Nach dem Asylgipfel diskutieren Bundeskanzler Werner Faymann und Wiens Bürgermeister Michael Häupl im ersten gemeinsamen Interview mit der "Krone" über die Wende in Österreichs Flüchtlingspolitik. Das Maßnahmenpaket, das die Regierung am Mittwoch beschlossen hatte, sorgte ausgerechnet in der eigenen Partei für Kritik.
Hoher Besuch in der Beletage des Wiener Rathauses am Freitagvormittag: Faymann (55) trifft Häupl (66). Ob man die Schlagwörter nun Obergrenze, Richtwert oder Zielgröße nennt: Der beschlossene Aufnahmestopp für Flüchtlinge passt einigen in der SPÖ nicht ins Konzept.
Auf dem Glastisch vor der paprikaroten Dreiercouch spiegeln sich die dunklen Anzüge und roten Krawatten der beiden mächtigsten SPÖ-Politiker des Landes. Faymann und Häupl im Partnerlook. Auch inhaltlich beschwören sie eine klare gemeinsame Linie.
"Krone": Herr Bundeskanzler, Herr Bürgermeister, ist die Wahl der Location für dieses Interview symbolisch wichtig?
Werner Faymann: Nein. Wichtig ist, was man sagt. Ich komm' immer gern auf Besuch zu meinem alten Freund.
Michael Häupl: Genauso wie ich gern ins Bundeskanzleramt komme.
"Krone": Diese Woche hat das Wort "Obergrenze" die Schlagzeilen beherrscht. Wovon sprechen wir bei der Zahl 37.500?
Faymann: Von einem Richtwert. Hier geht es nicht nur um eine Zahl, die man hinschreibt, sondern um ein Bündel von Maßnahmen, um ein Ziel, das wir haben. Es muss zu einer Verteilung in Europa kommen, um das Menschenrecht auf Asyl für Kriegsflüchtlinge auch weiterhin gewähren zu können. Aber nicht durch drei Länder allein. Was sich letztes Jahr abgespielt hat, darf sich nicht wiederholen. Wir sind ein hilfsbereites Land, und das bleiben wir auch, aber wir haben jetzt diese Zielgröße definiert.
Häupl: Am liebsten wäre mir eine Flüchtlingsquote Null, denn das würde bedeuten, dass die Kriege zu Ende sind.
"Krone": Für Menschenrecht kann es keine Obergrenzen geben, diesen Satz haben Sie beide gesagt.
Häupl: Es gilt, was meine Unterschrift trägt. Da steht nirgendwo Obergrenze…
Faymann (zieht das Papier zur gemeinsamen Vorgangsweise von Bund, Ländern, Städten und Gemeinden aus seinen Unterlagen und zeigt auf die 19 Unterschriften): Wir wollen jenen, die vor den Mörderbanden des IS flüchten, menschenwürdig helfen. Aber anderen, die zu uns kommen, können wir eben nicht helfen. In Marokko ist niemand an Leib und Leben bedroht. Das ist unser Richtwert. Obergrenzen hingegen halte ich für inhuman und verfassungswidrig.
"Krone": Pardon, aber hätte man sich darauf nicht vorher einigen können?
Häupl: Verzeihung, aber das hat man ja. Dass die ÖVP schon beim Hinausgehen aus dem Verhandlungssaal ihr eigenes Wording hat, das mit dem Papier nichts zu tun hat, ist eine andere Geschichte.
Faymann: Was vereinbart ist, muss gelten. Da sind alle Unterschriften drauf! Da steht Richtwert. Man soll nicht wortklauben. Worum geht es? Die Regierung hat sich geeinigt, und bekanntlich gibt es überhaupt keine Einigung der Regierung, wo sich nicht irgendwer findet, der irgendwas nicht richtig findet.
"Krone": Aber gerade aus der eigenen Partei kam am meisten Kritik. Hat Sie das geärgert?
Faymann: Dass nach einer Entscheidung jemand etwas nicht sofort versteht oder falsch interpretiert oder trotzdem anderer Meinung ist, das wird es immer geben. Tatsache ist, dass die SPÖ zu der Vereinbarung steht.
"Krone": Die Wiener SPÖ offenbar nicht.
Häupl: Eine große sozialdemokratische Landesorganisation hat eben eine gewisse Meinungspluralität. Und man darf ja auch kritisieren. Wien hat in seiner realen Politik bewiesen, dass wir Verträge ernst nehmen. Unsere Flüchtlingsquote ist zu 116 Prozent erfüllt.
"Krone": Hat die SPÖ mit der Zustimmung zu einer Begrenzung der Flüchtlingszuwanderung die Notbremse gezogen?
Faymann: Wir haben 90.000 Menschen aus dem Vorjahr. Jene, die einen positiven Bescheid erhalten, müssen wir integrieren. Wir haben auch in unserem Land sozial Schwache. Es ist eine Illusion, dass Österreich und Deutschland das allein stemmen können. Daher kam der Aufschrei: Achtung, wir müssen in Europa gemeinsam handeln! Dieses "Achtung" ist sehr klar gehört worden.
