Generalsekretär Heinz Patzelt zeigte sich "unsagbar zornig" und appellierte an die Bundesregierung und die Landeshauptleute, ihre Verantwortung bei der Unterbringung von Asylwerbern wahrzunehmen. Das "Quoten-Pingpong" etwa sei "unerträglich". Flüchtlingsunterbringung sei "kein Gnadenakt", es handle sich um eine "Management-Aufgabe, die zu lösen ist, wenn man will". Der "Pseudonotstand" sei selbst verursacht, so der Generalsekretär. Er pochte auf rasche, einfache Lösungen.
"Das Versagen anderer Staaten kann niemals eine Rechtfertigung sein für das, was sie vorgefunden haben", so Patzelt über die Überprüfung. "Ich habe so etwas in Österreich nicht für möglich gehalten."
Sollte der Bericht keine Wirkung auf die Unterbringung und Betreuung in Traiskirchen zeigen, will Amnesty das völlig überfüllte Flüchtlingslager "sehr bald" wieder prüfen, kündigte Patzelt an. Überprüfungen von Flüchtlingslagern seien in vielen anderen Ländern "Routine", in Mitteleuropa jedoch die Ausnahme, so Patzelt. Der Staat versage bei der Versorgung von Kriegsflüchtlingen und verletzte etwa die UN-Kinderrechtskonvention oder die Frauenkonvention. Einzig die Antifolterkonvention und jene gegen die Todesstrafe würden nicht verletzt, stellte er fest.
"Strukturelles Versagen"
Die Research-Mission von Amnesty International stellte ernsthafte Verletzungen von bindenden Standards in Traiskirchen fest. Patzelt beschrieb die Situation als "strukturelles Versagen".
Völlige Überbelegung, unzureichende medizinische und soziale Versorgung, leicht vermeidbare administrative Hürden, Verzögerung beim Weitertransport in andere Einrichtungen und eine besonders prekäre Situation für Kinder und Jugendliche, die ohne elterliche Begleitung nach Österreich gekommen sind - das sind die wesentlichen Ergebnisse, die vom Research-Team während seiner Inspektion am 6. August festgestellt wurden. Aber auch lange Warteschlangen bei der Ausgabe der Identitätskarten, Duschnischen für Männer und Frauen ohne Vorhänge oder Trinkwasserleitungen statt Wasserflaschen wurden kritisiert.
Fehlende Unterkünfte, unbetreute Kinder, Frauen ausgeliefert
Daniela Pichler, die Leiterin des Amesty-Research-Teams, berichtete von fehlenden Unterkünften und elendslangen Warteschlangen: "Als wir vor Ort waren, mussten rund 1500 Menschen im Freien schlafen. Dazu kommen noch jene, die außerhalb des Geländes übernachten - ein unhaltbarer Zustand."
Besonders prekär sei auch die Situation der Kinder und Jugendlichen, die allein nach Österreich geflüchtet seien. Pichler: "Es gibt für sie keine adäquate Betreuung. Viele von ihnen sind noch immer obdachlos."
Auch für eine weitere besonders schutzbedürftige Gruppe - die Frauen - bestehe kein ausreichender Schutz in Traiskirchen. So gebe es etwa unter den Obdachlosen Schwangere oder Frauen mit neugeborenen Kindern. Die Duschen in den Sanitäranlagen müssen gemischt genutzt werden, es gebe nur Nischen ohne Vorhänge.
Mangelnde medizinische Hilfe
Von einer mangelnden medizinischen Versorgung der Flüchtlinge in Traiskirchen sprach Siroos Mirzaei, der als medizinischer Experte ebenfalls dem Research-Team angehörte: "Die Menschen müssen oft lange, manchmal sogar tagelang warten, bis sie behandelt werden. Dadurch können ersthafte medizinische Probleme entstehen", so der Arzt.
Für die Tausenden Flüchtlinge, teils mit traumatischen Kriegserfahrungen, stehen insgesamt nur vier Ärzte und drei Psychologen zur Verfügung. Den Ärzten bleiben nur wenige Stunden pro Tag für die Behandlung kranker Flüchtlinge, denn die meiste Zeit werde für die Erstuntersuchung aufgewendet. Manche würden sich auch nicht in die Ordination trauen, da sie befürchten, aufgrund einer Krankheit nicht in Privatunterkünfte zu kommen, stellte Mirzaei fest. Die psychologische Betreuung sei "völlig unzureichend", so der Experte weiter.
Auch die Sanitäranlagen sind in einem schlechten Zustand. In einer Toilette "schwammen Exkremente", auch war der Boden nass, so Mirzaei. Auch er sah - wie seine Kollegin Pichler - aufgrund der gemeinsamen Duschen die Menschenwürde von Frauen verletzt: "Die Probleme wären leicht zu lösen."
Lange Liste an Forderungen
Amnesty International hat nun eine Reihe an Forderungen ausgearbeitet, die die Lage der Flüchtlinge schnellstmöglich verbessern sollen. Neben der vordringlichen rechtlichen Neugestaltung des Zuweisungs- und Unterbringungssystems zur sofortigen Beseitigung der Obdachlosigkeit fordert die Organisation etwa eine ausreichende, menschenrechtskonforme medizinische Versorgung. Besonders schutzbedürftige Gruppen, darunter Überlebende von Folter, gesundheitlich schwer beeinträchtigte Personen, Schwangere, ältere Menschen sowie unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, sollen verstärkt in den Blickpunkt rücken. Für Kinder und Jugendliche, die allein nach Österreich geflüchtet sind, verlangt Amnesty International umgehend eine altersadäquate Betreuung und einen gesetzlichen Vormund, der ihre Interessen wahrt.
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