige Turpal-Ali Y. Platz. Y. ist der Bruder des Polizei-Spitzels Kosum Y., der bei der Vorbereitung der Tat und dem anschließenden Bemühen, Spuren zu verwischen, ebenfalls eine Rolle gespielt haben könnte.

Das Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) sieht in Tschetscheniens Präsidenten den Drahtzieher des Komplotts, wobei die Ermittler in ihrem Abschlussbericht einen "definitiven Tötungsauftrag" vom Juni 2008 erwähnen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Staatschef und geht dabei davon aus, dass die ursprüngliche Intention darauf gerichtet war, den 27 Jahre alten Israilov gewaltsam nach Tschetschenien zu verbringen, nachdem dieser gegen den Präsidenten ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angestrengt hatte. Der Anklagebehörde reicht die Beweislage derzeit aber nicht aus, um gegen diesen Anklage zu erheben und einen internationalen Haftbefehl auszustellen.

Verteidiger: "Hinweise, aber keine Beweise"
Für Verteidiger Rudolf Mayer besteht die Anklage im Mordfall Israilov hingegen nur aus "Vermutungen" und "Schlüssen". Der Staatsanwalt verfüge über "Hinweise", aber keine Beweise, wonach Otto K. das Verbrechen geplant haben soll. "Das Ganze war eine rein kriminelle Aktion", so Mayer. Israilov habe 300.000 Euro veruntreut, die Mitangeklagten hätten den 27-Jährigen daher entführen und möglicherweise foltern wollen, "damit er sagt, wo das Geld ist". Sein Mandant habe keinen Entführungs- oder Mordauftrag von Ramsan Kadyrow umgesetzt bzw. umsetzen lassen.

Kadyrow im Zeugenstand?
Zum Beweis dafür will Mayer die Ladung und zeugenschaftliche Einvernahme des tschetschenischen Präsidenten beantragen: "Vielleicht kommt er ja her." Ansonsten möge man ein Rechtshilfeersuchen an die russischen Behörden richten und Kadyrow auf diesem Weg einvernehmen lassen. Dass es ein Foto gibt, das Kadyrow in inniger, freundschaftlicher Umarmung mit Otto K. zeigt, ließ Mayer nicht als Indiz für ein Naheverhältnis zwischen den beiden gelten: "Kadyrow ist in seinem Nachbardorf aufgewachsen, die beiden waren gemeinsam in der Präsidentengarde."

"Das war niemals eine geplante Tötung. Weder im Vorhinein noch so wie es abgelaufen ist. Der Ablauf zeigt, da hat es keinen Plan gegeben", sagte Mayer. Die beiden Männer, die Israilov verfolgten und schließlich niederschossen, hätten diesen "stoppen wollen". Die Schussrichtung - die Täter hatten auf den Unterkörper gezielt - mache das deutlich.

Tat anhand von Handy-Daten rekonstruiert
Zu Beginn des ersten Prozesstags hatte Staatsanwalt Leopold Bien den Geschworenen angekündigt, dass die Ergebnisse der Rufdatenerfassung rund um den Mord an Umar Israilov für das Verfahren entscheidende Bedeutung hätten - was bei der Schilderung des Tathergangs und der Vorbereitung deutlich wurde. 

So wurde anhand der Einloggdaten seines Handys festgestellt, dass sich der Zweitangeklagte Suleyman D. von der zweiten Dezemberhälfte 2008 bis zum Tag der Tat am 13. Jänner 2009 an zumindest zwölf Tagen in der Wohnumgebung des späteren Opfers in der Leopoldauer Straße in Wien-Floridsdorf aufgehalten habe. "Es ging darum, die Lebensgewohnheiten Israilovs, den Tagesablauf auszuforschen", meinte Bien.

Druck auf Umar Israilov ausgeübt
Primär sei es darum gegangen, den letztlich Ermordeten nach Tschetschenien zurückzubringen, sagte der Ankläger. Einen ersten Versuch dazu gab es bereits im Juni 2008, als ihn ein anderer Tschetschene, Artur K., aufsuchte und überreden wollte, in das Land zurückzukehren. Dabei wandte er mehr oder weniger sanften Druck an, indem er ihm mitteilte, dass in der Slowakei ein Mordkommando schon bereitstehe. K. wurde später nach fremdenrechtlichen Kriterien festgenommen und laut Bien am Tag nach der Festnahme auf eigenen Wunsch nach Moskau abgeschoben.

