1. Darf man offen seine Meinung sagen?
Ja, man darf. Aber nachdenken, bevor man redet, schadet nicht. Zwischen "Willkommenskultur" und "Ausländer raus"-Parolen gibt es eine Bandbreite. Wichtig ist die Wortwahl. Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble kam in einen Shitstorm, weil er in einem Atemzug "Flüchtlinge" und "Lawine" gesagt hatte. Spott erntete der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere für seine Andeutung über eine Terrorwarnung: Er sage nicht alles, weil das Verunsicherung auslösen könnte. "Die Welt" feuerte einen Star-Kolumnisten wegen eines zynischen Facebook-Postings über islamische Männer und den Terror.
2. Haben Terror und Flüchtlingskrise etwas miteinander zu tun?
Ja und nein. Der Zusammenhang besteht vor allem einmal in unseren Köpfen. Aber wer jetzt behauptet, unter den Hunderttausenden Flüchtlingen seien garantiert keine islamistischen Terroristen, betreibt gefährliche Beschwichtigungspolitik. Von den vermutlich zehn Attentätern in Paris könnten ein bis drei mit gefälschten syrischen Pässen als Flüchtlinge getarnt nach Europa gekommen sein. Alle zusammen sind aber bereits in Frankreich und Belgien als Kinder von Migranten aufgewachsen.
Richtig ist ebenso, dass die Mehrzahl der Flüchtlinge in den Sommermonaten selbst Opfer der Truppen des Assad-Regimes oder der Dschihadisten geworden sind. Allerdings hat sich die Herkunft der Flüchtlinge in den vergangenen Monaten stark verändert. Außenminister Sebastian Kurz sagte unlängst in Brüssel, dass derzeit nur 20 bis 40 Prozent der Asylwerber aus Syrien kommen. Die anderen Flüchtlinge verlassen ihre Heimat seltener wegen kriegerischer Auseinandersetzungen, sondern weil sie die "Einladung" der deutschen Kanzlerin Angela Merkel Ende August nützen - auf der Suche nach besseren wirtschaftlichen Bedingungen.
3. Wird Österreich durch Flüchtlingskrise und Terror verändert?
Bestimmt. Im Guten wie im Schlechten. Zuwanderer könnten Österreich kulturell bereichern, robuster machen und später als Konsumenten mit Nachholbedarf wirtschaftlich beleben. Dazu sind aber einige Hürden zu überwinden.
Seit den 1990er-Jahren wird beobachtet, dass viele Migranten unter sich bleiben und sich abschotten: mit eigenen Geschäften, eigenen Lokalen und eigenen Kulturvereinen. Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer führte dazu die heute populäre Bezeichnung von "Parallelgesellschaften" ein. An der wissenschaftlichen Erklärung dieses Begriffs erkennt man bereits die Sprengkraft. "Parallelgesellschaft" bedeutet im Grunde die Selbstorganisation einer (eingewanderten) Minderheit mit anderen Regeln und anderen Moralvorstellungen. Sie fühlen sich von der Mehrheitsgesellschaft abgelehnt. Als Reaktion darauf lehnen sie die Mehrheitsgesellschaft ab.
Integrationskurse bzw. Strafen, wenn man die Heimatkundestunden schwänzt, wie das Außenminister Kurz vorgeschlagen hatte, können dagegen wohl nicht viel ausrichten. Maßnahmen, die zu einer Ausbildung und zu einem Job führen, schon eher.
In dieser Stimmung des ungelösten Flüchtlingsproblems sorgt der islamistische Terror zusätzlich für Verunsicherung. Bis hin zu massenhafter Paranoia, die von diversen Verschwörungstheorien in den sozialen Medien noch befeuert wird.
Maßnahmen wie mehr Polizei, mehr elektronische Überwachung, strengere Gesetze oder die zuletzt heftig umstrittenen Grenzzäune können Anschlagsrisiken verringern. Es gibt jedoch die Paradoxie, dass eine permanente massive Präsenz von Sicherheitskräften im Straßenbild die gefühlte Bedrohung sogar erhöhen kann.
