Armut in Österreich

Bei 230.000 reicht der Lohn nicht fürs Leben

Österreich
20.01.2009 12:11
In Österreich leben etwa eine Million Menschen in Haushalten mit Einkommen unter der Armutsgefährdungsgrenze, bei 230.000 reicht trotz steter Arbeit der Lohn nicht fürs Leben. Das geht aus dem am Montag veröffentlichten zweiten Armuts- und Reichtumsbericht der Österreichischen Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung hervor. Steigend ist dabei vor allem die Zahl jener eingangs genannten Menschen, die trotz eines Jobs armutsgefährdet sind, die sogenannten "working poor": Mit 230.000 ist sie zwölf Prozent höher als im Jahr 2003. Auf der anderen Seite gibt es in Österreich immer mehr Reiche: Die Zahl der Dollar-Millionäre (rund 70.000 Menschen) stieg innerhalb dieser fünf Jahre um 17 Prozent.

Die Armutsgefährdungsquote liegt seit Jahren konstant hoch zwischen zwölf und 13 Prozent, erklärte Politikberater Andreas Höferl bei einer Pressekonferenz am Montag in Wien. Armut betrifft vor allem Arbeitslose, kinderreiche Familien, Alleinerzieher und Migranten. Eine Ursache für Armutsgefährdung ist auch der Anstieg atypischer Beschäftigung. Nur noch 57 Prozent der Beschäftigten sind ganzjährig in Vollzeitbeschäftigung. Ebenfalls erheblich seien die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen.

Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weiter
Während rund eine Million Österreicher in einem Haushalt mit einem Einkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle (893 Euro bei Einpersonenhaushalten) lebt, nahm gleichzeitig aber auch der Reichtum zu. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer weiter, so Höferl. Das Geldvermögen wurde in den letzten zehn Jahren auf fast 2,155 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Davon haben jedoch nur die wenigsten etwas, denn während kleine Einkommen mit neun Prozent nur schwach gestiegen sind, wuchsen sie im obersten Einkommensdrittel um über 40 Prozent. Die Zahl der Reichen und Super-Reichen nahm zu, 70.000 Dollar-Millionäre (plus 17 Prozent gegenüber 2003) gibt es in Österreich.

Österreich ist kein "Hochsteuerland"
Einen "maßgeblichen Einfluss" auf die Entwicklung von Armut und Reichtum hat die Steuerpolitik. Im internationalen Vergleich zeige sich, dass Österreich kein "Hochsteuerland" ist. Bei der Vermögensbesteuerung weise es laut Höferl sogar die mit Abstand geringste auf. Dies kritisierte auch Sozialwissenschafter Emmerich Talos, der von einer "Schieflage" im Steueraufkommen sprach: "Menschen mit weniger Einkommen, zahlen die Umverteilung." 

Zur Bekämpfung der Armut wären laut Talos neben Maßnahmen in der Steuerpolitik auch mehr Mittel für den Arbeitsmarkt sowie die Einführung von Mindeststandards notwendig. Die bedarfsorientierte Mindestsicherung wäre "unumgänglich". Die Politik hätte aber auch für eine "Verwirklichungschance" - durch Bildung, soziale und öffentliche Dienstleistungen - zu sorgen, so Höferl.

Hundstorfer will Mindestsicherung rasch umsetzen
Die Bekämpfung der Armut werde weiterhin im Zentrum der Sozialpolitik stehen, erklärte Sozialminister Rudolf Hundstorfer in einer ersten Reaktion. "Mit der Umsetzung der bedarfsorientierten Mindestsicherung werden wir ein weiteres wichtiges Instrument zur Armutsbekämpfung erhalten", so Hundstorfer in einer Aussendung. Die Mindestsicherung soll "so rasch wie möglich" umgesetzt werden, hieß es aus dem Büro des Ministers. Sollte einzig Kärnten dagegen sein, hätten die anderen Bundesländer zu entscheiden, ob diese Maßnahme ohne Kärnten umgesetzt werde. Ziel wäre jedenfalls eine bundesweite Lösung.

Küberl: "Armutszeugnis" für Österreich
Caritas-Präsident Franz Küberl bezeichnete die Ergebnisse des Armuts- und Reichtumsberichts als "Armutszeugnis" für Österreich. "Um den heimischen Sozialstaat sicher in die Zukunft zu führen, muss man ernsthaft in Überlegungen zu einer Vermögenszuwachssteuer einsteigen", erklärte Küberl. Er sprach sich auch für eine "zügige Umsetzung" der bedarfsorientierten Mindestsicherung aus.

Die Volkshilfe drängt ebenfalls auf eine rasche Umsetzung: "Es ist für viele Menschen unverständlich, dass für die Banken in kürzester Zeit Milliarden zur Verfügung gestellt werden, die Einführung der Mindestischerung aber auf sich warten lässt", so Volkshilfe Präsident Josef Weidenholzer. Neben der Mindestsicherung macht sich die Organisation außerdem für eine solidarische Pflegesicherung stark, da Pflegebedürftigkeit immer noch ein Armutsrisiko darstelle.

BZÖ fordert Mindestlohn von 1.300 Euro brutto
Das BZÖ forderte angesichts der steigenden Zahl der "working poor" einen Mindestlohn von 1.300 Euro brutto. "Wer arbeitet, der muss von seinem Lohn auch anständig leben können", erklärte Sozialsprecherin Ursula Haubner. Sie sprach sich auch für die Einführung eines "Generationengeldes" aus, als finanzielle Anerkennung unbezahlter sozialer Leistungen wie Kindererziehung oder Pflege. Die FPÖ wiederum kritisierte, dass das "Working poor-Phänomen" ein Resultat "verfehlter rot-schwarzer Sozialpolitik" sei, wie FPÖ-Sozialsprecher Herbert Kickl erklärte. Die Schutzinteressen der Arbeitnehmer würden immer weiter untergraben, ÖVP und SPÖ seien nur Erfüllungsgehilfen eines "neoliberalen EU-Kurses", kritisierte Kickl.

Grünen-Sozialsprecher Karl Öllinger ortet Defizite im österreichischen Sozialsystem, da es nicht vor Armut schützt. Er forderte deshalb die sofortige Anhebung des Arbeitslosengeldes und der Notstandshilfe. Eine Grundsicherung müsse zudem sicherstellen, dass die Menschen nicht in Armut "dahinvegetieren". "Und sie muss Betroffene dabei unterstützen, neue Perspektiven zu entwickeln. Beide Bedingungen erfüllt das Regierungsmodell leider nicht", so Öllinger.

AK ortet "Handlungsbedarf"
Eine solidarische Gesellschaft hätte dafür zu sorgen, dass Arbeitslosigkeit nicht zur Armutsfalle wird, erklärte Bernhard Achitz, Leitender Sekretär im ÖGB. Die bedarfsorientierte Mindestsicherung, auf Grund der Wirtschaftskrise noch wichtiger, müsse rasch umgesetzt werden - "und zwar österreichweit", betonte Achitz. Auch die Arbeiterkammer (AK) ortet "Handlungsbedarf": Die Bekämpfung der sozialen Schieflage in Österreich, gerade in Bezug auf Erwerbseinkommen, müsse verstärkt werden, erklärte Christoph Klein, Bereichsleiter für Soziales in der AK Wien. Er sieht zudem die AK-Forderung nach Verbesserungen, etwa der Erhöhung der Notstandshilfe, bestätigt.

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