So gerne wir uns auch als wirtschaftlichen Musterschüler sehen möchten, in Wahrheit sind wir nun auf die Eselsbank Europas zurückgesetzt worden. Diesen Platz teilen wir mit den Finnen, nur Italien ist noch ein kleines Stück hinter uns.
Solch ein blamables Zwischenzeugnis hat uns die EU-Kommission in ihrer jüngsten Wachstumsprognose vor ein paar Tagen überreicht. Demnach dürfte Europas Wirtschaft heuer insgesamt um 1,3% wachsen, das ist sogar mehr als zuletzt erwartet wurde. Österreich hingegen wurde von erhofften 1,2% auf nur noch 0,8% herabgestuft. Und das ist der zweitschlechteste Wert aller EU-Länder! Pech? Wohl kaum, da z.B. Deutschland, mit dem wir uns sonst so gerne vergleichen, ein fast doppelt so großes Plus schaffen soll. Zum Großteil sind wir also selbst schuld.
Österreich ist durch den Ukraine-Krieg und die Russland-Sanktionen stärker betroffen als andere.
Ukraine-Krieg und Russland-Sanktionen treffen Österreich besonders und trüben daher die Stimmung. Statt Eskalation braucht es eine baldige diplomatische Entkrampfung.
Doch viel schlimmer sei die Enttäuschung über den mangelnden Reformwillen der Politik. "Mut ist gefragt, so wie in der Steiermark braucht es den Mut, etwas zu gestalten. Das müssen die Bürger ja auch täglich tun", erklärt Leitl. Die dringend notwendigen Reformen, Vereinfachungen und Einsparungen "sind doch alle längst tausendfach belegt, Experten haben sich den Mund fusselig geredet. Jetzt muss man es endlich auch machen, doch wir reden nur herum!"
Hoffnung macht, dass der Druck der leeren Kassen die jetzige Regierung zwingt, die Dinge in Bewegung zu bringen. Noch sind wir laut internationalen Studien weltweit Vierter bei der Internationalisierung der Wirtschaft, Zweiter bei Motivation und Zufriedenheit der Arbeitnehmer sowie Erster bei der Nachhaltigkeit – das zeigt, dass sich die Anstrengung lohnt.
Die Leute arbeiten hart, können sich aber immer weniger leisten, weil der Staat von jeder Lohnerhöhung zwei Drittel kassiert.
Um nur 1% dürften die Investitionen unserer Firmen heuer zulegen, EU-weit sind es 2%. Nur 14% der Betriebe wollen heuer mehr Geld in den Ersatz von Anlagen oder gar in den Ausbau stecken, das ist laut Wirtschaftskammer-Umfrage der tiefste Wert seit fünf Jahren. Die EU warnt, dass die Wirtschaft dadurch zunehmend weniger wettbewerbsfähig wird. "Wir brauchen daher Investitionsanreize wie den Handwerkerbonus, der ein Hit wurde. Das kostet den Staat nicht einmal was, wenn ich z.B. 10% Investitionszuwachsprämie gebe und der Finanzminister daraus 20% Mehrwertsteuer lukriert."
Doch auch der private Konsum lässt als Wachstumsmotor bei uns aus, weil vielen Menschen trotz recht guter Lohnabschlüsse zu wenig netto bleibt. Leitl: "Die Leute arbeiten hart, können sich aber nicht mehr leisten, weil der Staat von jeder Lohnerhöhung zwei Drittel kassiert. Daher trage ich die Forderung des ÖGB mit, die Kaufkraft durch eine Steuerreform zu stärken." Dass es auch anders geht, zeigt Deutschland, wo der Staat nicht wie bei uns (durch Gebühren, Tabaksteuer, Auto-NoVA usw.) die Inflation hochtreibt und nicht zuletzt deshalb die Konsumlaune den höchsten Wert seit 13 Jahren erreicht.
Unternehmer werden belastet statt entlastet und schaffen so zu wenige neue Jobs.
Die aktuelle Diskussion um neue bzw. erhöhte Erbschafts-, Schenkungs- und Vermögensteuern verunsichert gerade viele kleinere Unternehmer und ihre möglichen Nachfolger. Ein Klima, in dem neue Arbeitsplätze geschaffen würden, sei das nicht, warnt Kammerchef Leitl. "Es herrscht großer Frust in der Wirtschaft statt Lust und Optimismus. Wie der Marmeladehersteller Hans Staud sagt: 'Wir tun eh, was ihr wollt, aber dann lasst uns wenigstens in Ruhe arbeiten.'"
Zusätzlich zu den im EU-Vergleich ohnehin bereits überdurchschnittlichen Kosten (Umwelt, Arbeitsrecht etc.) krankt es unter anderem am leichteren Zugang zu Risikokapital für Firmengründer und innovative Betriebe, mehr staatlichen Garantien für Bankkredite und generell an der Wertschätzung fürs Unternehmertum.
Obwohl wir vom Exportweltmeister Deutschland profitieren, bleiben unsere Ausfuhren zurück.
Nach letzten Zahlen hat unser Export im Vorjahr um 1,4% zugelegt – gut, aber deutlich weniger als viele wichtige Handelspartner gewachsen sind. Das heißt: Wir haben international Marktanteile verloren und profitieren auch jetzt zu wenig vom schwachen Euro-Kurs, weil zu wenige heimische Waren in Dollar-Länder gehen. "Wir müssen internationaler werden. 80% der Ausfuhren sind in Europa, nur 20% außerhalb. Dort aber sind die Wachstumsregionen wie USA, Lateinamerika, Indien. 1% mehr Wachstum bedeutet 1,5 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen und 25.000 Arbeitsplätze."
Österreich hat erfolgreiche Produkte, es gibt aber keine Apples und Googles.
Zwar haben sich die Ausgaben für Forschung und Innovationen von früher 1,4% auf 2% der Wirtschaftsleistung erhöht, stagnieren aber. Das Ziel von 3% ist in weiter Ferne. Leitl: "Zwei Drittel davon tragen die Betriebe, und in einigen Feldern sind wir wirklich gut, etwa bei Umwelttechnik und erneuerbaren Energien. Doch es bedarf jetzt einer nationalen Kraftanstrengung, wenn wir Weltspitze sein wollen. Das heißt weltweite Vernetzungen, eigene HTLs mit den gewünschten Schwerpunkten, Ausnützen des EU-Programms Horizon 2020, Forschungskooperationen. Alleine die Technische Hochschule Zürich hat weltweit 10.000 davon!"
Aufgeschobene Erneuerungen kosten Geld für Wichtigeres...
Eine Verringerung der Staatsausgaben um nur 1% im Jahr klingt nach wenig, würde aber gewaltige Beträge freimachen: Binnen drei Jahren zwei Drittel der geplanten Steuerreform oder eine Verdoppelung des Forschungsbudgets oder eine Verdoppelung der Investitionen in Verkehr und Infrastruktur oder 50% mehr Geld für Bildung oder des Bundeszuschusses zu den Pensionen. "Wir können wieder zurück an die Spitze, aber die Politik muss dafür die Ärmel aufkrempeln", so Leitl.
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