Häupl: Trotzdem gilt weiterhin, dass Menschlichkeit die humanitäre Tradition der Sozialdemokratie ist. Genauso wie Ordnung. Das sind die zwei Elemente, aus denen sich unsere Flüchtlingspolitik zusammensetzt. Ordnung heißt, dass wir wissen, wer zu uns kommt.
"Krone": Die Genfer Flüchtlingskonvention sieht aber nicht vor, dass man Asylberechtigte abweist.
Faymann: Wir können nicht das Menschenrecht für die ganze Welt übernehmen. Es gibt kein Gesetz, das sagt, alle Kriegsflüchtlinge müssen laut Genfer Flüchtlingskonvention in Österreich und Deutschland und Schweden aufgenommen werden. Wir müssen an die Integration denken, daran, dass wir Kindergärten, Schulen, Wohnungen und Arbeit für diese Menschen brauchen.
Häupl: Ich bin für Integrationsmaßnahmen wie verpflichtende Deutschkurse vom ersten Augenblick an. Was wir an unseren Grenzen zusammenbringen, was der Bundeskanzler, leider sehr allein gelassen vom Außenminister, auf internationaler Ebene zusammenbringt, ist wahnsinnig wichtig. Aber die Integration findet in den Gemeinden statt und da fühlen sich viele meiner Bürgermeisterkollegen alleine gelassen.
"Krone": Was passiert mit dem 37.501. Flüchtling?
Faymann: Er könnte zum Beispiel in ein Aufnahmezentrum an der EU-Außengrenze gebracht und von dort in ein anderes EU-Land verteilt werden. Das heißt dann: Auch der 37.501. Mensch kann Asyl beantragen, aber nicht mehr bei uns. Da beginnt die Verteilung in jene Länder, die im letzten Jahr nur ein paar Hundert Flüchtlinge aufgenommen haben.
Häupl: Und es muss auch vollkommen klar sein: Jemand, der nach einem fairen Verfahren keinen Asylstatus bekommt, muss ebenso wieder zurück.
Faymann: Was es in Österreich nie geben wird, ist vorsätzliche Verletzung der Menschenrechte. Deshalb haben wir ein Gutachten beauftragt, das rechtskonforme Maßnahmen prüft.
"Krone": Sind diese Maßnahmen auch als Abschreckung gedacht?
Faymann: Ich glaube, wenn sich das herumspricht, dass wir Menschen, die kein Asylrecht haben, zurückschicken, dann ist das die stärkste Maßnahme.
Häupl: Bei den Rückführungsabkommen ist Außenminister Kurz gefragt. So wie bei den Integrationsmaßnahmen die Gemeinden gefragt sind. Jeder hat seine Aufgabe, die er wahrzunehmen hat. Wir haben unsere erledigt.
"Krone": Wird das alles ohne Tränengas oder polizeiliche Gewalt funktionieren?
Häupl: Ich bin zuversichtlich, dass wir das Problem gemeinsam, humanitär und rechtskonform lösen können.
Faymann: Der neue Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil hat bewiesen, dass er Menschen helfen und gleichzeitig für Ordnung sorgen kann.
"Krone": Was sagen Sie einem Pensionisten, der vielleicht 900 Euro Pension bekommt und sich aufregt, dass der Asylberechtigte Anspruch auf 827,50 Euro hat?
Häupl: Man soll Menschen nicht gegeneinander ausspielen. Mindestsicherung bekommen in diesem Land alle, die es brauchen. Jene, die sich darüber mokieren, geben oft mehr Geld für ein Abendessen mit Freunden aus als Mindestbezieher im ganzen Monat zum Leben haben. Ich will jetzt keine starken Worte gebrauchen, aber ich akzeptiere das schlicht und einfach nicht.
"Krone": Wenn Sie hier so nebeneinander sitzen, werden da Erinnerungen wach, als Sie, Herr Faymann, noch Wohnbaustadtrat im Rathaus waren?
Faymann: Jarsitzender der Sozialistischen Jugend. Ich habe ihn dann als Bürgermeister erlebt und ich erlebe ihn jetzt als engen Freund und wichtigen Partner.
"Krone": Was ändert sich, wenn der ehemalige Stadtrat Bundeskanzler und Parteichef wird?
Häupl: Gar nichts. Freundschaft ändert sich niemals. Und natürlich ist man auch unter Freunden gelegentlich verschiedener Meinung.
"Krone": Treffen Sie einander auch privat?
Faymann: Ja, beim Skifahren zum Beispiel.
Häupl: Da sehe ich den Werner aber immer nur kurz, weil er um so viel besser Ski fährt, dass er mir gleich davonrauscht.
Video: Regierung will Asylwerberzahl begrenzen
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