Hinter einem Absperrgitter überwachen mehrere Security-Beamte den Eingang zur Votivkirche. Im Seitenschiff des Gotteshauses haben rund 40 Männer aus Pakistan, Afghanistan und Marokko ein Matratzenlager aufgebaut. Auf einem Transparent steht: "Jesus war ein Asylsuchender."
Es hat 3 Grad. Fröstelnd kauern die Flüchtlinge auf ihren Decken, blicken teilnahmslos und depressiv ins Leere. Sie sind seit Tagen im Hungerstreik. Wenn Karin Eichler in ihrem roten Anorak auftaucht, hellen sich ihre Mienen auf, und sie grüßen freundlich. Die 23-jährige Sozialpraktikantin verbringt seit 22. Dezember jede Nacht mit den protestierenden Asylwerbern. "Ich hätte mir nie gedacht, dass mir das so viel Freude macht", erzählt die Caritas-Helferin beim Gespräch mit der "Krone" in der 10 Grad wärmeren Sakristei. Hier ist die "Kommandozentrale" der Betreuer und freiwilligen Helfer des Camps.
"Krone": Wie geht es den Männern da draußen, Frau Eichler?
Karin Eichler: Sie sind seelisch fertig, verzweifelt. Es ist eiskalt, sie befinden sich im Hungerstreik. Manche trinken nicht einmal mehr ausreichend Tee und Wasser. Ihre Situation ist sehr verzwickt. Auch wir von der Caritas können nur noch vermitteln.
"Krone": Ist der Forderungskatalog der Demonstranten – Bleiberecht für alle, Recht auf Arbeit, Recht auf freie Wahl der Unterkunft, Internetanschluss, Friseur etc. – nicht total illusorisch?
Eichler: Ich kann verstehen, dass das für viele sehr fordernd und forsch rüberkommt. Ich höre auch aus meinem persönlichen Umfeld oft die Frage: Was wollen die denn? Ich habe diese Menschen kennengelernt. Es ist nicht so, dass es ihnen ganz super geht und sie nur noch mehr wollen. Es geht ihnen um Grundrechte. Auf der einen Seite sagt man ihnen, dass sie Schmarotzer sind und Kriminelle, auf der anderen Seite lässt man sie nicht arbeiten. Und wenn wir ehrlich sind: Manche Quartiere sind wirklich baufällig und abgewohnt. Mir sagen die Leute aber, das Schlimmste sei das Gefühl, minderwertig und weggesperrt zu sein. Das tut keinem Menschen gut, unerwünscht zu sein.
"Krone": Gibt es denn ein europäisches Land, in denen es Asylwerbern besser geht?
Eichler: Nein, wir haben ja gehört, dass es ihnen in Österreich im Vergleich ganz gut geht. Natürlich haben sie auch in anderen Ländern keine Balkone mit Blümchen. Ich würde mir nur wünschen, dass Österreich es diesen Menschen, die ihre Heimat verlassen haben und hier auf ihre Asylbescheide warten, einfach ein bisschen leichter macht.
"Krone": Innenministerin Mikl-Leitner hat Gespräche mit den Flüchtlingen geführt, Kardinal Schönborn hat die Flüchtlinge sogar besucht. Was erwartet sich die Gruppe noch?
Eichler: Das Gespräch mit der Ministerin war symbolisch wichtig, aber nicht sehr befriedigend für sie. Sie würden sich wünschen, dass Bundespräsident Heinz Fischer mit ihnen spricht. Sie wollen einfach jede Möglichkeit ausschöpfen.
"Krone": Von offiziellen Sprechern hört man immer nur, wie enttäuscht sie seien. Ist das eine gute Strategie?
Eichler: Sicher gibt es hier ein paar Leute, die auf Biegen und Brechen etwas durchsetzen wollen. Aber es geht trotzdem um diese Menschen und ihre Sache. Den Flüchtlingen tut es weh, wenn sie hören, dass sie instrumentalisiert und für politische Zwecke missbraucht werden.
"Krone": Ein Argument hört man sehr oft von den Gegnern dieser Besetzung: Warum demonstrieren diese Leute nicht in einer Moschee?
Eichler: Säßen sie in einer Moschee, hätten sie nicht diese Aufmerksamkeit, die sie wollen und auch brauchen. Das muss man ganz klar sagen. Hier haben sie auch den bestmöglichen Schutz.
"Krone": Wie reagieren die Votivkirchenbesucher auf die Besetzung?
Eichler: Viele fragen uns: Was machen die bitte in unserer Kirche? Wir bitten sie dann um Verständnis und versichern ihnen, dass die Votivkirche irgendwann wieder ganz den Gläubigen gehört.
"Krone": Die FPÖ will die Demonstranten deshalb jetzt anzeigen.
Eichler: Das war zu erwarten und überrascht mich nicht. Ich möchte noch einmal betonen: Die Flüchtlinge ehren diesen Ort und das Inventar. Es wurde kein einziger Gottesdienst gestört.
"Krone": Die Caritas hat den Flüchtlingen ja Ausweichquartiere angeboten. Warum kommen die nicht infrage?
Eichler: Weil sie Angst haben, dass sie dann vergessen sind. In der jetzigen Situation sehen sie einen Abbruch als Scheitern an.
"Krone": Wie soll das enden?
Eichler: Ich mache mir oft Gedanken darüber, ich kann es wirklich nicht sagen. Aus gesundheitlicher Sicht sollte dieser Hilfeschrei aufhören. Mögliche Gesetzesänderungen abzuwarten kann man nicht anstreben. Deshalb sage ich den Leuten oft: Setzt nicht eure Gesundheit aufs Spiel! Aber als Kapitänin verlasse ich natürlich als Letzte das Schiff. (lächelt)
"Krone": Was würden Sie sich für einen Abschluss wünschen?
Eichler: Keiner soll in einem gesundheitsbedrohlichen Zustand sein, wenn das hier zu Ende geht. Es wäre schön, wenn die Flüchtlinge die Kirche erhobenen Hauptes verlassen könnten. Mit dem Gefühl: Es geht jetzt was weiter, unsere Anliegen werden ernst genommen.
"Krone": Sie verbringen seit 22. Dezember jede Nacht in der Kirche. Welche bleibt Ihnen besonders in Erinnerung?
Eichler: Der Heilige Abend war sehr schön, besonders aber die Silvesternacht. Alle waren so froh, dass dieses Jahr vorbeigeht, und sind mit so viel Zuversicht ins neue Jahr gestartet. Um Mitternacht sind sie aus der Kirche rausgegangen und haben von dem großen Absperrgitter aus mit Staunen das Feuerwerk, die feiernde Stadt beobachtet. Auch im Wissen, dass sie vielleicht nie dazugehören werden.
"Krone": Was haben Sie hier im Camp gelernt?
Eichler: Du sollst dir dein eigenes Bild machen! Deshalb bin ich über jeden froh, der kommt und fragt: Was ist da los bei euch? Und könnt ihr was brauchen?
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