Die Gleichzeitigkeit von Flüchtlingskrise und Terrorbedrohung wird mit hoher Wahrscheinlichkeit die politische Landkarte nicht nur in Österreich verändern. Sämtliche Umfragen sagen seit Monaten Zuwächse für rechtspopulistische Parteien voraus.
4. Was kann man gegen diese Krise tun?
"Es gibt keine einfachen Lösungen." Das sagte Bundeskanzler Werner Faymann am Donnerstag. Es gibt verschiedene Pläne in Brüssel ebenso wie in Washington und Moskau. Zwar ist die Welt nach den Attentaten in Paris enger zusammengerückt, dennoch verfolgen die einzelnen Staaten weiter ihre eigenen Interessen. Auch innerhalb Europas gibt es eine Spaltung zwischen Westen und Osten.
Daher geht es nur in vielen kleinen Schritten. Die beginnen mit Zäunen an Europas Außengrenze, mehr Grenzkontrollen innerhalb Europas (Ende von Schengen), ziehen sich mit Aufnahmelagern in Griechenland und Italien und den Planungen für weitläufige Sicherheitszonen für Flüchtlinge nahe ihren Herkunftsländern fort. Dazu kommen die Schulungen für jene Asylwerber, die bereits in Europa sind und noch kommen werden.
Damit die Zahl der Menschen, die über das Mittelmeer flüchten, niedriger wird, muss Europa an die Türkei bald Schutzgeld in Milliardenhöhe zahlen. Gleichzeitig erhöhen die Westmächte in quälender Langsamkeit den militärischen Druck. Zuletzt mit Luftangriffen auf das IS-"Kalifat", das seine Form ständig verändert und nur schwer zu bekämpfen ist. Angriffe, die dazu führen, dass die Zahl der Flüchtlinge vorerst ansteigt.
Wer wissen will, wie man mit ständiger Bedrohung am besten umgeht, braucht nur nach Israel zu schauen: Die bleiben immer cool und schützen Land und Leute.
5. Wie viele Flüchtlinge sind (auch wirtschaftlich) verkraftbar?
Es gibt wenig verlässliche Berechnungen, wie viele Zuwanderer die österreichische Gesellschaft in relativ kurzer Zeit verkraften kann. Die Zahlen reichen von 120.000 bis 280.000 Menschen. In Deutschland hieß es, die Wirtschaft könne bis zu 500.000 Zuwanderer brauchen. Etwas simpel auf Österreich umgelegt, hieße das, der Bedarf läge bei etwa 50.000 Menschen.
Letztlich läuft aber alles auf die Qualifikation der Flüchtlinge hinaus. "Der syrische Arzt ist wohl eher die Ausnahme als die Regel", sagt der Ökonom Hans-Werner Sinn, der hinzufügt, dass man künftig "leichter an eine Putzfrau kommt". Kalkulationen veranschlagen rund eine Milliarde Euro Kosten für 80.000 Migranten im ersten Jahr ihrer Ankunft.
6. Wie lange wird diese Krise noch dauern?
Darauf kann niemand eine klare Antwort geben. Die Optimisten unter den Experten meinen, das gehe nur noch ein oder zwei Jahre so weiter. Andere, seriösere Quellen gehen von fünf Jahren aus. Durchaus ernstzunehmende Pessimisten rechnen mit zumindest 15 Jahren. Mit Sicherheit werden die Folgen dieser Krise aber auch noch die nächste Generation beschäftigen.
Laut UNO wären theoretisch fast 1,4 Milliarden Menschen asylberechtigt. Das ist natürlich utopischer Horror. Auf rund zwei Millionen Menschen, die in nächster Zeit noch nach Europa drängen, muss man sich jedoch einstellen.
Die westliche Politik hat die seit einem Jahrzehnt sich abzeichnenden Entwicklungen lange ignoriert oder unterschätzt. Die Rechnung für dieses Versagen bezahlen wir jetzt umso länger.
Video aus dem Archiv: Wie sicher sind unsere Grenzen?
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