Rückzug aus Politik

Schüssel tritt ab: “Ich bin absolut reinen Gewissens”

Österreich
06.09.2011 07:22
Alt-Kanzler Wolfgang Schüssel (66) zieht sich aus dem Nationalrat und damit wohl überhaupt aus der Politik zurück. Der langjährige ÖVP-Obmann erklärte am Montag in einer Pressekonferenz, dass er mit Ende der Woche sein Mandat zurücklegt. Auslöser sind die Telekom-Affäre und deren mögliche Verbindungen zu ÖVP-Politikern bzw. Mitgliedern seiner Regierungen. Schüssel, der von Malversationen und Korruption nie etwas bemerkt haben will, ist "absolut reinen Gewissens" und möchte mit seinem Rücktritt helfen, "vollinhaltlich Klarheit zu schaffen".

Schüssel begründete seinen Rückzug in einer Erklärung damit, dass er dazu beitragen wolle, "eine objektive, eine von jeder politischen Beeinflussung oder medialen Vorverurteilung unabhängige Aufklärung durch die Justiz zu erleichtern" (Schüssels Erklärung im Wortlaut findest du in der Infobox).

Gleichzeitig betonte er, dass er als Regierungschef an die Mitglieder seines Teams "hohe Anforderungen hinsichtlich Vertrauenswürdigkeit und Integrität" gestellt habe. Allerdings könne niemand ausschließen, dass sein Vertrauen von Einzelnen getäuscht oder missbraucht worden sei: "Niemand würde dies mehr bedauern als ich selbst."

Seine Arbeit in den diversen Regierungen will sich Schüssel nicht schlechtmachen lassen: "Viele Reformen meines Teams 1995 bis 2007 haben dazu beigetragen, dass dies in vielen Politikbereichen gelungen ist und unser Land sich in der Krise gut behaupten konnte."

"Bin absolut reinen Herzens"
Angeblichen Druck aus der Partei für seinen nunmehrigen Rücktritt habe es "nie" gegeben, es handle sich um seine Entscheidung, betonte Schüssel. Der Entschluss sei ihm einerseits nicht leicht gefallen, weil er an der Partei hänge. Andererseits gehe er aber auch mit einem "leichten Herzen", denn er habe sein Amt "mit bestem Wissen und Gewissen" ausgeführt und mit allen in Rede stehenden Vorwürfen nichts zu tun. Er sei "absolut reinen Gewissens und reinen Herzens". Als Schuldeingeständnis will er seinen Rücktritt dementsprechend nicht verstanden wissen. Es sei "sachlich ungerecht", die ÖVP als Ganzes mit den Vorwürfen in Zusammenhang zu bringen.

Schüssel war zuletzt parteiintern in die Schusslinie geraten, da mit Ernst Strasser, Karl-Heinz Grasser (beide ÖVP), Hubert Gorbach (BZÖ) und Mathias Reichhold (FPÖ) mittlerweile vier Minister seiner Regierungszeit teils im Fokus von Ermittlungen der Justiz sind, teils laut Medienberichten nach ihrer Amtszeit umstrittene Zahlungen aus dem staatsnahen Bereich kassiert haben sollen.

Auf die Frage, ob es im Nachhinein falsch war, Grasser und Strasser in die Regierung zu holen, meinte Schüssel: Grasser habe als Finanzminister gute Arbeit geleistet, was nach seinem Ausscheiden geschehen ist, müsse dieser argumentieren und rechtfertigen. Er habe "wenig" Kontakt zu ihm. Strasser sei ein engagierter Minister "mit Ecken und Kanten" gewesen. Aber: "Die Dinge, die nachher geschehen sind, haben mir überhaupt nicht gefallen - und die sind auch nicht in Ordnung, keine Frage." Was die kolportierten Zahlungen angeht, sieht Schüssel keine Verantwortung bei sich. Was ein Team-Mitglied nach seiner Amtszeit tut, habe jeder selbst zu verantworten, erklärte er.

Angesprochen auf die Causa Eurofighter erklärte Schüssel, es habe drei Rechnungshofberichte und zwei Untersuchungsausschüsse gegeben, da sei "nichts" hängengeblieben. Er sei lediglich für Beschaffung zuständig gewesen, er habe nie mit EADS zusammengearbeitet. Etwaige Zahlungen der EADS an die ÖVP seien ihm nicht bekannt und er hätte das auch abgelehnt.

Den Lobbyisten Peter Hochegger habe er nie getroffen, er kenne ihn nicht. Auch zum Lobbyisten Alfons Mensdorff-Pouilly ließ sich Schüssel kein enges Verhältnis nachsagen: Es handele sich um den Ehemann einer Generalsekretärin und Ministerin von ihm - und in dieser Funktion habe er Mensdorff-Pouilly einige Male getroffen, wobei aber nie über Politik gesprochen wurde.

Spindelegger und Kopf voller Lob
ÖVP-Chef und Vizekanzler Michael Spindelegger sieht in Schüssels Abgang aus dem Nationalrat einen "konsequenten Schritt" des früheren ÖVP-Obmanns. Die Volkspartei und Österreich seien Schüssel zu großem Dank verpflichtet, hätten doch viele jener Reformen, die Schüssel - teils gegen heftige Widerstände - durchgesetzt habe, Österreich nachhaltig modernisiert und wettbewerbsfähiger gemacht. Diese Vorgangsweise benötige einiges an Mut.

