In einer Wiener Wohnung werden die Leichen einer Ex-Stewardess und ihres Babys gefunden. Die Frau ist an einer Überdosis Drogen gestorben, das Kind verdurstet. Sagt die Polizei. Der Bruder der Toten behauptet: "Es war Mord."
Im Vorraum steht ein Kinderwagen, im Wohnzimmer liegen Stofftiere und auf dem Küchentisch mit Milch gefüllte Fläschchen. Alles in dem kleinen Appartement in der Felberstraße 14-16 wirkt, als hätten es seine Bewohner nur kurz verlassen. Doch Kristina M. und Töchterchen Theodora sind tot. Niemand weiß, wann die 27-Jährige und ihr Baby gestorben sind; hinter Tür Nummer 6, im ersten Stock des alten Mietshauses in Wien-Fünfhaus. Fest steht bloß: Die Leichen der beiden wurden dort am 14. Februar von Polizeibeamten gefunden. Nebeneinander. Im Bett.
"Am Morgen des 9. Februar", so Igor M. (29), der Bruder der Verstorbenen, "hat meine Schwester mit meiner Oma telefoniert und ihr erzählt, dass sie Schmerzen hätte." Abends, um etwa 18.45 Uhr, schickte die 27-Jährige an eine Cousine eine SMS: "Bitte leih mir 150 Euro." Danach lief auf ihrem Handy nur noch die Mobilbox; selbst bei lautem Klopfen wurde ihre Wohnungstüre nicht geöffnet. Und kein Laut war von drinnen zu hören. "Ich rief in mehreren Spitälern an", sagt Igor M., "fragte, ob Kristina und Theodora eingeliefert worden wären." Die Antwort war immer dieselbe: "Nein."
"Baby ist wahrscheinlich verdurstet"
Am 13. Februar sprach er in einem Wachzimmer vor: "Meine Schwester ist seit vier Tagen verschwunden." Es wäre durchaus normal, wurde ihm von Beamten erklärt, wenn sich eine Erwachsene mal kurz eine Auszeit nehme, ohne ihre Familie darüber zu informieren. "Das würde Kristina nie tun, beteuerte ich." Am 14. Februar schließlich doch eine Nachschau in dem Appartement der "Vermissten".
Und dann dieser Schock. "Wie durch Watte hörte ich einen Beamten zu mir sagen: 'Ihre Schwester dürfte eine Überdosis erwischt haben.' 'Und Theodora?'. schrie ich. 'Das Baby ist wahrscheinlich verdurstet.'"
"Nein", schluchzt Igor M., "ich wusste nichts von Kristinas Heroinabhängigkeit. Ich wusste nichts von einem Entzugsprogramm mit Substitol. Ich wusste nichts von den Spritzen in ihrem Nachtkästchen. Ich wusste nichts von Kontrollen des Jugendamts bei ihr." Keiner von Kristinas Angehörigen hätte von alledem etwas geahnt. Obwohl ihnen schon eine negative Veränderung an ihr aufgefallen wäre; in den vergangenen drei Jahren.
Was war das Davor? "Meine Schwester und ich hatten eine gute Kindheit", sagt Igor M. Seine Familie stammt aus Serbien: "Meine Großeltern mütterlicherseits sind schon vor 40 Jahren nach Wien ausgewandert." Die Frau: eine ÖBB-Angestellte. Der Mann: Inhaber eines Taxi-Unternehmens. "Wir wuchsen bei ihnen auf." Der Vater, die Mutter - wo waren sie? "Unseren Papa haben wir nie wirklich kennengelernt, kurz nach Kristinas Geburt tauchte er ab. Unsere Mama hat danach eine neue Familie gegründet und sich kaum um uns gekümmert. Aber wir hatten ja Opa und Oma."
Seine Schwester sei ein braves, liebes Kind gewesen; nach Abschluss der Handelsschule fing sie als Stewardess zu arbeiten an, kam viel in der Welt herum, hatte zahlreiche Verehrer, "sie war ja so wunderhübsch". Seit fast zehn Jahren lebte sie in dem Appartement in der Felberstraße. Lange hindurch alleine, "zweimal zogen Partner bei ihr ein". Erst "ein anständiger Mann"; 2012, nach der Trennung von ihm, "ein amtsbekannter Betrüger, der sie finanziell ausnahm". Und irgendwann in Haft kam.
Während der Verbindung mit ihm: der Beginn von Kristinas Absturz. Sie fing an, sich zu vernachlässigen. Hasste plötzlich ihren Beruf, sattelte um, nahm einen Job als Zugbegleiterin an: "Angeblich, weil sie häuslicher werden wollte." Das Gegenteil war der Fall. Nachts zog sie umher. Nicht, wie früher, in schicken Bars. Sondern in zwielichtigen Lokalen.
Die Rätsel in einem geklärten Fall
Anfang 2015 wurde die Frau - bereits drogenabhängig - schwanger. Von einem "One-Night-Stand". Trotzdem ihr klar war, dass sie ihr Kind ohne Vater aufziehen würde, kam eine Abtreibung für sie nicht infrage: "Denn sie freute sich so sehr auf ihr Baby." Und träumte von einem Weg zurück. Begann einen Drogenentzug. Knüpfte wieder Kontakte zu einstigen Bekannten.
Am 3. September 2015 kam Theodora zur Welt. Kristina galt in ihrem Umfeld als fürsorgliche Mutter, ging oft mit ihrem Baby in Parks spazieren, besuchte fast täglich ihre Großeltern. Führte, nach außen hin, ein friedliches Dasein. "Sie muss heimlich weiterhin mit zwielichtigen Typen verkehrt haben", vermutet ihr Bruder jetzt.
Warten auf Ergebnisse der toxikologischen Gutachten
Wieso brauchte Kristina am 9. Februar dringend Geld? Versuchte sie, von wem anderen welches zu bekommen, nachdem ihre Cousine auf ihre Bitte nicht reagiert hatte? Wofür benötigte sie 150 Euro? Für Heroin? Oder setzten ihr Menschen, bei denen sie Schulden hatte, zu? "Ich kann nicht glauben, dass sich meine Schwester - bewusst oder unbewusst - den 'goldenen Schuss' verabreicht hat. Ich bin davon überzeugt, dass sie ermordet wurde", sagt Igor M. Denn da wären doch diese "Auffälligkeiten"...
"Kristina versperrte immer ihre Wohnungstüre von innen. Aber als ihre und Theodoras Leichen gefunden wurden, steckte der Schlüssel nicht im Schloss. Und: Meine Schwester nahm das Baby niemals mit ins Bett. Weil ihr Hund dort schlief und sie nicht wollte, dass die Kleine mit seinen Haaren in Berührung kommt."
In etwa drei Monaten sollen die endgültigen Ergebnisse der toxikologischen Gutachten zu den zwei Todesfällen vorliegen. Danach wird die Staatsanwaltschaft über eventuelle weitere Ermittlungsschritte in der Causa entscheiden.
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