Es sei jahrelange Praxis gewesen, auffällig gewordene Priester einfach zu versetzen, kritisierte am Mittwoch der Psychologe Philipp Schwärzler, Verfasser des Berichts der Plattform. Dass "Missbraucher eine Jobgarantie" bei der Kirche haben bzw. hatten, sei ein "zutiefst bedrückendes Resümee".
Der Bericht selbst umfasst vor allem eine zahlenmäßige Erfassung der bisherigen Aufklärungstätigkeit der Plattform, die Schwärzler am Mittwoch mit einer inhaltlichen Analyse ergänzte. Im Folgenden zunächst die wichtigsten Daten des Berichts im Detail:
Meldungen: Allein in den ersten zehn Tagen kontaktierten 150 Menschen die Hotline, bis heute waren es 325 Betroffene - 91 Frauen (28 Prozent) und 234 Männer (72 Prozent). 59,1 Prozent der insgesamt 482 als Gewaltübergriff zu kategorisierende Handlungen betrafen dabei sexuelle Gewalt. Ausschließlich von "seelischer Gewalt" berichteten nur rund 32 Prozent der Betroffenen.
Dauer der Misshandlung: Die Mehrzahl der Betroffenen (43,3 Prozent) gibt an, dass sich die Misshandlungen über 2 bis 5 Jahre erstreckten. 17,6 Prozent der Mädchen geben einen Misshandlungszeitraum von 8 Jahren oder länger an, neun Prozent der Buben wurden 8 Jahre oder länger misshandelt.
Zeitpunkt: Mit 59,7 Prozent betreffen die meisten Fälle die 60er- und 70er-Jahre, 18 Betroffene wurden seit 1990 misshandelt.
Alter der Betroffenen zu Tatbeginn: 12 Prozent der Anrufer waren zu Beginn der Übergriffe sechs Jahre oder jünger. Der Großteil der Misshandlungen (79,5 Prozent) ereignete sich zwischen dem 7. und dem 14. Lebensjahr. Die vergleichende Darstellung des Alters bei Buben und Mädchen zu Tatbeginn zeigt, dass die Mädchen zwischen dem 6. und 8. Lebensjahr besonders gefährdet schienen, Opfer von Gewalt zu werden, während dies bei den Buben zwischen dem 10. und 12. Lebensjahr der Fall war.
Tatort: Zu 55,8 Prozent wurden katholische Internate oder Heime genannt, wo Kinder den Tätern "besonders ausgeliefert" waren. Häufig handelte es sich um Kinder aus sozial schwachen Schichten.
Beschuldigte: Die Betroffenen haben insgesamt 422 Personen als Täter und Täterinnen genannt. 63 Prozent der als Täter genannten Personen waren geweihte Priester, fasst man die Welt- und Ordenspriester zusammen. 20,8 Prozent waren als nicht geweihtes Mitglied einem Orden angehörig.
Alter und Geschlecht der Beschuldigten: Mit 43,3 Prozent war die Gruppe der 30- bis 39-Jährigen jenes Alter, welches die Betroffenen am häufigsten nannten. Zu 78,2 Prozent waren es Männer.
Strategie der Misshandler: 40,4 Prozent forderten die Betroffenen auf zu schweigen. Immerhin ein Viertel der Täter drohte seinen Opfern mit der Hölle, mit Gewalt oder mit Versündigung, sollten die Kinder über die erlittene Gewalt mit jemandem sprechen. Andererseits: Auch Vergünstigungen wurden oft gewährt.
Anliegen der Betroffenen: Nur 4,1 Prozent der Betroffenen wollen eine Psychotherapie. Der Mehrheit (54,1 Prozent) ist es ein Anliegen, dem jahrzehntelangen Verschweigen und Vertuschen entgegenzuwirken und Rechtsauskünfte über Klagen oder Entschädigungen einzuholen (41,7 Prozent).
Für Schwärzler zeigen die Zahlen über die Beschuldigten, dass die katholische Kirche im Bereich Gewalt gegen Kinder vor allem Probleme bei den theologisch ausgebildeten Mitarbeitern hat und gerade die geweihten Priester das größte Gefährdungspotenzial für Kinder darzustellen scheinen. Angesichts der Zahlen könne man auch nicht von einzelnen "schwarzen Schafen" sprechen, sondern von einem "Versagen der Institution katholische Kirche".
Drei Ursachen für kirchlichen Missbrauch
Der Psychologe nannte drei Ursachen für den kirchlichen Missbrauch, allen voran die grundsätzliche Haltung der katholischen Kirche zur Sexualität. Diese sei "per se eine Basis für Perversion". Als Grund für Gewalt sieht Schwärzler auch den Ausschluss der Frauen von Leitungsfunktionen in der Kirche. Diese wären nämlich ein Korrektiv zur männerdominierten Gewalt. Zudem habe die autoritäre Grundstruktur der Kirche das bisherige Vertuschen möglich gemacht.
Der Rom-kritische Pfarrer Rudolf Schermann, der mit Schwärzler den Bericht vorstellte, bezeichnete die Kirche als "Diktatur", mit deren Führung viele Priester nicht einverstanden seien. Der Umgang mit Missbrauchsfällen sei jahrelang nur auf Verteidigung ausgerichtet gewesen. Und es sei der jetzige Papst gewesen, der als Kardinal einen Erlass verfasst habe, wonach Missbrauchsfälle nicht nach außen getragen werden dürften und absolute Diskretion einzuhalten sei, um das "Prestige der Kirche zu retten", so Schermann.
Für den Priester ist das Zölibat nicht das einzige Problem, aber mit ein Grund für die sexuellen Übergriffe. Pädophile werden vom Priesteramt angezogen, weil sie sich dort "Futter für ihre kranke Neigung" erhoffen, sagte Schermann. Er zeigte sich auch froh darüber, dass es neben der von der Kirche eingerichteten Klasnic-Kommission Aufarbeitung des Missbrauchsskandals auch eine unabhängige Initiative als Korrektiv gebe.
Klasnic will keinen Zwischenbericht abgeben
Opferanwältin Klasnic ließ am Mittwoch übrigens wissen, sie werde keinen Zwischenbericht erstellen, sondern erst Schlussfolgerungen anstellen, wenn man sich "in einem weiteren Stadium" befinde.
Zuletzte wurden am 19. November aber ein paar Zahlen genannt. Demnach wurden die kirchlichen Ombudsstellen seit Jahresbeginn von 1.142 Personen kontaktiert, bei der Opferschutzanwaltschaft haben sich 660 Personen gemeldet. Nach Ausschluss von Mehrfachmeldungen habe sich in 511 Fällen der Verdacht des Missbrauchs erhärtet. Bei 54 Prozent gehe es um sexuellen Missbrauch, 33 Prozent seien Fälle von Gewalt, 13 Prozent seien mutmaßliche Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch.
Dass die Klasnic-Kommission die Fälle offiziell aufarbeiten, war bei der Pressekonferenz der unabhängigen Plattform der abschließende Kritikpunkt: Es sei unverständlich, dass sich der Staat zurückgezogen und die Aufklärung der Kirche selbst überlassen habe. Damit mache man den "Bock zum Gärtner". "In keinem anderen Bereich wäre es denkbar, dass eine in Verdacht geratene Institution selbst die Leitung einer Untersuchungskommission bestimmt", so Schwärzler.
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