Im vergangenen Februar tötete ein bis dahin völlig unauffälliger Familienvater seine beiden Nachbarn. Kurz vor seinem Mordprozess spricht der Mann nun in der "Krone". Über seine Tat. Über das Davor. Und über das Jetzt.
In der Justizanstalt Linz gilt Roland H. als Musterhäftling. Als ruhig, nett, höflich. Und als völlig ungefährlich. Acht Stunden täglich darf sich der 41-Jährige deshalb innerhalb des Gefängnisses relativ frei bewegen; er teilt Essen an Mitinsassen aus, wischt Gänge auf, wechselt Glühlampen.
"Ich bin froh", sagt er, "dass ich hier arbeiten darf. Denn das lenkt mich von meinen Problemen ab."
"Ich fürchtete mich nicht vor ihnen"
Probleme wegschieben, sie negieren. Eine Strategie, an die Roland H. gewöhnt ist - wie Gerichtspsychiaterin Heidi Kastner nun in ihrem Gutachten über den Mann schreibt. Nein, nie hat sich der Elektrotechniker gegen seine Nachbarn gewehrt. Er ertrug es still, wenn Erich und Regina Z. seiner Familie den Tod wünschten oder ihm ständig wegen angeblicher Ruhestörungen die Polizei auf den Hals hetzten.
Er versuchte, seine Frau zu beschwichtigen, wenn sie ihm erklärte, sie würde nervlich nicht in der Lage sein, die Angriffe des Rentner-Ehepaars auf Dauer auszuhalten. Raus aus dem mit viel Mühe renovierten Eigenheim. Nur fort von Leonding.
"Du musst dich nicht vor den beiden fürchten. Es wäre absurd, wegen ihnen unser Zuhause aufzugeben", flehte er seine Sabine an, und dass sie "die Sache mit den Z.s" doch bitte, bitte gelassener sehen solle. So wie er selbst.
Aber die Frau ließ sich nicht beruhigen. Zuletzt drohte sie sogar mit Scheidung - sollte Roland R. einem Umzug nicht zustimmen. "Das hat mich wahrscheinlich schon ziemlich belastet", so der Mann jetzt. Aber er war eben geübt im Verdrängen. Mit seinen Eltern oder Freunden über sein Dilemma zu reden: unmöglich für ihn.
Um bloß nicht nachdenken zu müssen über den drohenden Zusammenbruch seines Lebenstraums, flüchtete er immer öfter in sein "Reich" - einen Raum im ersten Stock seines Hauses, voll mit Funkgeräten. "Dort kommunizierte ich mit Leuten aus der ganzen Welt." Über nichts Wichtiges, natürlich, "meistens über das Wetter."
Roland H. gab auch in der Nacht auf den 13. Februar 2016 Morsezeichen ab. Am Morgen holte ihn die Realität ein. Die zwei Kinder krank, die Frau aufgewühlt, wegen einer neuerlichen verbalen Attacke der Z.s. "Einen feinen Mohnstrudel backen, der wird uns allen gut tun, dachte ich, als ich am frühen Nachmittag losging, um Zutaten dafür einzukaufen", erinnert sich der 41-Jährige.
"Da legte sich in mir ein Schalter um"
Auf dem Weg zum Supermarkt begegnete er Erich und Regina Z.: "Ich wechselte die Straßenseite. Was sie in der Folge ebenfalls taten." Die Konfrontation. Die 71-Jährige soll ihm einen Stoß versetzt haben: "Ich wehrte ihn ab." Danach hätte ihr Mann (74) ihn beschimpft: "Und da legte sich in mir plötzlich ein Schalter um."
"Wie in Trance" begann der Elektrotechniker auf die Rentner einzutreten, als sie bereits schwer verletzt am Boden lagen, riss er eine neben ihm stehende Eisenstange aus ihrer Verankerung, prügelte damit auf seine Opfer ein. Bis sie sich nicht mehr bewegten.
Die Tat, diagnostiziert Gerichtspsychiaterin Heidi Kastner, sei infolge eines "Affektstaus" geschehen. Über Jahre hinweg hätte Roland H. Belastungssituationen "einfach hingenommen". Funktionieren, bloß funktionieren, Auseinandersetzungen vermeiden. Hoffen, dass sich schlimme Zustände von alleine auflösen. "Eine Methode, die nicht ewig aufgehen konnte", resümiert Roland H.s Anwalt Andreas Mauhart: "Ohne dass er es bemerkte, baute sich in meinem Mandanten ein seelischer Druck auf, der größer und größer wurde. Bis es in ihm zur Explosion kam."
"Erst während meiner Gespräche mit der Psychiaterin", sagt Roland H., "habe ich zu begreifen begonnen, wie kaputt ich war, als ich mein schreckliches Verbrechen beging."
"Gibt niemanden, der nicht zu ihm hält"
Im Juli soll der Prozess gegen den Elektrotechniker stattfinden, die Anklage lautet auf Doppelmord. Mehr als zwanzig Zeugen sind zu der Verhandlung geladen, darunter zahlreiche Leondinger, die den Beschuldigten vor Gericht als einen "freundlichen, hilfsbereiten, sanftmütigen Menschen" beschreiben werden.
"Es gibt niemanden in Rolands einstigem Umfeld, der nicht zu ihm hält", betonen die Eltern des 41-Jährigen, "seine Freunde, seine ehemaligen Arbeitskollegen, die Nachbarn - sie alle stehen hinter ihm." Und seine Familie sowieso.
Sabine H. besucht ihren Mann regelmäßig in der U-Haft, mit den zwei gemeinsamen Kindern. Bei den Visiten verhält sich Roland H. genauso wie früher. Er will wissen, wie es seiner Frau und den Kleinen geht, er spricht ihnen Mut zu. Er redet nie über seine eigenen Ängste.
Der Ausgang seines Prozesses: ungewiss. Wenn sich die Geschworenen Kastners Meinung anschließen, wird der 41-Jährige mit einem Schuldspruch wegen Totschlags davonkommen. Von fünf Jahren Haft bis lebenslang - alles ist möglich. "Ich werde mich mit meinem Urteil abfinden, egal, wie es ausfällt", sagt Roland H.
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