Am Freitag wäre er als Bundespräsident angelobt worden. An der Alten Donau in Wien sprach Alexander Van der Bellen nun mit Conny Bischofberger über seinen Kampfgeist, Galgenhumor und böse Gerüchte, er sei krank.
An der Oberen Alten Donau, am vergangenen Donnerstagmittag. Mit seinem Rucksack und dem suchenden Blick sieht Alexander Van der Bellen aus wie jemand, der gleich ein Picknick machen will und ein schönes Plätzchen am Wasser sucht. "Was haben denn die da spazieren geführt?", wundert er sich über die Mähboote, die gerade anlegen.
Erst mal eine Zigarette. Dann sitzen wir am Bootssteg mit jenem Mann, der am Freitag das Amt von Heinz Fischer übernehmen hätte sollen - wenn nicht am 2. Oktober noch einmal gewählt werden müsste. Soll man Herr Bundespräsident zu ihm sagen, oder ist er da abergläubisch? "Mein Name genügt vollkommen. Ich bin ja nicht Bundespräsident, auch nicht designierter Bundespräsident, sondern wieder nur ein Kandidat."
Dann greift er in die Tasche seines Leinensakkos und legt eine Münze auf den Tisch. Das Fundstück trage er - Stichwort Aberglaube - seit seinem kurzen Marokko-Urlaub im Herbst mit sich herum. "Vielleicht bringt es ja Glück ..."
"Krone": Herr Van der Bellen, am Freitag hätten Sie angelobt werden sollen. Was ist das für ein Gefühl, gewählt, aber nicht anerkannt zu sein?
Alexander Van der Bellen: Ach, nicht anerkannt würde ich jetzt nicht sagen. Die Entscheidung hat sich ja schon abgezeichnet und ist jetzt einfach zu akzeptieren. Der VfGH ist der oberste Schiedsrichter, wenn man so will, und damit hat sich's.
"Krone": Kein Gefühl im Spiel?
Van der Bellen: Es ist eher so, dass ich ein bisserl amüsiert bin. Jetzt haben wir fünf Monate Wahlkampf gehabt, im Herbst werden es dann neun Monate sein. Ich habe immer Hillary Clinton bewundert, und auch alle andern, die an diesen langen US-Vorwahlen teilnehmen, was ja an sich eine körperliche und psychische Zumutung ist. Jetzt denke ich mir: Naja, so viel Unterschied zu uns ist nicht mehr ...
"Krone": 2,254.484 Menschen haben Ihnen am 22. Mai die Stimme gegeben - eine knappe Mehrheit. Fühlen Sie sich noch als Bundespräsident?
Van der Bellen: Nein. Bis Freitag war Heinz Fischer noch der Bundespräsident, jetzt haben wir das Triumvirat. Moment, es ist eine Frau dabei, also weiß ich jetzt nicht, wie man das dann korrekt nennt.
"Krone": Ist es für Sie okay, dass Norbert Hofer Teil des Triumvirats ist?
Van der Bellen: Darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein, aber das soll er entscheiden.
"Krone": Mit der Wahlanfechtung hat die FPÖ einen Coup gelandet. Hätte der VfGH sie abgelehnt, wäre die Empörung über Schlampereien und mögliche Manipulationen noch größer gewesen, jetzt hat er ihr stattgegeben und Hofer bekommt eine zweite Chance. Finden Sie die Anfechtung legitim?
Van der Bellen: Ja, sicher ist es legitim. Jeder hat das Recht, so eine Wahl anzufechten, wenn er glaubt, gute Argumente dafür zu haben. Natürlich denke ich mir im Stillen: "Komisch, nach dem ersten Wahlgang im April hatten sie noch nicht diese gute Idee." C'est la vie, so ist das Leben. Wie Juristen oder Politologen darüber denken, ist eine zweite Frage. Aber ich beteilige mich nicht an dieser Diskussion.
