Geheime Dossiers
Vatikan-Enthüller Gianluigi Nuzzi im “Krone”-Gespräch
Er sitzt im Zug von Mailand nach Rom, vor wenigen Stunden wurde der Kammerdiener des Papstes, Paolo Gabriele, von der italienischen Polizei festgenommen (siehe Infobox). Der langjährige Vatikan-Bedienstete soll geheime Dokumente aus dem Schreibtisch von Benedikt XVI. entwendet haben - und er hätte diese Geheimpapiere an Nuzzi weitergegeben. "Den Wunsch nach Wahrheit kann man nicht einsperren", meint dieser.
In Italien haben die Enthüllungen der vergangenen Tage wie eine Bombe eingeschlagen. Es geht um Macht, Poltik, Geld und Sex. "Maria", wie Nuzzis Quelle im Werk genannt wird, wollte "die Händler aus dem Tempel vertreiben". Immer wieder taucht der Name des päpstlichen Kabinettschefs Tarcisio Bertone auf. Er soll der Strippenzieher für gewaltige Summen sein, die an Investmentfonds wie J.P. Morgan in Frankfurt geflossen sind. An ihn sind - zur Information des Heiligen Stuhles - auch Dossiers adressiert, die aufschlüsseln, wie katholisch verpflichtet sich die einzelnen Mitglieder der Regierungen Berlusconi fühlen.
Napolitano "nur standesamtlich verheiratet"
Neben Familienrecht, Sterbehilfe und Fristenregelung ist die Gebäudesteuer ein Thema - auch beim geheimen Abendessen des Papstes mit Staatspräsident Giorgio Napolitano am 19. Jänner 2009. Die Kirche muss wenig später trotzdem ihren Obolus für den umfangreichen Immobilienbesitz in Italien leisten. Zu Napolitano wird vermerkt: "Nur standesamtlich verheiratet."
Rauer sind die Töne gegenüber der deutschen Kanzlerin. Sieben Seiten umfasst das Kapitel: "Papst Benedikts Anmerkungen gegen Angela Merkel." Die Protestantin hatte im Zuge der Affäre Williamson 2009 öffentlich Kritik geübt: "Der Papst muss klar sagen, dass der Holocaust nicht geleugnet werden darf. Für mich ist dies bisher nicht ausreichend geschehen." Die päpstliche Diplomatie geriet in die Bredouille, der Oberste Hirte schreibt in einer internen Anweisung vom "Medien-Tsunami".
Milde Vatikan-Worte für Berlusconi
Milde erfährt hingegen Silvio Berlusconi, der in einem anonymen Dossier als "Opfer der politischen Justiz" dargestellt wird. Erst nachdem sein "Rubygate" mit Details von angeblichen Sex-Partys eskaliert, kühlt das Verhältnis zwischen dem Vatikan und den Vertrauensleuten des "Cavaliere" ab. "Ich spende 10.000 Euro für die wohltätigen Zwecke des Heiligen Vaters und ersuche um eine Audienz", bittet etwa Silvio-Getreuer und Fernsehjournalist Bruno Vespa "Don Giorgio" Georg Gänswein, den Sekretär des Papstes noch zu Weihnachten 2010.
"Alles, was mit dem Vatikan zu tun hat, ist in Italien eine Staatsaffäre", erklärt Nuzzi. Sein Buch offenbart die Finanz- und Außenpolitik des kleinen, aber immens mächtigen Kirchenstaates. Gelenkt wird er von einem einfachen Büro aus - mit zwei Festnetztelefonen, ohne Handy. Und niemand hätte gedacht, dass durch eine Palast-Intrige der Schreibtisch des Papstes geknackt würde.
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