Filzmaier analysiert

Rote Turbulenzen: Die zerrissene Sozialdemokratie

Österreich
11.05.2016 06:07

Werner Faymanns Abgang als Bundeskanzler hat alle überrumpelt. Jedem war klar, dass er sich nicht mehr lange im Amt hält. Doch auf den sofortigen Rücktritt war die SPÖ nicht vorbereitet. In einer Woche muss ein Nachfolger als Kanzler gefunden werden, der zugleich als Parteichef alle Probleme löst. Ein Himmelfahrtskommando.

1. Wie funktioniert die Personalauswahl? Das Problem der SPÖ ist, dass jede Kür ihres Vorsitzenden ein mühevoller Kompromiss ist, um den Interessen aller Länder- und Teilorganisationen zu entsprechen. Ohne Michael Häupl und die mächtige Wiener SPÖ geht gar nichts. Genauso haben die Gewerkschafter ein wichtiges Wort mitzureden, nachdem sie von Werner Faymann - Stichwort Steuerreform - jeden Gesetzeswunsch erfüllt bekamen.

Also gelten mit ÖBB-Manager Christian Kern und Medienmanager Gerhard Zeiler zwei Quereinsteiger als Favoriten. Beide waren einst in roten Ministerbüros, doch ist am ehesten der gemeinsame Nenner, wer halb von außen kommt. Es ist eine personelle Krise, wenn sich niemand aus der inneren Führung als Faymann-Nachfolger aufdrängt. Ob zudem Gewerkschaftsbund und Arbeiterkammer mit einem Firmenboss an der Parteispitze glücklich werden?

2. Was können Kern oder Zeiler besser? Der Messias kam zu Christi Geburt, 2016 sind keine Wunderwuzzis in Sicht. Die SPÖ wird trotzdem in Kürze jemanden finden und sich geschlossen hinter ihm versammeln. Ansonsten wäre sie ja nicht - wie der scheidende Faymann klagte - eine Selbstfindungsgruppe, sondern politischer Selbstmordverein. Knackpunkt könnte freilich das Team des Neuen sein. Ein Bundesparteivorsitzender der SPÖ, welcher sich seine Leute nicht aussucht, kann sofort einpacken.

Umgekehrt entkommt keiner der Logik parteiinternen Ausgleichsdenkens. Was passiert, falls etwa kein Oberösterreicher Minister wird? Der Hinweis, dass die dortige Landespartei zur führungslosen Rumpftruppe wurde, wäre berechtigt. Trotzdem würde jeder Nicht-Oberösterreicher aus Lokalpatriotismus abgelehnt. Die geschrumpften Bestandsteile der SPÖ in Niederösterreich und der Steiermark denken ähnlich provinziell. Und der Gewerkschaftsflügel will das Sozialministerium als Erbpacht. Freie Hand für den Vorsitzenden sieht anders aus.

(Bild: APA/Roland Schlager)

3. Kann die SPÖ nun ihre Koalitionsabsage an die FPÖ beenden? Das würde den taktischen Spielraum für Verhandlungen erweitern. Zugleich wäre es ein Signal an Wechselwähler: Wer abwechselnd für die Roten oder die Blauen stimmt, wird durch ein lautes "Pfui, igitt!" der SPÖ endgültig in die Arme der FPÖ getrieben. Doch würde die Bereitschaft für blau-rote Koalitionen - realistisch gesehen als Juniorpartner - zu Parteikonflikten auf offener Medienbühne führen. Parallel dazu schimpfen vor allem Anhänger Heinz-Christian Straches über die "Ausgrenzung". Wer jedoch als überzeugter Blauer sprachlich auf alles kotzt, das rot ist, kann nicht Zielgruppe eines Anführers der SPÖ sein. Weil dessen Wählerstimme nie mehr im Leben gewinnbar ist.

Die wichtigere Frage ist: Wie stoppt man den Wählerschwund hin zur FPÖ? Wird beim Personenkarussell dem kein Augenmerk gewidmet, wurde nichts verstanden. Wer immer der SPÖ künftig vorsitzt, müsste sich heute früh vor den Spiegel stellen und seine Antwort darauf üben. Hört sich das gut an, oder klingt es nach Stehsätzen und Prinzip Hoffnung?

4. Warum hat die SPÖ wenig Überzeugungskraft in ihren Kernthemen Arbeit und Bildung? Die Sicherheitspolitik als Kampf gegen den Terror wird nie ein Bereich sein, bei dem sie punktet. Das ist ein Mitte-Rechts-Thema mit Forderungen nach mehr Polizei und Kontrolle, und nicht Domäne der Linken. Ebenso gibt es eine rechte Mehrheit in Fragen der Zuwanderung sowie hinsichtlich Flucht und Asyl.

Das wirkliche Problem der SPÖ sind jedoch die Ängste der von ihr abwandernden Wähler, dass sich dadurch die Chancen am Arbeitsmarkt weiter verringern oder angesichts vieler Kinder mit nicht deutscher Muttersprache die Gesamtqualität der schulischen Ausbildung schlechter wird. Hier hätte der kommende Bundeskanzler in roter Parteifarbe eine glaubhafte Geschichte zu erzählen, dass im Gegenteil vieles besser wird.

5. Warum geht die SPÖ eigentlich nicht für einen inhaltlichen Erneuerungsprozess in Opposition? Sigmar Gabriel, Chef der deutschen Sozialdemokraten, hat kürzlich gesagt, dass die SPD stets als soziale Bewegung stark war. Für Arbeitsplätze, Sozialleistungen und soziale Gerechtigkeit sowie Umverteilung. Heute würde die Partei lediglich als "der Staat" wahrgenommen, der ohne Verbesserung den Status Quo mehr schlecht als recht verwaltet.

Das gilt umso mehr für die SPÖ, die seit 1970 in 40 von 46 Jahren Kanzlerpartei war. Ein Kandidat für den Chefposten, der die Regierungsmacht aufgeben könnte, wird im Parteivorstand allerdings mit Sicherheit nicht gewählt. Dennoch hat die SPÖ ihre letzten Wahltriumphe in der ersten Hälfte der 2000er-Jahre gefeiert. Als Oppositionspartei.

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