SPÖ und ÖVP einig

Sicherheitsdoktrin mit Neutralität, ohne Wehrpflicht

Österreich
01.03.2011 11:33
Nichts, was man nicht schon vor dem "Ausbruch" der Wehrpflicht-Debatte unter Dach und Fach gehabt hätte, das dafür aber schön ausformuliert: So präsentiert sich die am Dienstag von SPÖ und ÖVP beschlossene Überarbeitung der Sicherheitsdoktrin. Im Vergleich zum schwarz-blau/orangen "Update" wurde die NATO-Option durch ein Bekenntnis zur Neutralität ersetzt. Die Wehrpflicht, wegen der man Ende 2010 einen Beschluss verschob, hat man ausgeklammert. Die Debatte darf jetzt weitergehen.

Über die nun beschlossenen Eckpunkte war sich die Koalition bereits Ende Dezember 2010 einig geworden. Damals (siehe krone.at-Meldung in der Infobox) verhinderte bloß die strittige Frage der Wehrpflicht einen Beschluss. Dann eskalierte aber die Debatte um den Grundwehrdienst - um erst Anfang Februar mithilfe der Sicherheitsdoktrin wieder heruntergekühlt zu werden. Man brauche eine neue Sicherheitsstrategie als Diskussionsgrundlage, hieß es. 

Blickt man auf das nun vorliegende Papier, zeigt sich, dass die Regierungsparteien im Grunde um keinen Deut weitergekommen sind bzw. die neue Sicherheitsdoktrin mit den bereits vor Monaten geklärten Punkten nur scheinbar im "Rekordtempo" beschlossen hat. Nichtsdestotrotz liegt nun eine vollständig ausformulierte Verteidigungs- und Sicherheitstrategie für das Land vor.

Der wichtigste Punkt im 14-seitigen Papier: Im Gegensatz zur bisherigen Sicherheitsdoktrin, die unter Schwarz-Blau 2001 entstanden war, ist in der von SPÖ und ÖVP erarbeiteten Version wieder ein Bekenntnis zur Neutralität enthalten. Die NATO-Beitrittsoption wurde dagegen gestrichen, Österreich bekennt sich aber zur engen Zusammenarbeit mit dem Militärbündnis. 

Sechs Aufgaben für das Bundesheer
Für die Verteidigungspolitik werden sechs Aufgaben formuliert: Gewährleistung der vollen staatlichen Souveränität und Integrität, Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen und der kritischen Infrastruktur, Schutz der Bevölkerung, auch im Bereich der Katastrophenhilfe, Unterstützung der staatlichen Handlungsfähigkeit in Krisensituationen strategischen Ausmaßes, solidarische Leistung von Krisenmanagementbeiträgen und militärischer Solidarbeitrag zum sicherheitspolitischen Handeln der EU.

"Die Bewältigung von subkonventionellen Bedrohungen oder von neuen Gefährdungen in Folge von Cyber-Angriffen kann zu einem neuen militärischen Aufgabenfeld werden. Auch die Befähigung zu Evakuierungseinsätzen ist als militärische Aufgabe sicherzustellen", heißt es. Darüber hinaus habe das Bundesheer eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit. 

Es müssen alle Aufgaben bewältigbar sein, die sich aufgrund von Assistenzanforderungen ziviler Behörden ergeben. Dazu zählen etwa Assistenzleistungen zur Unterstützung sicherheitspolizeilicher Aufgaben, Hilfeleistungen bei Katastrophen oder Beiträge zum Schutz kritischer Infrastrukturen. Dass dies mit einer allgemeinen Wehrpflicht bewerkstelligt werden muss, ist nicht enthalten.

Bekenntnis zum Auslandseinsatz
Als Ersatz für die NATO-Option gibt es ein breites Bekenntnis zum Auslandsengagement des Heeres: Beitragsleistungen zum internationalen Krisenmanagement werden "als wesentlicher Aufgabenbereich" des Bundesheeres definiert. Durch sein Auslandsengagement leiste dieses einen anerkannten internationalen Solidarbeitrag und vermindert negative Rückwirkungen internationaler Sicherheitsprobleme auf Österreich. "Die Auslandseinsätze sind daher auf hohem Niveau fortzusetzen."

Die Regierung bekennt sich weiters zur Gemeinsamen Sicherheits-und Verteidigungspolitik der EU einschließlich der sogenannten Battle Groups sowie zu den Peace-Keeping- und Peace-Building-Einsätzen im Rahmen der UNO und der NATO-"Partnerschaft für den Frieden".

Probleme und Ziele von Terrorismus bis Integration
Allgemein formuliert die neue Sicherheitsstrategie folgende Interessen und politisch-strategische Ziele: Schutz der Bevölkerung, Gewährleistung der territorialen Integrität und der Selbstbestimmung, Aufrechterhaltung des sozialen Friedens, Stärkung der demokratischen Gesellschaft gegenüber extremistischen und fundamentalistischen Strömungen und Einflussnahmen, Sicherstellung der Verfügbarkeit lebensnotwendiger Ressourcen, Erhaltung einer lebenswerten Umwelt, Bekämpfung des internationalen Terrorismus, Kriminalität und Korruption sowie Eindämmung der illegalen Migration und Bekämpfung der Schlepperei. 

Beim Punkt innere Sicherheit ist sehr viel von Migration die Rede: Illegale Migration, Asylmissbrauch und Schlepperei sollen bekämpft und Asylsuchenden Schutz gewährt werden. Es gelte, "Migration gezielt nach den Bedürfnissen Österreichs zu steuern" und "Integration zu fördern und fordern".