Im Herbst kam eine tschetschenische Delegation nach Wien und wurde von Otto K. mit Letscha B., dem mutmaßlichen Schützen, der sich nach der Tat nach Tschetschenien abgesetzt haben dürfte, am Flughafen empfangen. Bien vermutet, dass dabei der Auftrag für die Tat erteilt wurde. Dabei sollte Israilov gewaltsam nach Tschetschenien gebracht, also entführt werden, so die Anklage. "Aber es stand von vornherein fest, dass Israilov sterben muss, wenn die Entführung fehlschlägt", zeigte sich der Staatsanwalt überzeugt.

Wilde Szenen mitten in Wien
Am 13. Jänner 2009 fuhren Suleyman D. und Letscha B. zeitig in der Früh von St. Pölten nach Wien. Bereits um 5 Uhr kontaktierten sie den Drittangeklagten Turpal-Ali Y., wie sich aus der Rufdatenerfassung ergab. Rund zwei Stunden später wurde er bei einer Tankstelle aufgegabelt. Mit zwei Autos wurde rund um die Wohnung Israilovs Position bezogen. Dabei war auch ein Volvo mit verdunkelten Heckscheiben, der sich für eine Entführung besonders geeignet hätte.

Immer wieder telefonierten die Angeklagten miteinander. Hektisch wurde es vor allem, weil Kosum Y., Polizeispitzel und Bruder des Drittangeklagten, versuchte, seinen Verwandten aus dieser Geschichte herauszubekommen. Kosum Y. rief wiederholt Otto K. an, der sich zu Hause in St. Pölten aufhielt. Dieser konferierte daraufhin über zwei kurz zuvor beschaffte Wertkartentelefone mit Suleyman D..

Kurz vor 12 Uhr überschlugen sich die Ereignisse: Israilov verließ seine Wohnung, ging aber nicht, wie von den mutmaßlichen Tätern erwartet, auf der Leopoldauer Straße stadteinwärts, sondern begab sich in entgegengesetzter Richtung zu einem Supermarkt in der Nähe. Es musste improvisiert werden. Die Autos wurden laut Anklage schnell umgestellt, vor dem Supermarkt in einer Nische erneut Position bezogen.

Als Israilov aus dem Supermarkt kam, folgte der erste Angriff. Laut Staatsanwalt wollten sich Letscha B. und Turpal-Ali Y., beide mit silberfarbenen Pistolen bewaffnet, auf das Opfer stürzen, doch Israilov schleuderte seinen Einkauf Letscha B. ins Gesicht und rannte um sein Leben. Doch die beiden Widersacher verfolgten ihn, nachdem sie ein erstes Mal geschossen hatten. Ein zweiter Schuss, der nicht traf, folgte auf Höhe der Leopoldauer Straße 19. Einer der beiden stellte laut Anklage Israilov bei der Einmündung in die Ostmarkgasse und verpasste ihm vier Schläge auf den Hinterkopf. Doch "mit dem Mut der Verzweiflung" konnte sich Israilov noch einmal losreißen und flüchtete in die Ostmarkgasse.

Auf Höhe des Hauses Nummer zwei kam aber das Ende. Der Anklage zufolge war es aller Wahrscheinlichkeit nach Letscha B., der dreimal feuerte und ebenso oft traf. Die ersten beiden Schüsse gingen durch die linke Hüfte und die Bauchhöhle. Israilov soll getaumelt sein, aber noch immer nicht aufgegeben haben. Der dritte Treffer ging links von der Wirbelsäule in die Bauchhöhle, eröffnete das Zwerchfell, die Milz sowie den Magen und blieb schließlich im Rippenbogen stecken. "Eine Überlebenschance hatte er nicht", kommentierte Bien.

