Unvorstellbares Drama auf der A4: Am Donnerstagvormittag sind auf der Ostautobahn zwischen dem burgenländischen Neusiedl und Parndorf in einem abgestellten Schlepper-Lkw bis zu 50 Flüchtlinge tot aufgefunden worden - die vermutlich aus Syrien stammenden Menschen dürften in dem Fahrzeug erstickt sein. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sprach von einem "dunklen Tag". Wie Hans Peter Doskozil, Burgenlands Landespolizeidirektor, am Abend bei einer Pressekonferenz bekannt gab, wurde der Lkw in eine Halle nach Nickelsdorf gebracht. "Aufgrund der Situation kann man nicht ausschließen, dass auch Kinder und Frauen unter den Toten sind."
Wie Doskozil in der Pressekonferenz bekannt gab, wurde der Lkw bislang nicht geöffnet. In der Nacht sollen die Leichen geborgen werden, danach werden sie in die Gerichtsmedizin Wien überstellt. Am Freitagvormittag will die Polizei dann die genau Opferzahl bekannt geben. Laut Doskozil dürften die Menschen bereits seit eineinhalb bis zwei Tagen tot sein. Es werde daher nicht ausgeschlossen, dass die Flüchtlinge schon tot waren, bevor der Lkw die österreichische Grenze passiert hatte.
Der 7,5 Tonnen schwere Lkw dürfte bereits am Mittwoch in der Nähe von Parndorf im Bezirk Neusiedl am See auf dem Pannenstreifen abgestellt worden sein. Am Donnerstagvormittag fiel er einem Mitarbeiter des Asfinag-Streckendienstes auf, der mit Mäharbeiten beschäftigt war. "Ihm ist aufgefallen, dass es dort raustropft", sagte ein Asfinag-Sprecher. Laut Polizei handelte es sich dabei um Verwesungsflüssigkeit, die bereits von der Ladefläche des Kühlfahrzeuges tropfte.
Polizei bot sich ein schreckliches Bild
Der Mitarbeiter habe "richtig und schnell reagiert und die Polizei informiert". Polizisten machten schließlich den entsetzlichen Fund. Den Beamten hätte sich ein Bild geboten, bei dem unverzüglich klar wurde, "dass es zu 1000 Prozent keine Überlebenden im Fahrzeug gibt". Die Dutzenden Flüchtlinge dürften erstickt sein. Allerdings sagte Doskozil: "Wir können zum jetzigen Zeitpunkt keine konkreten Angaben machen, wie der Tod eingetreten ist." Zum Zustand der Leichen wollte Gerald Tatzgern, Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität und des Menschenhandels im Bundeskriminalamt, keine Angaben machen. Jedenfalls würden die Toten auch dahingehend untersucht, ob Fremdeinwirkung im Spiel war.
Eine Bergung der Toten war jedenfalls nicht am Tatort möglich, so Helmut Marban, Sprecher der Landespolizeidirektion Burgenland. Das Fahrzeug wurde laut Doskozil am Nachmittag abgeschleppt und in die Veterinärdienststelle nach Nickelsdorf gebracht. Dort soll der Lkw in gekühlten Räumlichkeiten geöffnet werden. Die Tatortgruppe der Polizei wird dann weitere Untersuchungen vornehmen, ein an Ort und Stelle befindlicher Gerichtsmediziner wird mit der Befundaufnahme beginnen.
"Für so eine Sache gibt es keinen Referenzfall"
Die Staatsanwaltschaft Eisenstadt begann umgehend nach dem Fund mit ihren Erhebungen, um das Schicksal der ums Leben gekommenen Flüchtlinge aufzuklären. "Wir befinden uns in der intensiven Erstermittlungsphase", erläuterte Fuchs am Donnerstagnachmittag. Fragen zur Nationalität, zum Alter und zum möglichen Todeszeitpunkt konnte er noch nicht beantworten: "Eine Obduktion wurde in die Wege geleitet. Die Befundaufnahme durch einen Gerichtsmediziner ist im Laufen." Wie lange es dauern wird, bis feststeht, woran die Flüchtlinge gestorben sind, sei nicht abschätzbar: "Für so eine Sache gibt es keinen Referenzfall."
Großfahndung nach Schleppern läuft
Nach den Schleppern läuft eine Großfahndung. "Wir werden nichts unversucht lassen, den Fahrer und seine Hintermänner auszuforschen und das Verbrechen aufzuklären", versicherte Fuchs. Das Innenministerium bestätigte mittlerweile zwischen 20 und 50 Tote. "Die Tatortarbeit wird heute sicher noch nicht abgeschlossen. Das dauert die nächsten Tage an", sagte Oberst Tatzgern. Der Laster müsse zudem akribisch kriminaltechnisch untersucht werden, um alle Beweismittel zu sichern und keine Spuren zu zerstören. Die Polizei sucht auch Zeugen im Zusammenhang mit dem Abstellen des Lasters in der Pannenbucht.