"Krone": Können Sie ausschließen, dass Sie genauso gehandelt hätten, wenn Hofer um 30.000 Stimmen vorne gelegen wäre?
Van der Bellen: Ja, das kann ich guten Gewissens ausschließen, weil wir uns über ein solches Szenario schlicht keine Gedanken gemacht hatten. Wir waren ganz mit der Frage beschäftigt, ob es sich ausgeht, und nicht, wie wir das Ergebnis nachher anfechten.
"Krone": Hand aufs Herz, haben Sie im stillen Kämmerlein geflucht?
Van der Bellen: Ich glaube, darüber verschweige ich mich.
"Krone": Werden Sie's ein zweites Mal schaffen?
Van der Bellen: Sicher kann ich mir nicht sein, aber ich glaube es schon. Es hängt sehr davon ab, wie hoch die Wahlbeteiligung ist, insbesondere ob die eigenen Wähler vom 22. Mai und darüber hinaus wieder mobilisiert werden können. Wir werden alles tun, damit das passiert.
"Krone": Wie sicher sind Sie sich?
Van der Bellen: 50 zu 50. Ein bissel wie zwischen April und Mai. Da hatte mein Mitbewerber einen Riesenvorsprung. Das hat dann aber nicht gereicht, und die Karten wurden neu gemischt. Ich habe damals bewiesen, dass ich das gewinnen kann, und die wenigsten haben es geglaubt. Also kann ich mir jetzt schon ein bisschen sicherer sein. Entscheidend wird sein, dass die Leute nochmal zur Wahl gehen.
"Krone": Soll es internationale Wahlbeobachter geben?
Van der Bellen: Offen gesagt, ich verstehe die Aufregung nicht ganz. Es gibt auch in zivilisierten Staaten immer wieder Wahlbeobachter. Also wieso denn nicht?
"Krone": Fordern Sie Wahlbeobachter?
Van der Bellen: Nein, weil ich glaube, dass die Bezirkswahlbehörden diesmal alles tun werden, um nicht wieder in die Kritik zu kommen.
"Krone": Auch wenn das Ergebnis dann später kommt?
Van der Bellen: Ja, mein Gott, ob wir das Ergebnis um Viertel nach fünf haben oder um Viertel nach acht oder überhaupt erst am nächsten Tag, das werden wir doch aushalten, oder?
"Krone": Wie ist der Gedanke, dass sich das Ganze auch drehen könnte und am 2. Oktober dann Norbert Hofer Ihren Job macht?
Van der Bellen: Ich erwähne da gerne Marcel Hirscher, auch wenn Sie das vielleicht schon kennen: Wenn der oben am Start steht für den zweiten Slalomdurchgang, dann überlegt er sich auch nicht, ob er beim achten Tor stürzen oder beim neunten einfädeln könnte, sondern er will gewinnen.
"Krone": Keine Angst, dass Hofer es diesmal schaffen könnte?
Van der Bellen: Das nutzt ja nichts. Ich denke es nicht. Im Gegenteil: Ich hoffe, dass es den Menschen, die mich gewählt haben, neuen Auftrieb gibt. Es hat sich ja auch außenpolitisch etwas verändert. Wer jetzt nicht versteht, dass der Brexit enorme Auswirkungen hat für ganz Europa und auch die eigene Bevölkerung - es ist ja nicht so, dass die Österreicher ungeschoren davonkommen -, ja, dem ist jetzt bald nimmer zu helfen. Und wer kokettiert seit Jahren mit dem EU-Austritt und der Auflösung der Europäischen Union? Das ist die FPÖ.
"Krone": Wie sehen Sie die innenpolitische Veränderung?
Van der Bellen: Also ob der Kanzlerwechsel genützt hat, das werden wir nie genau wissen. Aber es ist möglich, dass er sich in den letzten Wochen dann noch ein bisschen positiv ausgewirkt hat und vielleicht - Sie sehen, ich drücke mich ganz vorsichtig aus - die Mobilisierung der FPÖ-Wähler, ihre Wut auf den Stillstand und dass nichts weitergeht, etwas gedämpft hat.
