In jedem Bundesland, das das Automatenspiel erlaubt, "ist in einigen Jahren mit einem Heer von Spielsüchtigen zu rechnen", sagte der Kärntner Universitätsprofessor Herwig Scholz, ärztlicher Leiter der am Mittwoch eröffneten Spielsuchtambulanz der Diakonie in Villach.
Kärnten etwa sei vor der Einführung des sogenannten kleinen Glücksspiels im Jahr 1997 "bezüglich Spielsucht ein friedliches Land" gewesen, sagte der Primarius des Diakonie-Sonderkrankenhauses de La Tour. Seitdem gebe es Tausende Spielsüchtige. Oberösterreich, das das Automatenspiel künftig ebenfalls erlauben will, werde eine ähnliche Entwicklung blühen.
Bisher ist der Automaten-Zock in Wien, Niederösterreich, der Steiermark und Kärnten erlaubt. Schätzungen zufolge seien 1 bis 1,5 Prozent der Österreicher spielsüchtig - in "Erlaubnisländern" viel mehr, in Verbotsländern viel weniger, sagt Scholz. Genaue Zahlen lägen aber mangels Studien nicht vor.
Bei 70 Prozent beginnt es im Wirtshaus-Eck
Scholz findet es "überaus problematisch", dass das Automatenspiel in Gast- und Kaffeehäusern legal bleibt, "weil die Kontrollen erfahrungsgemäß nicht ausreichen und nicht erfolgen" (wie dies unlängst auch Politiker einmahnten, siehe Infobox). Mehr als 70 Prozent der in seinem Haus behandelten Spielsüchtigen hätten in Gaststätten mit dem Zocken begonnen. Und mehr als 40 Prozent hätten zusätzlich ein Alkoholproblem. Da hilft natürlich noch weniger, dass es in den Lokalen oft Gratisgetränke gibt. Von 300 stationär aufgenommenen Patienten, die Scholz untersucht hat, hätten außerdem 15 Prozent Selbstmordversuche hinter sich.
Das Argument, dass in Bundesländern, in denen das Automatenspiel nicht erlaubt ist, trotzdem gezockt wird, lässt Scholz im Hinblick auf die Spielsucht nicht gelten. Die illegalen Geräte befänden sich oftmals im Rotlichtmilieu. "Dort trauen sich die Spielsuchtgefährdeten nicht rein", diese hätten oft "erhebliche Selbstwertprobleme".
Schutzmechanismen "wirkungslos" bis "lächerlich"
Die "maßlose Erhöhung des Maximaleinsatzes" ist für Scholz der zweite große Problembereich. Aus seiner Sicht werden jene Betreiber belohnt, "die durch verschiedene Fälschungs- und Täuschungsmanöver den Einsatz sowieso schon in die Höhe getrieben haben". Nunmehr könne "jemand, der in einer Art Spielrausch ist, innerhalb von ein paar Stunden alles verspielen".
Die von den Befürwortern der Novelle gepriesenen Schutzmechanismen seien "eigentlich alle ziemlich wirkungslos". Speziell die sogenannte Abkühlphase (in den neuen Salons muss sich ein Gerät nach zwei Stunden Spiel automatisch abschalten, Anm.) sei "völlig lächerlich" respektive "ein pfiffiger Einfall der Industrie", die die Politiker für dumm verkauft habe. Überhaupt sei das neue Glücksspielgesetz "ein Wunschgesetz der Industrie".
Beratungsstellen oft von der Industrie abhängig
Der Spielersuchtberatungsstelle, die das Finanzministerium jetzt von Gesetzes wegen einrichten muss, steht Scholz "sehr, sehr skeptisch" gegenüber. Er werde sich sorgfältig ansehen, wer in diese Stelle als Experte einberufen wird. "Es wäre nicht das erste Mal, dass die Industrie Einfluss auf Experten nimmt."
Dass Glücksspielkonzerne Beratungs- und Präventionseinrichtungen finanzieren - beispielsweise bekommt das "Institut Glücksspiel & Abhängigkeit" in Salzburg laut früheren Angaben seines Präsidenten Roman Neßhold von Novomatic Geld - ist laut Scholz eine "katastrophale Entwicklung". Die am Mittwoch eröffnete Spielsuchtambulanz der Diakonie wird Scholz zufolge vom Land Kärnten finanziert.
Kritik von den Grünen, ansonsten breite Zustimmung
Der Nationalrat hat Mittwochabend gegen die Stimmen der Grünen die umfassende Novelle beschlossen, die die höheren Spieleinsätze an Automaten bringt. Zudem wird die Zahl der Casinos von zwölf auf 15 ausgedehnt. Das Monopol der Casinos Austria fällt, die Lizenzen werden EU-weit ausgeschrieben. Neu eingeführt wird ein Karten-Casino. Die Zahl der Automaten wird auf ein Gerät pro 1.200 Einwohner beschränkt, in Wien beträgt das Verhältnis 1:600. Außerdem müssen künftig 15 Kilometer Mindestabstand zwischen Spielbanken und Automatensalons mit mehr als 15 Automaten eingehalten werden, in Wien sind es zwei Kilometer Luftlinie. Ob das "kleine Glücksspiel" erlaubt ist, entscheiden die Länder.
Gleichzeitig soll der Spielerschutz ausgeweitet werden - die Automatiktaste sowie Parallelspiele werden verboten, in den Automatensalons herrscht künftig Ausweispflicht. Den Grünen geht dies jedoch nicht weit genug. Sie sind der Meinung, dass mit dieser Neuregelung der Spielerschutz im Gesetz außen vor gelassen wird und nur die Interessen der "Täter", also der Glücksspielindustrie und der Länder, vollzogen werden, wie der Abgeordnete Peter Pilz in der Plenardebatte behauptete. Es handle sich um ein "Gesetz voller Giftzähne", das es möglich mache, 36.000 Euro pro Stunde zu verlieren und damit Existenzen zu vernichten. Dazu komme noch die Gefahr der Beschaffungskriminalität.
Die anderen Fraktionen zeigten sich mit der Vorlage im Wesentlichen zufrieden. ÖVP-Finanzsprecher Günter Stummvoll sprach von einem Quantenspurng im Vergleich zur gegenwärtigen Rechtslage. SPÖ-Finanzsprecher Jan Krainer hob den Spielerschutz hervor. In zehn bis zwanzig Jahren werde man sagen, mit diesem Gesetz sei begonnen worden, den Spielerschutz zu etablieren. Für die Freiheitlichen ist der Pluspunkt des Gesetzes die Zutrittskontrolle, die viele vom Glücksspiel abhalten könnte. BZÖ-Mandatar Peter Westenthaler kritisierte das Nein der Grünen, die er mittlerweile als Verbotspartei sieht.
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