"Großen Respekt" zollt Schüssel auch ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf, denn Schüssel sei einer "Schmutzkübel-Kampagne" ausgesetzt gewesen. Die "Vernaderungen" der letzten Tage und Wochen im Zuge der Telekom-Affäre bezeichnete Kopf als "ein durchsichtiges Manöver, die Reformpolitik der Regierungen unter Wolfgang Schüssel zu diskreditieren, um eine Regierungsbeteiligung der SPÖ auf alle Zeiten abzusichern". Dass Schüssel nun gehe, sei eine für alle im ÖVP-Klub "sehr schmerzhafte Entscheidung".

Khol stärkt Ex-Kanzler den Rücken
Am Montagabend stärkte dann auch Andreas Khol, ÖVP-Klubobmann und Nationalratspräsident unter Schwarz-Blau-Orange, Schüssel den Rücken. Der Telekom-Skandal sei in erster Linie der Skandal eines Unternehmens, meinte der nunmehrige Seniorenbund-Obmann bei einem "Runden Tisch" im ORF. Khol - selbst als "Wendearchitekt" von Schwarz-Blau bezeichnet - sieht hinter Beschuldigungen, Schüssel trage politische Verantwortung für den Skandal, eine "Jagdgesellschaft", welche die ehemalige Koalition "bis ins Grab" verfolgen wolle. Schüssels Rücktritt sei souverän erfolgt - "in Österreich ist die Rücktrittskultur eher unterentwickelt".

Auch eine generelle politische Verantwortung der ÖVP sieht Khol nicht, stattdessen habe die Telekom als Unternehmen Österreich "über Jahre hinweg mit einem organisierten System der Korruption überzogen". Es handle sich aber auch um einen Skandal von Politikern, "die jetzt die Chance haben, ihre Unschuld zu beweisen". Angesprochen auf diverse Protagonisten aus schwarz-blauen Tagen gab Khol schließlich zu: "Bei manchen habe ich mich natürlich auch getäuscht, ist ja völlig klar."

Rückendeckung erhielt Schüssel auch aus seiner politischen Heimat, dem ÖVP-Wirtschaftsbund. Dessen Vorsitzender, Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl, meinte via Aussendung, der Schritt des Rücktritts sei zu respektieren, und wies auf die "Verdienste Schüssels für den Wirtschaftsstandort Österreich" hin. Bauernbund-Präsident Fritz Grillitsch sieht in der Niederlegung des Nationalratsmandates "Größe und Konsequenz im Handeln". Man könne nur unterstreichen, "dass Schüssel als politischer und moralisch integrer Ehrenmann sein Regierungsamt nach bestem Wissen und Gewissen ausgeführt hat".

SPÖ erwartet Schüssel in U-Ausschuss
Die SPÖ rechnet damit, Schüssel nach seinem Abgang aus der Politik als Zeuge in einem Untersuchungsausschuss zur Ära Schüssel/Grasser wiederzutreffen, wie SPÖ-Bundesgeschäftsführer Günther Kräuter in einer Aussendung erklärte. "Eine endgültige Beurteilung der persönlichen Integrität Schüssel wird maßgeblich von den Erkenntnissen der Untersuchung der politischen Verantwortung für die Skandale von Eurofighter über Buwog bis Telekom abhängen", so Kräuter.

FPÖ sieht indirektes Schuldeingeständnis
Als "indirektes Schuldeingeständnis" wertet FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky die Ankündigung Schüssels, sein Nationalratsmandat zurückzulegen. Vilimsky erinnerte in einer Aussendung daran, dass die "Knittelfelder Funktionärsversammlung" 2002 ein Aufstand "gegen die Verschüsselung der damaligen FPÖ-Spitze" gewesen sei. Drei Jahre später habe sich der "Schüsselsche Ungeist" dann endgültig ins BZÖ verabschiedet. Die FPÖ unter Heinz-Christian Strache habe sich erfolgreich davon befreit, befand Vilimsky.

Für Grüne "längst überfälliger" Schritt
Aus Sicht der Grünen ist das Zurücklegen des Mandates durch Schüssel ein "längst überfälliger, aber nur erster Schritt". Bundessprecherin Eva Glawischnig erklärte am Montag: "Die politische Verantwortung unter Schwarz-Blau kann er nicht ablegen. Vorwürfe insbesondere gegen Karl-Heinz Grasser gab es ja schon sehr früh, und hier hat er über Jahre hinweg weggeschaut." Wichtig sei nun, dass die ÖVP ihre "Blockadehaltung" aufgebe und eine schonungslose Aufklärung ermögliche, so die Grünen-Chefin.

Auch BZÖ will Alt-Kanzler in U-Ausschuss
Für BZÖ-Obmann Josef Bucher ist der Rückzug von Schüssel zu respektieren, hinterlässt aber einen schalen Beigeschmack. "Was steckt dahinter, dass der letzte ÖVP-Kanzler so blitzartig seine politische Karriere beendet?", fragt sichungsausschuss zu klären sein, meinte Bucher.

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