"Krone": Wird es nicht eher so sein, dass noch mehr FPÖ-Wähler am 2. Oktober zur Wahl gehen?
Van der Bellen: Darüber kann man nur spekulieren. Ich werde jedenfalls alles tun, um meine Anhänger zu mobilisieren. Aber ganz offen gesagt, eine Schwierigkeit gibt es für uns: Die Studierenden sind am 2. Oktober noch nicht alle da. Ich hoffe, dass sie sich rechtzeitig eine Wahlkarte besorgen.
"Krone": Die dann auch richtig ausgezählt wird.
Van der Bellen: Richtig ausgezählt ist es ja worden. Aber eben nicht in der richtigen Besetzung, zur richll das? Im Gesetz steht offenbar, es wird UM 9 Uhr früh ausgezählt. Was heißt 9 Uhr, wenn ich Tausende Wahlkarten habe? Das geht nicht, also müsste es korrekterweise heißen: AB 9 Uhr.
"Krone": Was würden Sie machen, wenn die Wahl ein zweites Mal angefochten wird? Der FPÖ-Vize hat sowas angedeutet.
Van der Bellen: Dann machen wir eben eine dritte und eine vierte, wenn es sein muss.
"Krone": Wirklich?
Van der Bellen: Es ist auch Galgenhumor, aber ich denke nicht im Traum daran, das Geschenk, das die Wählerinnen und Wähler sich selbst, aber auch mir und den Positionen, die ich vertrete, gemacht haben, freiwillig herzugeben. Ausgeschlossen!
"Krone": Wieder Wahlkampf, wieder TV-Konfrontationen, wieder alles geben. Macht Sie das manchmal müde?
Van der Bellen: Naja, da könnten Sie den Herrn Hofer auch fragen, denn er hat uns ja dieses Geschenk beschert. (lacht) Ich habe etwas, auf das ich zurückgreifen kann: die breite Bewegung, die im Wahlkampf vollkommen ungeplant und ungesteuert entstanden ist. Die jungen Leute, die plötzlich gesungen haben in der U-Bahn und solche Aktionen. Das trägt einen schon.
"Krone": Herr Van der Bellen, ich habe die Billa-Verkäuferin heute Früh gefragt, was sie gerne von Ihnen wissen möchte. Sie sagte: "Ob es stimmt, dass er sehr krank ist?"
Van der Bellen: Naja, sagen Sie ihr beim nächsten Einkauf, er ist kerngesund.
"Krone": Wäre das nicht etwas übertrieben, mit 72?
Van der Bellen: Okay, ich zitiere den Tiroler Andreas Khol: "Bisch amal 60 und tuat da in da Früh nix weah, da bischt hin."
"Krone": Wenn man derzeit Ihren Namen googelt, kommen ziemlich bald die Stichworte GERÜCHTE, KREBS, DEMENZ, ANZEIGE. Was macht sowas mit Ihnen?
Van der Bellen: Erstaunlich wenig. Diese falschen Gerüchte werden ja seit mindestens einem Jahr gestreut, schon damals war ich angeblich todkrank, also dürfte ich heute gar nicht mehr hier sitzen. Nichts davon ist wahr. Ich frage mich aber schon, was man für einen Charakter haben muss, um sowas in die Welt zu setzen. Das Schlimme ist ja, dass Bekannte mich anrufen und wissen wollen, wie es mir geht. Die haben das irgendwo gelesen und sind besorgt.
"Krone": Glauben Sie, dass es Herrn Hofer ganz recht ist oder dass er damit was zu tun hat?
Van der Bellen: Persönlich hat er sicher nichts damit zu tun. Ob es ihm recht ist? Ich hoffe nicht.
"Krone": Stimmt die Version, dass Sie deshalb so lange mit Ihrer Kandidatur gezögert haben, weil Sie einen letzten Ärzte-Check abwarten wollten?
Van der Bellen: Nein.