Als allgemeine Bedrohungen, denen man sich zu stellen habe, werden in dem Papier u.a. genannt: der internationale Terrorismus, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, auch unter nicht-staatlichen Akteuren, natürliche und von Menschen verursachte Katastrophen, Cyber-Angriffe, die Bedrohung strategischer Infrastruktur, die grenzüberschreitende Organisierte Kriminalität, Drogenhandel, Wirtschaftskriminalität, Korruption, illegale Migration, nicht gelingende Integration, die Knappheit von Ressourcen, Klimawandel, Umweltschäden und Pandemien.

"Komplexer, stärker vernetzt und weniger vorhersehbar"
Zur sicherheitspolitischen Lage Österreichs heißt es in dem Papier: Österreich sei von stabilen demokratischen Staaten umgeben. Zugleich liege es potenziellen Krisenregionen an den Rändern Europas geografisch näher als andere Mitgliedstaaten der EU und ist somit stärker mit Instabilitäten aus dem Umfeld der Union konfrontiert. Aufgrund seiner Topographie ist Österreich überdies von spezifischen Risiken durch Naturkatastrophen betroffen. 

Wörtlich heißt es etwa: "Die aktuellen und absehbaren Rahmenbedingungen für die Sicherheit Österreichs und der Europäischen Union unterscheiden sich grundlegend von jenen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Folgen des früheren Ost-West-Konflikts bestimmen nicht mehr wie bisher die Agenda. (...) Gleichzeitig ist die sicherheitspolitische Situation in Europa durch neue Herausforderungen, Risiken und Bedrohungen bestimmt. Diese sind komplexer, stärker miteinander vernetzt und weniger vorhersehbar als bisher. (...)"

Pröll will weiter Wehrpflicht, Faymann Freiwilligenheer
An den Positionierungen der beiden Koalitionsparteien in der Wehrpflichtdebatte hat die Übereinkunft bei der Sicherheitsdoktrin aber nichts verändert. Vor dem Ministerrat am Dienstag präsentierten sich Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Josef Pröll nach wie vor mit ihren bisherigen Standpunkten.

Beide Seiten lobten zumindest die (aus ihrer Sicht) schnelle Einigung auf ein neues Sicherheitskonzept. Die Volkspartei spreche sich weiter für eine reformierte Wehrpflicht aus, diese müsse aber erhalten bleiben, sagte Pröll. Auch der Zivildienst solle bleiben. Man werde nun aber "mit Elan die Modelldiskussion" über das Bundesheer führen. Pröll hofft auf eine Einigung mit der SPÖ. Wenn diese aber nicht zustande kommt, werde man das Volk befragen.

Faymann bezeichnete die Einigung auf eine Sicherheitsdoktrin als Ausgangspunkt für eine "konstruktive Diskussion" über die Zukunft des Bundesheeres. Am Ende der Verhandlungen der Bundesregierung würden zwei Möglichkeiten stehen, bekräftigte er nach dem Ministerrat: "Ein gemeinsames Modell oder eine Volksbefragung." Dass sich SPÖ und ÖVP in der Debatte um die Wehrpflicht mit völlig konträren Positionen gegenüberstehen, kommentierte Faymann nicht. 

Verhandlungen laufen weiter auf Ministerebene
Chefsache werden soll die Wehrpflichtdebatte offenbar vorerst nicht: Zuständig für die weitere Umsetzung der Doktrin und in Folge für die Erörterung von Bundesheer-Modellen seien weiterhin Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP), Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ) sowie die Regierungskoordinatoren Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) und Staatssekretär Josef Ostermayer (SPÖ), hielt Faymann fest.

Darabos sprach am Dienstag in Sachen Doktrin von einem "großen Wurf", über den er "glücklich" sei. Er zeigte sich überzeugt, dass die neue Sicherheitsdoktrin mit seinem Modell erfüllbar sei. Spindelegger hingegen ließ die Säbel rasseln. Aus seiner Sicht sei kein Kompromiss möglich, wenn eine der beiden Seiten mit einem vorgefition wenig begeistert
Bei der Opposition ist das Papierauf auf Missfallen gestoßen. Die Strategie sei kein Fortschritt, sondern eher ein Rückschritt und gebe auf die wichtige Fragen der künftigen Ausrichtung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bewusst keine Antworten, "weil sich SPÖ und ÖVP parteipolitisch nicht einig sind", meinte der außenpolitische Sprecher des BZÖ, Ex-Verteidigungsminister Herbert Scheibner. Die Regierung würde die Bürger mit der Wiedereinfügung des Begriffs der Neutralität, die in Wahrheit nicht mehr existiere, hinters Licht führen. "Statt einer offenen und ehrlichen Diskussion über die Sicherheits- und Verteidigungspolitik, verstecken sich Rot und Schwarz in parteipolitischen Schattenkämpfen", kritisierte Scheibner und verlangte eine ordentliche parlamentarische Behandlung der Sicherheitsstrategie in einem eigenen Ausschuss.

"Für diese Ansammlung von Alltagseinsichten hätte es keiner Befassung der Bundesregierung bedurft", meinte der Sicherheitssprecher der Grünen, Peter Pilz. Auch seiner Ansicht nach bleiben die wesentlichen Fragen unbeantwortet. Als einzig positiven Punkt sieht Pilz "die Aufgabe der Landesverteidigung als Kernaufgabe". Damit entfalle das letzte militärische Argument für die Wehrpflicht. Eine parlamentarische Behandlung müsse rasch ermöglicht werden, "damit wir aus diesem schwachen Kompromiss eine tragfähige Doktrin machen können", forderte auch Pilz.

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