Die gefundenen Patronenhülsen dürften allesamt aus der Waffe von Letscha B. stammen. In der näheren Umgebung des Tatortes wurde auch eine Jacke mit Schmauchspuren gefunden. Der mutmaßliche Schütze dürfte sich ihrer entledigt haben. Letscha B. ist weiterhin flüchtig und soll laut neuesten Ermittlungen in Tschetschenien untergetaucht sein.

Anwältin: "Israilov am hellichten Tag hingerichtet"
"Umar Israilov wurde am helllichten Tag mitten unter uns hingerichtet", sagte Nadja Lorenz, die ehemalige Anwältin des umgekommenen tschetschenischen Flüchtlings, die nun die Interessen der Hintenktion aus, "um auszusprechen, was Umar und seine Familie erleiden musste und wofür er gekämpft hat, nachdem er Tschetschenien verlassen hat".

Nach Darstellung der Anwältin hatte sich Israilov als 19-Jähriger der Unabhängigkeitsbewegung in seiner Heimat angeschlossen. 2003 fiel er Ramsan Kadyrow in die Hände, der damals noch Sicherheitschef im Regime seines Vaters war. Israilov sei drei Monate lang und teilweise von Kadyrow persönlich schwer gefoltert worden, gab Lorenz an. In diesem Zusammenhang las sie den Geschworenen eine Passage einer angeblich von Kadyrow persönlich durchgeführten Tortur mit einem Elektroschock-Gerät vor, die Israilov in seinem Asylverfahren zu Protokoll gegeben hatte. Lorenz verwies weiters auf ein in diesem Verfahren eingeholtes gerichtsmedizinisches Gutachten, demzufolge die Verletzungsspuren am Körper Israilovs mit den geschilderten Folterungen in Einklang zu bringen waren.

Israilov habe auch Folterungen und von Kadyrow persönlich angeordnete Hinrichtungen von anderen Häftlingen erlebt, referierte die Anwältin. Deshalb habe es der tschetschenische Präsident vermutlich als besondere Bedrohung erlebt, als Israilov beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein Verfahren gegen Kadyrow in die Wege leitete. Kadyrow habe erzwingen wollen, dass Israilov seine Beschwerde in Straßburg zurückzieht und nach Tschetschenien zurückkehrt.

Angeklagte: "Nicht schuldig"
Die drei Angeklagten haben sich vor Gericht "nicht schuldig" bekannt. Otto K. versicherte, er habe Israilov "nie im Leben gesehen". Dann wandte er sich an den anwesenden Vater und die Witwe des Flüchtlings und sagte: "Ich nütze die Gelegenheit, der Familie mein Beileid auszudrücken. Das ist eine Tragödie, die nicht nur die Familie, sondern ganz Tschetschenien betrifft."

Suleyman D. räumte als Einziger der Angeklagten ein, Israilov gekannt zu haben. Er sei dessen ungeachtet "unschuldig", gab er zu Protokoll: "Wenn ich gewusst hätte, dass er entführt hätte werden sollen, hätte ich das Land verlassen." Auf die Frage von Richter Friedrich Forsthuber, wer seiner Meinung nach den Mord zu verantworten habe, erwiderte der Zweitangeklagte: "Er (Israilov, Am.) hatte wie auch ich viele Probleme. Er war kein schwacher Mann. Starke Männer haben immer Probleme."

Turpal-Ali Y. verneinte, auf Israilov geschossen zu haben. Er habe Suleyman D. mit seinem eigenen Auto zu Israilov chauffiert, weil D. ihn darum bat: "Ich habe nicht gefragt, warum. Man muss einem Menschen helfen. Wenn einer fragt, hilft man." Er habe Israilov "überhaupt nicht gekannt" und plötzlich, als er aus dem Auto ausstieg, Schüsse gehört. In diesem Moment sei Letscha B., der mit im Wagen gesessen war, mit einer Pistole in der Hand angerannt gekommen. "Da bekam ich Angst und bin ihm nachgerannt. Er hat mir dann eine Pistole zugeworfen, die ich in einen Mistkübel geworfen habe", so der Drittangeklagte.

Die Verhandlung wird am Mittwoch fortgesetzt.

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