"Krone": Ist es politisches Campaigning oder schon Mobbing?
Van der Bellen: Schauen Sie, was soll's ... Die Gerüchte werden gestreut und sind wohl dazu gedacht, mich zu schwächen. Ich habe gesagt, dass sie nicht stimmen, und jeder kann es jetzt glauben oder nicht.
"Krone": Der Grün-Mandatar Karl Öllinger hat angekündigt, gerichtlich gegen den Betreiber jenes Profils, das entsprechende Meldungen verbreitete, vorzugehen - wegen des Verdachts der Verhetzung, Verleumdung und Amtsanmaßung. Unterstützen Sie das?
Van der Bellen: Ich wusste nichts davon, er hat mich nicht gefragt.
"Krone": Sollte er das nicht?
Van der Bellen: Hm, er hat es nicht gemacht. Das ist seine Entscheidung. Er steht mit großer Leidenschaft zu dieser Initiative gegen Rechts. Da mische ich mich nicht ein. Ich finde es aber schon eine interessante Frage, ob man herausfinden wird, wer da dahintersteht.
"Krone": Sie vermuten die Rechten?
Van der Bellen: Soweit bekannt ist, stammen sie von rechtsextremen Onlineportalen.
"Krone": Wann würden Sie selbst rechtliche Schritte unternehmen?
Van der Bellen: Wenn mir jemand eine Unwahrheit ins Gesicht sagen würde. Aber das sagt mir ja niemand ins Gesicht. Dann würde ich sagen: Wiederholen Sie das bitte vor Zeugen, und dann sehen wir uns vor Gericht.
"Krone": Wir sitzen hier auf einem schaukelnden Steg an der Alten Donau. Haben Sie sich den Sommer 2016 so vorgestellt?
Van der Bellen: Nein ... Da ist schon einiges ins Wasser gefallen. (Lacht und sagt:) Ich hoffe, ich falle da nicht rein, denn ich bin kein so guter Schwimmer.
"Krone": Sie könnten jetzt schon im Rosengarten des Jagdschlosses Mürzsteg sitzen, dem Sommersitz des Bundespräsidenten ...
Van der Bellen: Es war vorgesehen, dass ich mit Heinz Fischer runterfahre und die Leute kennenlerne, die dort sind. Aber das kann warten.
"Krone": Können Sie Heinz Fischers Hobby "Ameisenbeobachtung" nachvollziehen?
Van der Bellen: Ich finde Ameisen auch sehr interessant. Am Forschungsinstitut in Klosterneuburg gibt es eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Frage befasst, wieso Völker wie die Ameisen keine ansteckenden Krankheiten haben. Denn wenn sie welche hätten, dann wären sie ja auf der Stelle ausgestorben. Zur Beobachtung hätte ich vielleicht nicht die Geduld ... Ich höre lieber den Fröschen zu, die im Sommer so entsetzlich laut quaken.
"Krone": Werden Sie als Privatperson zu den Salzburger Festspielen gehen?
Van der Bellen: Ich bin noch unentschlossen, auch was Bregenz betrifft. Aber zunächst steht einmal das EURO-Finale an.
"Krone": Wer wird Europameister?
Van der Bellen: Bis jetzt habe ich immer zu den Schwächeren gehalten. Österreich, Island, Wales. Aber die Franzosen haben im Semifinale wirklich souverän gespielt.
Seine Geschichte
Geboren am 18.1.1944, seine Eltern mussten nach der Oktoberrevolution aus ihrer Heimat Russland vor den Sowjets fliehen. Zunächst nach Estland, am Ende landen sie in Tirol. Van der Bellen studiert in Innsbruck Volkswirtschaft, geht dann nach Berlin und lehrt ab 1980 in Wien. Von 1997 bis 2008 ist er Bundessprecher der Grünen, 2012-2015 Wiener Gemeinderat. In zweiter Ehe mit Doris Schmidauer verheiratet, aus der ersten Ehe hat er zwei erwachsene Söhne.
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