Bei dem Lkw mit ungarischem Kennzeichen handelt es sich um ein Kühlfahrzeug, auf dem sich der Schriftzug einer slowakischen Hühnerfleischfirma befindet. Laut einem Sprecher des Unternehmens wurden 13 ihrer Lkws 2014 verkauft. Offenbar habe ein Käufer einen der Transporter nach Ungarn weiterveräußert. Um welches Fahrzeug es sich im konkreten Fall handle, lasse sich nicht nachvollziehen. Der Käufer sei übrigens nicht verpflichtet, die Firmenaufschrift zu entfernen, hieß es. Das Unternehmen zeigte sich von dem Fall betroffen.
Das Nummernschild hatte jedenfalls ein Rumäne in der ungarischen Stadt Kecskemet beantragt, so Janos Lazar, Stabschef von Premier Viktor Orban. Lazar zufolge soll dem Mann das Fahrzeug auch gehören. Zur Unterstützung der Ermittlungen sind mittlerweile ungarische Kriminalisten im Burgenland eingetroffen. Die ausländischen Kollegen würden bei der weiteren Abklärung der ungarischen Kennzeichen des Fahrzeugs helfen, sagte Polizeisprecher Gerald Pangl. So soll u.a. überprüft werden, ob die Kennzeichen den Behörden in Ungarn schon aufgefallen sind. Ob die Nummernschilder gestohlen oder aufrecht für den Lkw zugelassen waren, war am Donnerstag noch unklar.
Mikl-Leitner: "Heute ist ein dunkler Tag"
Bei einer Pressekonferenz in Eisenstadt sprach Innenministerin Johanna Mikl-Leitner zu Mittag über die Asyl-Tragödie, die "die verabscheuungswürdigen Methoden der Schleppermafia in all ihrer Hässlichkeit auch in Österreich" zeige: "Heute ist ein dunkler Tag", so die Ministerin. Wer jetzt noch immer meine, Schlepper seien generell gutmütige Fluchthelfer, "dem ist nicht mehr zu helfen".
Man müsse "mit aller Härte und null Toleranz" gegen die Schlepper vorgehen. Es gehe nun auch darum, die gesetzlichen Maßnahmen zu verschärfen: "Es geht darum, die Schlepper in U-Haft zu bringen und nicht auf freiem Fuß anzuzeigen. Diese Leute gehören hinter Gitter!" Die Schleppermafia müsse wissen, dass "sie sich in Österreich nicht sicher fühlen" könne.
"Müssen an EU-Außengrenzen Anlaufstellen schaffen"
Diese Tragödie führe "uns wieder einmal vor Augen, wie wichtig es ist, an den EU-Außengrenzen Anlaufstellen zu schaffen, die dieser innereupäischen Schlepperei ein Ende setzen. Und dort brauchen wir eine schnelle Entscheidung darüber, wer Kriegsflüchtling und wer Auswanderer aus wirtschaftlichen Gründen ist. Damit die echten Kriegsflüchtlinge dann sicher und fair über alle EU-Mitgliedsländer verteilt werden können." Die Ressortchefin kündigte zudem verstärkte Kontrollen in den internationalen Zügen und im grenznahen Raum an.
Bundespräsident Heinz Fischer sprach von einem "schockierenden Ereignis". Lesen Sie hier weitere Reaktionen aus der österreichischen Politik!
Am Montagabend soll mit einem Gedenkgottesdienst im Wiener Stephansdom der zu Tode gekommenen Flüchtlinge gedacht werden. Geleitet wird die Messe von Kardinal Christoph Schönborn, der alle Kirchen bat, zu diesem Zeitpunkt die Glocken läuten zu lassen.
Flüchtlinge: "Kaum Luft zum Atmen bekommen"
Erst am Vormittag hatte die Polizei bekannt gegeben, dass am Dienstag bei Bruck an der Leitha drei Schlepper gefasst worden waren. Einer von ihnen hatte in einem Kastenwagen 34 Flüchtlinge über die Grenze nach Österreich gebracht. Die Menschen, unter ihnen zehn Kleinkinder, die er einfach auf der Autobahn aussteigen ließ, erzählten bei ihrer Befragung, dass sie für die Fahrt in den Kastenwagen gepfercht worden seien und "kaum Luft zum Atmen" bekommen hätten. Mehrfache Bitten habe der Lenker ignoriert und sei ohne Pause von der serbischen Grenze bis nach Österreich durchgefahren.
Die Tragödie erinnert an den Tod von fünf Flüchtlingen aus Sri Lanka im Jahr 1993. Sie waren am 26. Jänner auf einem Parkplatz der A2 entdeckt worden. Ermittlungen ergaben, dass sie beim Transport erstickt und von skrupellosen Schleppern auf dem Rastplatz bei Leobersdorf im Bezirk Baden in Niederösterreich einfach im Gebüsch abgeladen worden waren.
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