Peter Schludermann (75) ist eines der Opfer des Amokfahrers von Graz. Lange lag er im Koma, jetzt kämpft er sich ins Leben zurück. Die "Krone" besuchte ihn in der Klinik.
"Ich bin froh, dass ich so eine Familie habe", sagt der ältere Herr, nimmt eine Hand vom Rollator und reicht sie seiner Tochter. Ein zärtlicher Händedruck, der sagen soll: Ohne euch hätte ich's nicht geschafft. Der "ältere Herr" ist Peter Schludermann, 75, den Geburtstag hat er unlängst im Krankenhaus gefeiert. Mit "euch" sind seine Gattin gemeint, seine Tochter Karin (47) und Manfred, der 48-jährige Schwiegersohn.
Gemeinsam haben sie die furchtbarste Zeit ihres Lebens durchgestanden, gehofft, gebangt, gebetet. Jetzt, ein Dreivierteljahr "danach", nach einer Odyssee durch vier Spitäler, scheint das Schlimmste überstanden. Ja, es geht wieder aufwärts: "Ich lass' mich ja nicht unterkriegen", sagt Schludermann und schmunzelt.
"Ticket in die Hölle und zurück"
Es ist der 20. Juni 2015, als die Familie ihr "Ticket in die Hölle und zurück", wie sie selbst es nennt, löst. Dabei sollte der Tag eigentlich ein fröhlicher, unbeschwerter werden. Den Geburtstag und die bestandene Matura der Enkelin wollte man groß feiern, mit Musik und allem Drum und Dran.
Peter Schludermann und seine Frau, die Blumen in der Hand hatte, treten vor ihr Haus in der Grazbachgasse, als Alen R. auf dem Gehsteig heranrast. Der gebürtige Bosnier erfasst mit seinem Auto den Pensionisten, der durch die Luft gewirbelt wird, und setzt seine Amokfahrt durch die Murstadt unbeirrt fort.
Schludermann ist eines der ersten von Dutzenden Opfern an diesem rabenschwarzen Samstag. Die Rettungsleute nehmen den Schwerverletzten, zu diesem Zeitpunkt dem Tod näher als dem Leben, mit, die geschockte Ehefrau muss zurückbleiben. "Weil auf dem Dietrichsteinplatz noch drei Leute liegen", erklärt ihr der Sanitäter.
Tochter: "Es war wie im falschen Film"
"Wir wollten mit der Feier beginnen, doch meine Eltern kamen nicht. Weil sie sonst nie unpünktlich waren, beschlich mich ein ungutes Gefühl", erzählt Tochter Karin. Der Anruf aufs Handy des Papas, das tot war, die ersten Meldungen im Radio, das Warten auf Nachrichten von der Mutter. Momente wie eine halbe Ewigkeit: "Auch wenn sich mein Vater gottlob an nichts mehr erinnern kann - die Details haben sich in mein Gedächtnis eingebrannt", sagt die 47-jährige Selbstständige. "Es war wie in einem falschen Film."
Horrordiagnose im Grazer LKH
Auf der Intensivstation des Grazer LKH dann die Horrordiagnose: alle Rippen gebrochen, Bandscheiben zerrissen, schwerste Hirnverletzungen, Sprachstörungen, Koma. "Als Nachbarn den Blutfleck auf der Straße sahen, haben sie mir kondoliert." Es folgen Wochen der Höhen und Tiefen, einmal geht's besser, dann wieder schlechter. In dieser Zeit beginnt die Tochter mit dem Tagebuchschreiben: "Ich hab' alles notiert, Fortschritte, Rückschläge, meine Empfindungen. Wenn ich deprimiert war, hab' ich nach vor geblättert und realisiert: Es ist ja doch etwas weitergegangen!"
Erst nach eineinhalb Monaten ist der ehemalige Fotograf und Postler über den Berg. Doch er muss wieder alles lernen: gehen, essen, sprechen. Der Weg zurück ins Leben - er ist steinig und langwierig. "Doch angesichts der Schwere seiner Verletzungen macht Herr Schludermann große Fortschritte", freut sich Primar Peter Grieshofer, der Leiter der Rehaklinik in Judendorf.
Arzt: "Er zählt zu den großen Wundern unseres Hauses"
Seit Dezember ist das Amok-Opfer hier in Behandlung: "Herr Schludermann zählt zu den großen Wundern unseres Hauses. Damit die Genesung so gut funktioniert wie in diesem Fall, braucht es das Dreigestirn Patient-Familie-Medizin", weiß die Medizin-Koryphäe aus jahrzehntelanger Erfahrung. "Ich bin ja gern da", unterbricht der 75-Jährige, "alle kümmern sich so liebevoll um mich!"
Was er und seine Familie jetzt brauchen, ist Geduld und noch einmal Geduld. "Plus/minus ein Jahr", so schätzt Grieshofer, werde es schon noch dauern, bis der Rentner wiederhergestellt ist. "Doch wir werden dich durch diese Zeit tragen!", verspricht Karin, deren Tagesablauf ohnehin schon seit acht Monaten vom Schicksal ihres Papas bestimmt wird. "Zu Mittag wasche ich seine Wäsche, am Nachmittag schlage ich mich mit den Behörden herum und abends fahren mein Mann und ich in die Rehaklinik."
Dort wartet Peter Schludermann schon ungeduldig auf das Eintreffen seiner geliebten Familie, die zur unverzichtbaren Stütze geworden ist. "Als er im Koma lag und ich seine Hand genommen habe, ist sein schwacher Puls sofort in die Höhe geschnellt. Das hat mir signalisiert, dass er mich wahrnimmt und sich über den Besuch freut", erinnert sich Karin.
"Warten was die Zukunft bringt"
Am liebsten würde sie ihren Vater und ihre nach wie vor schwer traumatisierte Mutter nach der Rehabilitation bei sich zu Hause aufnehmen. "Die 24 Stufen zu meiner Altbauwohnung schaffe ich ja nicht mehr", gibt sich Schludermann keinen Illusionen hin. Doch dafür bräuchte man eine größere Wohnung, und die gibt es derzeit nicht. "Wir warten halt einfach ab, was die Zukunft bringt", sagt die Grazerin und umarmt ihren Vater. Sie ist optimistisch, denn sie weiß: Das Schlimmste ist schon überstanden...
Geisteszustand von Alen R. weiter unklar
Indes streiten sich Experten immer noch um den Geisteszustand von Amokfahrer Alen R. War der eingebürgerte Bosnier für Gutachter Manfred Walzl zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig, war er es für Peter Hofmann wiederum nicht. Entscheiden muss nun ein dritter Sachverständiger aus Deutschland. R. ist nach wie vor in U-Haft. Auf seiner Fahrt durch Graz tötete er drei Menschen und verletzte 36 teils schwer. 50 andere gefährdete er - auch sie zählen zu seinen Opfern.
Video: Drei Tote und etliche Verletzte bei Amokfahrt in Graz
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